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Der Gotthard-Basistunnel bei Erstfeld

© dpa/Maurus Huwyler/Alp Transit Gotthard AG

Neuer Gotthard-Tunnel wird eröffnet: Festakt für ein Schweizer Jahrhundertwerk

Zwei Röhren, 57 Kilometer durch die Alpen, 17 Jahre Bauzeit: Heute wird mit viel Politprominenz der neue Gotthard-Tunnel eingeweiht. Für das Publikum wird er erst im Dezember geöffnet.

Ein Pfeifen. Der Ton wird immer schriller. Dann setzt ein Dröhnen ein. Wackelt der Berg? „Da rollt gerade ein Test-Zug durch eine der beiden Röhren“, ruft Renzo Simoni und formt seine Hände zu einem Trichter. Er zeigt auf das Ende eines Zugangsstollens, der hier auf eine der beiden Röhren des Gotthard-Basistunnels stößt. Trotz des fahlen Lichts im Gotthardmassiv ist dem drahtigen Renzo Simoni die Zufriedenheit, der Stolz anzusehen: Der Bauingenieur aus Graubünden und seine Truppe schreiben sich in diesen Tagen in die Geschichtsbücher der Schweiz ein, ja, sie können sich sogar eines Weltrekordes rühmen: Simoni, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Alptransit Gotthard AG, und seine Männer haben den längsten Eisenbahntunnel der Welt vollendet: den Gotthard-Basistunnel. Er ist das Herzstück der „Neuen Eisenbahn-Alpentransversale“ (NEAT).

Die zwei Röhren ziehen sich 57 Kilometer lang durch die Alpen. Vom Nordportal Erstfeld, Kanton Uri in der Zentralschweiz bis zum Südportal Bodio im Kanton Tessin. Am 1. Juni wird das mehr als zwölf Milliarden Franken teure Jahrhundertwerk offiziell und mit großem Bahnhof eröffnet – die Schweizer erwarten Bundeskanzlerin Angela Merkel, den französischen Präsidenten François Hollande und Italiens Premier Matteo Renzi.

Auf 100 Jahre ausgelegt

„Europa wird durch unseren Tunnel näher aneinanderrücken“ verspricht Alptransit-Chef Simoni. „Mehr als 20 Millionen Menschen allein im Einzugsgebiet zwischen Süddeutschland und Norditalien können von der neuen Verbindung profitieren.“ Das größte Bauprojekt, das die Schweiz jemals gesehen hat, erfüllt auch eine übergeordnete umwelt- und verkehrspolitische Mission: Die Eidgenossen wollen den Transport von Gütern und Menschen mehr und mehr von der Straße auf die Schiene verlagern. Die einzigartige Alpenlandschaft soll somit vor der Zerstörung bewahrt werden. Den Zeit-Horizont steckten die Eidgenossen auch schon ab: „Unser Bauwerk ist für mindestens 100 Jahre Nutzungsdauer ausgelegt“, macht Simoni klar.

Der Alptransit-Chef zieht einen Plan aus der Tasche, legt ihn auf einen staubigen Tisch neben einer Felswand. Eine Taschenlampe erhellt die Skizze. Dann erklärt Simoni seine hochmoderne Konstruktion mit einem Enthusiasmus, den es braucht, um Berge zu versetzen. „Wir haben mehr als 28 Millionen Tonnen Material aus dem Gotthard herausgeholt, mit Bohrungen und Sprengungen.“ Das Gestein und Geröll würde einen 7100 Kilometer langen Güterzug füllen: Von Zürich bis Chicago.

Größter Eisenbahntunnel der Welt. "Sissi" hat sich mehrere Jahre lang durch die Schweizer Alpen gefressen.
Größter Eisenbahntunnel der Welt. "Sissi" hat sich mehrere Jahre lang durch die Schweizer Alpen gefressen.

© dpa

Der Clou des Basistunnels: „Die Strecke weist nur minime Steigungen und Kurven auf“, doziert Simoni. Die Folge: Mehr Güterzüge, mehr Personenzüge können sicherer und schneller durch das Innere der Alpen sausen. Die erste Flachbahn durch die Alpen macht Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 250 Stundenkilometern möglich. „Nach Abschluss der Arbeiten auf der gesamten Gotthard-Achse werden Reisende zwischen Zürich und Lugano rund 45 Minuten einsparen“, sagt Simoni. Die gesamte Gotthard-Achse umfasst auch den kleineren Ceneri-Basistunnel im Tessin: Er wird 2019 eröffnet.

