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Schneechaos: 250.000 Menschen ohne Strom

Ein Rekord-Schneesturm hat Teile Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens am ersten Adventswochenende in ein Winterchaos gestürzt. In einigen Orten werden die Menschen noch tagelang ohne Strom auskommen müssen.

Münster/Osnabrück/Paris - Menschen in Luftschutzbunkern, Schneewehen auf der Autobahn, Hunderttausende ohne Licht und Heizung: Rund 2000 Unfälle, etwa 140 Verletzte, Millionenschäden und 250.000 Menschen, deren Haushalte viele Stunden lang ohne Strom waren - so lautete am Sonntag die Bilanz in Düsseldorf. Betroffen war vor allem das Münsterland. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Menschen in einigen der 25 betroffenen Orte noch tagelang ohne Strom auskommen müssen, sagte NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) am Sonntag. Am Sonntag harrten weiterhin mehr als 100.000 im Dunkeln aus.

Laut Wetterdienst Meteomedia gab es solche Schneemassen zuletzt vor mehr als 100 Jahren. In Dortmund erfror ein 52 Jahre alter Obdachloser unter einer Fußgängerbrücke. Auch über weite Teile Europas fegten Schneestürme und Eisregen, bei klirrender Kälte starben mindestens neun Menschen in Frankreich, Großbritannien und Tschechien.

In den Münsterländer Kreisen Borken und Steinfurt wurde Katastrophenalarm ausgelöst. Hier wie auch in anderen Regionen fielen binnen 24 Stunden etwa 30 bis 50 Zentimeter Schnee. Der Verkehr brach streckenweise völlig zusammen. Der Flughafen Düsseldorf musste stundenlang gesperrt werden. Züge kamen wegen umgestürzter Bäume nicht mehr voran.

Größte Herausforderung war am Sonntag die Reparatur des Stromnetzes. Dem Energiekonzern RWE war es zunächst gelungen, mehr als 100.000 Menschen wieder mit Strom zu versorgen. Die Stromleitungen hatten der Belastung durch die sturmgepeitschten «oberarmdicken Eispanzer» nicht standgehalten.

Es war einer der folgenschwersten Stromausfälle in Deutschland. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) kündigte als Konsequenz aus dem Desaster intensive Gespräche mit den Energiekonzernen an.

50 Hochspannungsmasten im Münsterland waren unter dem besonders nassen, schweren Schnee eingeknickt oder nicht mehr funktionstüchtig. RWE trat Spekulationen entgegen, die Masten und Leitungen im Münsterland seien überaltert gewesen. «Hier stehen die selben Masten wie in Bayern oder in Österreich», sagte ein Sprecher.

Auch im Osnabrücker Land sorgte der Wintereinbruch für Chaos. Nach nächtlichen Räumungsarbeiten normalisierte sich der Verkehr auf den Autobahnen jedoch wieder. Auch der Bahnverkehr laufe wieder, berichtete ein Polizeisprecher am Sonntag. In der Nacht zum Samstag waren fast 500 Reisende in Osnabrück gestrandet.

In etlichen Gemeinden konnten sich die Menschen in Turnhallen aufwärmen. In einigen Kreisen ist an diesem Montag schulfrei. 600 Notstromaggregate wurden in Altenheimen, Krankenhäusern und auf Bauernhöfen, wo die Kühe mit Maschinen gemolken werden mussten, verteilt.

Meteomedia sprach von einem «historischen» Wintereinbruch. In Münster bestehe seit 1888 eine lückenlose meteorologische Beobachtungsreihe. Danach lag der bisherige Schneehöhenrekord für November bei 30 Zentimeter - und zwar im Jahr 1925. Dieser wurde durch die aktuelle Schneehöhe von 32 Zentimetern gebrochen. Die höchste überhaupt gemessene Schneemenge dort wurde am 28. Januar 1897 registriert und betrug 38 Zentimeter.

"Sibirische" Verhältnisse

«So etwas kennt man sonst nur aus Filmen über Sibirien», sagte ein Sprecher der Autobahnpolizei Wuppertal angesichts der bis zu einem Meter hohen Schneewehen auf der A 1. Die A 31 bei Gronau war 46 Stunden lang gesperrt. Dort wie an vielen anderen Orten waren Starkstromkabel der Überlandleitungen unter der eisigen Last von den Masten gerissen und hingen gefährlich nahe über der Fahrbahn.

Tausende Autofahrer mussten die Nacht zum Samstag in ihren Wagen verbringen. Lkw-Fahrer luden Frierende in ihre geheizten Führerhäuser ein. «Ich habe die Nacht in einem Lastwagen verbringen dürfen», sagte eine bei Gronau gestrandete Autofahrerin auf WDR 2. «Sonst wäre ich vermutlich erfroren.»

Bei der Bahn ging vielfach nichts mehr. 216 Züge verspäteten sich um insgesamt knapp 117 Stunden, viele Strecken waren unpassierbar. Am Hauptbahnhof Münster nächtigten rund 50 Menschen in einem Luftschutzbunker, weil weder Züge noch Taxis verkehrten und umliegende Hotels ausgebucht waren.

Für die katastrophalen Staus machten die Behörden nicht zuletzt Lastwagen verantwortlich, die mit Sommerreifen unterwegs waren, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Wegen der quer stehenden Transporter seien die Räumfahrzeuge kaum durchgekommen.

Polarkälte auch in Europa

In Frankreich kam der Verkehr streckenweise völlig zum Erliegen, in Großbritannien verbrachten viele Autofahrer die Nacht zum Samstag in Notunterkünften, in den Niederlanden waren etwa 40.000 Menschen südlich von Enschede nahe der deutschen Grenze ohne Strom. Der Pariser Eiffelturm wurde wegen Schneetreibens zeitweise für Besucher geschlossen.

In Frankreich ist ein vierter Obdachloser nach einer Kältenacht tot aufgefunden worden. Der etwa 40 Jahre alte Mann ist in einem Wald bei Melun südöstlich von Paris erfroren, teilte die Polizei am Sonntag mit. Die Identität des Kälteopfers sei noch nicht ermittelt, der Mann komme aber offensichtlich aus Osteuropa.

Ebenfalls am Wochenende war ein 48-jährige Mann in einer offenen Garage der nordfranzösischen Stadt Calais an Unterkühlung gestorben. Zuvor waren im Osten Frankreichs in der seit Donnerstag herrschenden Kältewelle zwei Obdachlose erfroren.

Die Schweiz registrierte minus 22 Grad. Kärnten in Österreich versank im Schnee wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Frostige Temperaturen und Schneeverwehungen meldeten auch Spanien und Portugal. (tso/dpa)

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