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Panorama: Sex: Wo schauen Sie denn hin?

Mein liebstes Sternbild, mein Schmeichelkätzchen, meine sichre Burg, mein Glück, mein Tod, mein Herzensnärrchen", nur sechs verbale Liebkosungen, die Henriette Vogel vor fast 200 Jahren ihrem Heinrich von Kleist sandte, der rekordverdächtige Brief enthielt noch 79 weitere. Ach ja, die Liebe.

Mein liebstes Sternbild, mein Schmeichelkätzchen, meine sichre Burg, mein Glück, mein Tod, mein Herzensnärrchen", nur sechs verbale Liebkosungen, die Henriette Vogel vor fast 200 Jahren ihrem Heinrich von Kleist sandte, der rekordverdächtige Brief enthielt noch 79 weitere. Ach ja, die Liebe.

Bis heute beschreiben romantische Gedichte, fantasievolle Erzählungen und poetische Lieder die Partnerwahl beim Menschen. Nur Biologen machen eine andere - geradezu ernüchternde - Rechnung auf: Die Ehe ist ein Zweckbündnis im Dienste der Fortpflanzung und Scheidung dient dazu, Verluste zu minimieren. Was immer wir tun, im Hintergrund spielt die Evolutionsbiologie ihr ebenso trickreiches wie schicksalhaftes Spiel.

In Zeiten von Stammzellen- und Genomforschung ist die Wissenschaft in intimste Bereiche des Menschen vorgedrungen. Soziobiologen nehmen neuerdings unser Sexualverhalten unter die Lupe und vertreten die These, dass das, was wir tun, viel weniger von kulturellen Normen und Werten beeinflusst wird als vielmehr von unserem Erbgut. Dabei ist die gute Nachricht der Evolutionspsychologie, dass der Mensch zwar dazu konstruiert sei, sich zu verlieben. Die schlechte Nachricht indes: Offenbar ist es ihm nicht bestimmt, es auch zu bleiben.

Bereits der britische Naturforscher Charles Darwin hatte 1871 in seiner Theorie der "Damenwahl" - er nannte dies freilich noch geschlechtliche Zuchtwahl oder sexuelle Selektion - darauf hingewiesen, dass seine Beobachtungen an Tieren durchaus auch für den Menschen gelten. Und ganz in seinem Sinne erklären moderne Evolutionsbiologen heute mit Hinweis auf eine Fülle von Beobachtungen an Tieren wie Menschen sexuelle Vorlieben und Praktiken.

Wie der Flirt beginnt

Die Annäherung zwischen Mann und Frau fängt bereits an, meint der Humanethologe Karl Grammer, bevor die darin verwickelten Personen es auch nur ahnen. Grammers Studien zeigen, dass sich Mann wie Frau bereits in den ersten fünf Sekunden einer Begegnung - der berühmte "erste Blick" - über das Reproduktionspotenzial ihres Gegenübers ein Bild machen. Dabei werden in Sekundenschnelle biologisch "heiße" Körperpartien abgefragt. Mit Hilfe eines Eye-View-Monitors ließ sich feststellen, dass wir mit unseren Blicken vornehmlich jene Körperpartien "abtasten", und zwar kleidungsunabhängig, die für uns wesentliche Informationen bieten. Männer haben dabei häufiger die mittlere und untere Körperregion der Frau im Blick, Frauen dagegen die obere Region. Sie sucht also Blickkontakt, er sucht ihre Figur ab. Entspricht das Gesehene dem Suchbild, erfolgt die Annäherung.

Wer nun den Gang der Ereignisse bestimmt, darüber sind Forscher und Betroffene entgegengesetzter Ansicht. Bei Umfragen meinten Frauen, dass sie diejenigen seien, die warten, bis der Mann die Initiative ergreift. Ganz anders der Befund Karl Grammers: Tatsächlich ist es die Frau, die das Werbeverhalten initiiert. Ohne ihr Signal wagt die Mehrheit der Männer keine Annäherung.

Grammer hatte Oberschüler - jeweils einen Jungen und ein Mädchen, die sich bis dahin nicht kannten - unter einem Vorwand in einem Raum allein gelassen, um mit versteckter Kamera die Anatomie des Flirts zu filmen. Die jungen Frauen bestimmten bei den Versuchen allein durch Blickkontakt, Lächeln und ihre Körperhaltung, wo es langgeht: Durch ihr nichtsprachliches Interesse ermunterten sie entweder die ihnen fremden Männer zur weiteren Annäherung - und sei es vorläufig nur redenderweise - oder sie blockten diese ab.

Grammer fand zudem bestätigt, dass umgekehrt der Mann zur Selbstdarstellung neigt. Der nämlich redet umso mehr, je häufiger sie in den ersten drei Minuten genickt hat. Und je größer bei den Versuchen das Interesse der Männer an der Frau war, desto länger redete er über sich. Nicht nur der radschlagene Pfau versucht, Weibchen durch seine Pracht zu beeindrucken. Auch die Manöver männlicher Skifahrer werden schwungvoller, wenn Frauen auf der Piste stehen. Und wenn man gerade nicht durch Skifahrkünste oder ähnliches beeindrucken kann, dann redet man wenigstens davon. Genau diese aktive Wahl der Frau und die Selbstdarstellung des Mannes sind jene Signale der Liebe, die der biologische Hintergrund voraussagt.