Im historischen, 1882 fertiggestellten Gotthard-Scheiteltunnel, kommen noch heute Schiebeloks zum Einsatz: Ohne sie könnte so mancher Lastwagen die Bergstrecke nicht überwinden. Durch den neuen Basistunnel jedoch, vollgepackt mit bester Eisenbahntechnik, gleiten die bis zu 750 Meter langen Güterzüge mit 2000 Tonnen Anhängerlast dahin.

Damit alles reibungslos verläuft, heuerte die Alptransit tausende Fachkräfte aus aller Welt an – unter ihnen den Deutschen Ralf Rüdiger. Der Diplomingenieur für Eisenbahnbau leitet die „Inbetriebsetzung“ des Tunnels. Rüdiger ließ seine Familie in Bayreuth zurück und folgte dem Ruf aus den Alpen. „Die Projekte kommen nicht zu dir. Du musst zu ihnen. Das ist in unserer Branche so üblich“, sagt der Sammler von Modelleisenbahnen. Neben einer guten Bezahlung lockten die Schweizer Tunnelbauer vor allem mit dem Renommee. „Schließlich kann nicht jeder von sich sagen, bei der ersten elektrischen Fahrt im längsten Tunnel der Welt dabei gewesen zu sein und dafür Mitverantwortung getragen zu haben“, erklärt Rüdiger.

Mit Tempo 275 durch die Alpen

Den weitesten Weg in die Alpen mussten Minenarbeiter aus Südafrika zurücklegen. Sie bohrten bei Sedrun, im mittleren Teil des Tunnelsystems, zwei 800 Meter tiefe Schächte. „Die südafrikanischen Mineure kennen das Geschäft aus dem Gold- und Diamantabbau, bei uns in Europa bohrt man ja nicht so tiefe Löcher“, sagt Alptransit-Chef Simoni und streicht mit der Hand über den Spritzbeton an der Tunnelwand. Hinter der grauen Oberfläche spannen sich Stahlbögen.

Weil der Tunnel bis zu 2300 Meter unter der Oberfläche des Massivs liegt und die starken Spannungen die Röhren zu verformen drohten, tüftelten Ingenieure lange an einer Lösung: Sie entwarfen flexible Stahlbögen, diese schieben sich bei aufkommendem Druck zusammen und verhindern somit eine Katastrophe.

Blick in die fertige Röhre des neuen Gotthard-Tunnels.
Blick in die fertige Röhre des neuen Gotthard-Tunnels.

© dpa

Überhaupt ist die Sicherheit das oberste Gebot im Berg. Weil kein Schweizer Zug Tempo 275 für Testfahrten schafft, mietete die Alptransit einen speziellen Testzug aus Deutschland: einen ICE-S.

„Der ICE ist unter die Decke voll mit Messinstrumenten“, sagt Maurus Huwyler, Sprecher von Alptranist. Auf dem Prüfstand stehen neben der Sicherheit das Zusammenspiel von Fahrbahn, Fahrzeugen und Fahrleitung.

Als Höhepunkt der Sicherheitschecks simulierten die Tunnelbauer einen Brand. Bei der Großübung saßen 800 Menschen in den Waggons, die rasche Evakuierung klappte bis auf einige Holprigkeiten nach Plan. Was passiert genau bei einem Notfall? „Alle 325 Meter befinden sich Querschläge, sie verbinden die beiden parallelen Tunnelröhren“, erklärt Huwyler. Er schreitet am Nordportal in Erstfeld einige Meter in den linken Tunnel hinein. „Diese Querschläge dienen im Notfall als rasch erreichbare Fluchtwege in die andere Röhre.“ Die Fluchtwege sind eingebettet in ein ausgeklügeltes Sicherheitskonzept: Es reicht von Notbelüftung über Lösch- und Rettungszüge bis hin zu Videokameras, die mutmaßliche Terroristen aufspüren sollen.

Ab 11. Dezember sollen die Züge dann regulär nach Fahrplan durch den Gotthard rauschen.

Jan Dirk Herbermann

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