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Panorama: Schüsse am Kap

Südafrika versinkt in Kriminalität. Sogar Kapstadt wird gefährlich. Die Regierung spielt Fakten herunter

Selten hat eine Bluttat ein Land derart in Wallung versetzt wie der Mord an dem international bekannten Historiker David Rattray letztes Wochenende in Südafrika. Vor den Augen seiner Frau war der enge Freund von Prinz Charles am Freitag in seinem Anwesen in der Provinz Kwazulu-Natal aus nächster Nähe erschossen worden. Freunde gehen von einem gezielten Mordanschlag aus, weil die sechs Täter nichts entwendeten. Der 49-Jährige, der wie kein anderer die Geschichte der Zulus kannte und auch von vielen Schwarzen verehrt wurde, hatte sich unmittelbar vor den tödlichen Schüssen noch schützend vor seine Frau gestellt. Der Mord an Rattray war nicht das einzige spektakuläre Gewaltverbrechen am Kap in der vergangenen Woche. In Kapstadt wurde die Leiche eines Schweizer Einwanderers im Kofferraum seines Autos gefunden. Offenbar war er zuvor entführt und von den Tätern gefoltert worden. Im weltberühmten Botanischen Garten von Kirstenbosch, der für Touristen zum Pflichtprogramm eines jeden Kapstadt-Aufenthalts zählt, wurden am Wochenende sieben Besucher mit Messern überfallen. Damit stieg die Zahl der dort in den letzten beiden Wochen ausgeraubten Besucher auf 14. Auch unterhalb des Tafelbergs kommt es seit zwei Jahren regelmäßig zu Übergriffen auf Wanderer und Jogger. Mehr als 100 Überfälle sind bereits gemeldet worden.

Entsetzt hat viele Südafrikaner vor allem, dass ihre Regierung die überbordende Gewalt im Land noch immer herunterspielt. Am Wochenende hatte Präsident Thabo Mbeki zum wiederholten Male die aus dem Ruder laufende Kriminalität im Land als „Wahrnehmungsproblem“ einiger Kritiker gegeißelt. Vor allem die ausländische Presse gerät bei ihren Berichten über die Gewaltexzesse am Kap schnell ins Visier der Machthaber, da diese hinter solchen Berichten gerne versteckten Rassismus wittern. Kritischen schwarzen Journalisten wird indes oft „fehlender Patriotismus“ vorgeworfen.

Die Menschen im Land sehen das ganz anders. Viele setzen sich ganz unmittelbar zur Wehr: vor allem in den Townships greift die Selbstjustiz um sich. Selbst die Geschäftswelt, die lange Zeit alles versuchte, um bei den Machthabern nicht anzuecken, hat sich nun zu Wort gemeldet. „Leute, die nicht glauben wollen, dass sich unser Land in einer schweren Verbrechenskrise befindet, haben den Bezug zur Realität verloren“, wetterte etwa Südafrikas führender Geschäftsmann Johan Rupert, der unter anderem den Schweizer Luxusgüterkonzern Richemont kontrolliert. Das Land, das 2010 die Fußball-WM ausrichten und die Sicherheit Hunderttausender Besucher garantieren soll, sei „im Krieg mit sich selbst“.

Brutale Gewaltverbrechen gehören am Kap inzwischen zum Alltag. 13 Jahre nach der ersten freien Wahl ist die einst vom Apartheidstaat verübte Gewalt einer Verbrechenswelle gewichen, die nicht nur Südafrikas junge Demokratie bedroht, sondern auch die dringend benötigten Investitionen. Kein Wunder, dass bei fast jeder Umfrage die Angst, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, bei Südafrikanern aller Hautfarben ganz oben rangiert. Die Aussicht eines Südafrikaners, als Opfer von Gewalt ums Leben zu kommen, werden als 50 Mal höher eingeschätzt als die eines Westeuropäers. Fast täglich wird deshalb auch auf den Leserbriefseiten beklagt, Nutznießer des neuen Südafrika seien nicht die Armen sondern die kriminelle Klasse.

Selbst scharfe Apartheidkritiker wie der berühmte Schriftsteller Andre Brink, die bislang für alle Missstände am Kap stets eine Entschuldigung aus der Vergangenheit parat hatten, schreiben nun voller Verzweiflung, dem gewalttätigen Treiben nicht länger ruhig zuschauen zu können: „Angesichts der totalen Apathie der Mächtigen gegenüber der Not der Menschen, können wir den Kopf nicht mehr in den Sand stecken. Jetzt zu schweigen, würde bedeuten, zum Komplizen des Bösen zu werden“, schreibt der Schriftsteller. Brink hatten vor allem zwei Vorfälle erzürnt: zunächst war seine Tochter abends in einem Restaurant nahe Kapstadt mitsamt der gesamten Kundschaft ausgeraubt worden, ohne dass dies in der lokalen Zeitung erwähnt worden wäre. Noch mehr schockierte ihn jedoch eine Äußerung von Polizeiminister Charles Nqukula im Parlament. Dort hatte Nqukula letztes Jahr Kritiker der Gewaltexzesse am Kap mit den Worten abgekanzelt: „Sie können von mir aus bis zum Gehtnichtmehr jammern und so negativ sein wie sie wollen. Oder sie können einfach aus dem Land abhauen.“

Der stets von mehreren Leibwächtern umgebene Minister sucht zu verbergen, dass Südafrikas Polizei unter seiner Führung auf ganzer Linie versagt hat. Im vergangenen Jahr wurden offiziell mehr als 18 000 Morde und 55 000 Vergewaltigungen gemeldet. Gewalttätiger geht es, wenn überhaupt, nur in wenigen Bürgerkriegsregionen der Welt zu. Der Hauptgrund: Südafrikas Regierung fehlt nach Ansicht der meisten Experten einfach der Wille, mit Nachdruck gegen die Gewalt vorzugehen.

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