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Panorama: „Schmutz und Müll“

Kitty Kelley schrieb ein Buch über die Bush-Familie

Sie nimmt, wie es so schön heißt, kein Blatt vor den Mund. Diskretion überlässt sie anderen. Kitty Kelley tratscht. Sie zerrt jedes Gerücht ans Licht, ihre Quellen sind oft anonym. Ohne Zweifel ist die 62-Jährige Amerikas bekannteste Skandal-Biografin. Sie hat Bücher über Frank Sinatra geschrieben, Elizabeth Taylor, Queen Elizabeth, Jacqueline Kennedy Onassis und Nancy Reagan. Alle unautorisiert. Frau Reagan etwa soll im Weißen Haus, als ihr Mann Präsident war, eine Affäre mit Frank Sinatra gehabt haben. Solche Geschichten erreichen ein Millionenpublikum. Kitty Kelley, die immerhin noch nie eine Behauptung zurückgenommen oder eine Klage verloren hat, ist eine Instanz.

Jetzt sorgt die quirlige Plappertante erneut für Aufruhr. Vier Jahre lang hat sie für ein Buch über die Bush-Familie recherchiert. Heute erscheint es mit dem Titel „The Family: The Real Story of the Bush Dynasty“. Es hat rund 700 Seiten und wird vom Verlag „Doubleday“ herausgegeben, der zu Random House gehört, den wiederum Bertelsmann besitzt. Die Erstauflagenzahl wurde in den letzten Tagen ständig erhöht. Inzwischen liegt sie bei über 700000. Durch Vorbestellungen hat sich der Schmöker bereits unter die Top Ten der Bestsellerliste von Amazon emporgeschoben.

Eine deftige Portion Tratsch hat dem ohnehin stark aufgeheizten US-Präsidentschaftswahlkampf gerade noch gefehlt. Ab diesem Montag tourt Kitty Kelley durch die Talkshows. Gleich drei Tage hintereinander ist sie in der NBC-Morgensendung „Today“ zu sehen. Das hat auch eine wütende Intervention von höchster Stelle nicht verhindern können. Aus dem Weißen Haus, so berichtete die „New York Times“, habe jemand bei Neil Shapiro, dem Präsidenten von NBC News, angerufen, um Kelleys Auftritte zu verhindern. Dieser Jemand soll kein geringerer als George H. W. Bush Senior gewesen sein. Kein Zweifel: Die Bush-Regierung ist nervös.

Einige Passagen aus dem Buch sind bereits durchgesickert. Der härteste Vorwurf lautet, George W. Bush habe in den achtziger Jahren, als sein Vater Präsident war, in Camp David Kokain geschnupft. Eine Kronzeugin dafür soll Sharon Bush sein, die geschiedene Frau von Neil Bush, dem Bruder des amtierenden Präsidenten. Die traf sich mit Kelley am 1. April 2003 zu einem vierstündigen Gespräch im Chelsea Bistro in Manhattan. Einen Tag später haben beide rund neunzig Minuten miteinander telefoniert. Heute bestreitet Sharon Bush vehement, dabei über einen Drogenmissbrauch von George W. Bush geredet zu haben.

Doch dann stellte sich heraus, dass bei dem Mittagessen eine dritte Person anwesend war. Lou Colasuonno, ein ehemaliger PR-Berater von Sharon Bush, auf dessen Initiative das Treffen zustande gekommen war, bestätigte Kelleys Version. Und Peter Gethers, der Vizepräsident von Random House, erklärte, selbst am Telefon mit Frau Bush über die Beschuldigungen gesprochen zu haben. Anschließend sei das Manuskript des Buches von seinen Anwälten auf jedes Detail hin geprüft worden. „Von dem, was jetzt drinsteht, sind wir hundertprozentig sicher, dass es stimmt.“ Daraufhin sagte der Anwalt von Sharon Bush, das Gespräch im Chelsea Bistro habe unter der Bedingung stattgefunden, dass seine Mandantin nicht zitiert werde.

Hat Bush jemals harte Drogen genommen? Im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf dementierte er diese Frage nie kategorisch. Er habe „Fehler“ gemacht, als er „jung und unverantwortlich“ war, räumte er ein. Ansonsten verwahrte er sich dagegen, in seiner Vergangenheit herumzuschnüffeln. Doch in diesem Jahr schnüffeln beide politische Lager wie nie zuvor. Die Republikaner kratzen leidenschaftlich an der Vietnamkriegslegende von John Kerry. Die Demokraten fahnden nach immer neuem Material, um zu belegen, dass Bush sich nicht nur vorm Krieg gedrückt, sondern auch den Militärhilfsdienst geschwänzt hat.

Also wird präventiv zurückgeballert. Noch bevor Kelleys Buch erschien, charakterisierte es ein Sprecher des Weißen Hauses als „Müll“ und „pure Fiktion“. Die Medien wurden gewarnt. Es würde „journalistische Standards verletzen“, wenn solcherart „Schund in Zeitungen und über den Äther verbreitet“ werde. Die Zentrale der Republikanischen Partei versandte außerdem ein Memorandum an die größten Radio-Talkshows in Amerika, in der alle unbewiesenen Behauptungen Kelleys aus früheren Büchern aufgelistet werden. Und der Chef der Partei, Ed Gillespie, verschickte einen Rundbrief, in dem er Kelleys Buch als Teil der Kampagne der Demokraten beschrieb.

Viel nützen wird das nicht. Tabus gelten in diesem bitterbösesten aller US-Wahlkämpfe keine mehr. Eine Schlammschlacht mit Anstandsregeln? Die gibt es nicht.

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