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Panorama: Schön geschlagen

Michelle Wie, die 16-jährige Schülerin aus Hawaii, ist der neue Star im Golfzirkus

Das Video lügt nicht: Ein kleines vierjähriges Mädchen auf einem großen Golfplatz, den Schläger in den Händchen. Dann haut sie drauf, fest, zu fest. Nach dem Schlag verliert sie die Balance – aber der Ball steigt in die Luft, und er fliegt. „Michelle will immer richtig draufhauen“, sagt der Vater lächelnd.

Zwölf Jahre später. Michelle Wie haut noch immer fest auf den Ball – doch aus dem einen begeisterten Zuschauer, dem Vater, sind längst Millionen geworden. „Tigeresse“ hat man sie oft genannt – die weibliche Verkörperung des Tiger Woods sozusagen. Das große Mädchen mit dem langen flüssigen Golfschwung, das den Ball weiter schlägt, als es jemals eine Jugendliche getan hat, revolutioniert das Damengolf in rasendem Tempo. Weit mehr als die Gang der jungen Blondinen um Paula Creamer oder Brittany Lang, die das Damengolf seit dieser Saison mit überraschenden Erfolgen ohnehin in einen Jugendrausch versetzen, bleibt Wie die größte Hoffnung. Denn während Creamer im Pink-Outfit optisch für Furore sorgt oder Morgan Pressel mit bissigen Seitenhieben auf Wie Schlagzeilen macht, überzeugt die Hawaiianerin allein durch Leistung. Mit elf gewann sie die Staatsmeisterschaft der Damen in Hawaii. Mit zwölf qualifizierte sie sich als jüngste Spielerin aller Zeiten für ein reguläres Damen-Profi-Turnier in Amerika. Mit 14 spielte sie bei einem Herrenturnier. Mit 15 zog sie Massen zur US Amateur Public Links Championship, wo sie als einzige Frau im Feld erst im Viertelfinale gegen den späteren Sieger verlor.

Aus dem Spiel der Männer ist ein Spiel mit einer neuen Frau geworden. Wer, wenn nicht dieses athletische Mädchen, das vor fünf Tagen seinen 16. Geburtstag feierte, könnte der Welt zeigen, dass auch eine Frau bei den Männern siegen kann. Wer Erklärungen, lang formulierte Zielsetzungen von der jungen Dame erwartet, sieht sich enttäuscht. Lange Reden sind nicht Sache der Collegeschülerin. Ein wenig verkleidet, auf Hollywoodshow getrimmt sieht sie aus, wenn sie bei einer Pressekonferenz sitzt und sich irgendwie äußern muss zum spektakulärsten Wechsel ins Profilager, den der Golfsport je gesehen hat. Zehn Millionen Dollar pro Jahr zahlen ihr Nike und Sony pro Jahr als erste Werbepartner, mehr als Tiger Woods bei seinem Wechsel bekam. Doch wo der männliche Superstar die Bühne des Profisports mit einem breiten Lächeln betrat, quetscht sich Wie die Sätze durch die dünnen Lippen: „Als ich das erste Mal einen Golfschläger in die Hand genommen habe, wusste ich, dass ich das den Rest meines Lebens tun würde.“

Dann wandert dieses scheue Lächeln über das Gesicht, das eine kleine Ahnung davon gibt, wie unwohl sich Wie mit dem frisch gelockten Haar und den Stöckelschuhen fühlt. Die Hoffnung, eine Art Anna Kournikova, die die Männer verrückt macht, an der Hand zu haben, durften die Sponsoren bei Wie nie haben. Wer sie auf dem Golfplatz beobachtet, sieht, wie sie mit zusammengepressten Lippen spielt, fast ein wenig gelangweilt steht sie oft herum. Schnell genervt, wenn die Ergebnisse nicht so gut sind wie erwartet. Arroganz, fehlenden Respekt vor den Älteren, ein gutes Stück Überheblichkeit haben ihr ältere Kolleginnen ein ums andere Mal vorgeworfen, weil sie auf dem Golfplatz vor allem eines vermittelt: völlige Konzentration auf das eigene Ich. Ein langsames Kauen auf einem Bleistift, Mundwinkel, die ständig nach unten zu hängen scheinen – nein, eine Verführerin ist sie nicht. Schon eher ein klassischer Teenager mit all seinen Zickigkeiten und Genervtheiten. Interessant ist, dass sie mit diesen Eigenschaften die Sympathien des Publikums gewinnt, während ihre blonden Widersacherinnen, die auf den Kournikova-Effekt setzen, damit nicht durchkommen. Tritt dagegen Wie an, verdoppelt sich die Anzahl der Journalisten, die Fernsehübertragen nehmen zu. Das gefällt den männlichen Profis.

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