Wonach suchen Frauen und Männer? Welche Kriterien und Qualitäten entscheiden bei Kontaktaufnahme und Partnerwahl? Natürlich spielen Äußerlichkeiten - die Augen etwa, eine sexuell anziehende Figur, weiche Haut, die Stimme, das Haar oder ein bestimmter Duft - eine Rolle; wir alle haben unsere Vorlieben. Doch diese sind nur die Hälfte der Geschichte, zumal sie beim Menschen von nationalen und kulturellen Unterschieden abhängen. Die andere, wichtigere Hälfte fand der amerikanische Psychologe David Buss an der Universität Michigan bei einem multikulturellen Vergleich in 33 Ländern, bei dem mehr als 10000 Frauen und Männer nach ihren Vorlieben - etwa hinsichtlich Einkommen, Intelligenz, Kreativität, Gesundheit, Ehrgeiz, Arbeitseifer - befragt wurden.

Dass es menschliche Grundgemeinsamkeiten, so genannte Universalien, gibt, die unabhängig vom jeweiligen Kulturkreis sind, haben Wissenschaftler seit Darwin vermutet. Buss hat sie gefunden, und zwar durch die simple Frage, worauf bei einem Partner Wert gelegt wird. Ungeachtet ihrer Herkunft - seien es Australier oder Zulus - schätzen Männer körperliche Attraktivität und Jugend ihrer Partner höher ein als Frauen. Diese wiederum suchen meist nach etwas älteren Partnern mit guten Verdienstmöglichkeiten - sprich nach einem zuverlässigen Versorger. Wenn der Einfluss des Kulturkreises angesichts solcher Universalien wie "Attraktivität" und "Vermögen" eher in den Hintergrund tritt, dann spielt das gemeinsame Erbe - der biologische Imperativ - offenbar eine erheblichere Rolle als viele wahrhaben wollen.

Evolutionsbiologisch macht diese Suche nach Schönheit bei ihr und Finanzkraft bei ihm Sinn. Solche Suchkriterien stellen Anpassungen an die unterschiedlichen Erfordernisse der Fortpflanzung von Männern und Frauen dar. Ein vermögender Mann ist der bessere Versorger des Nachwuchses. Mithin wählen Frauen solche Partner, die bereit sind, möglichst viel in die Aufzucht des Nachwuchses zu investieren. Damit sichert sie die Weitergabe ihrer Gene. Für ihn ist es offenbar wichtig, das Fortpflanzungspotenzial der Frau richtig einzuschätzen, wobei körperliche Attraktivität der Schlüssel ist.

Alles Gute für den Nachwuchs

Das von David Buss ermittelte multikulturelle Muster sowie die von Karl Grammer beschriebenen Vorgänge bei der Partnerwahl spiegeln eine zu Grunde liegende genetische Programmierung wider. Frauen versuchen danach seit Urzeiten ihrem Nachwuchs und sich selbst die bestmöglichen Überlebenschancen zu sichern - mit der evolutionären Konsequenz, dass sie potenzielle Partner zur Darstellung ihrer selbst und ihrer Ressourcen nötigen. Und diese heißen beim heutigen Menschen Portemonnaie und Porsche, Handy und Haus. Damit wird biologisch erklärlich, warum junge Frauen sich mit gänzlich "unattraktiven" älteren Männern einlassen. Beim Menschen macht Reichtum sexy. Dass die blutjunge Blondine den mickernden Millionär erhört, unterscheidet sich nicht wirklich von jenem im Tierreich weit verbreiteten Prinzip, nach dem Weibchen für sich und den Nachwuchs die bestmöglichen Ressourcensicherung erstreben. Frauen verzichten aus Sorge um die Zukunft ihres Nachwuchses durchaus auf so manches Schönheitsideal. Das ist zugleich Stoff für die menschlichen Dramen der Weltliteratur à la Lady Chatterley.

Womit wir beim Seitensprung sind. Fremdgehen ist keineswegs eine Erfindung unserer vermeintlich "unmoralischen" Zeit, sondern - wider den vollmundigen Bekenntnissen und intensiver monogamer Bemühungen - ebenfalls biologisches Erbe, so behaupten wenigstens Evolutionspsychologen. Verhaltensforscher sehen im Seitensprung eine Fortpflanzungsmethode, die auf optimale Weise Nachkommen bringt. Obgleich beide Partner zum Seitensprung neigen, um ihre Gene möglichst effektiv an die nächste Generation weiterzugeben, tendieren eher Männer dazu, zusätzlich noch zu einer zweiten und dritten Frau, gar zu einem Harem zu kommen. Jede weitere von ihm geschwängerte Frau erhöht die Anzahl seiner Gene, die er in die nächste Generation schleust.

Während sich mit dem vergleichsweise geringen Aufwand der Männer deren Neigung sowohl zur Vielweiberei wie zum Seitensprung erklärt, sieht die Rechnung, die die Evolution der Frau aufmacht, gänzlich anders aus. Sie kann während ihrer aktiven gebärfähigen Zeit von etwa 25 Jahren kaum mehr als ein Kind pro Jahr haben, egal um wie viele Sexualkontakte sie sich auch bemüht. Für sie bedeutet mehr Sex nicht zugleich auch mehr Nachkommen. Das ist der eigentlich bedeutsame "feine" Unterschied im evolutiven Geschlechterkampf. Lebenslängliche Monogamie und Treue ist offenbar nicht die natürliche Fortpflanzungsstrategie des Menschen. Wir scheinen polygam veranlagt und nur unter bestimmten ökologisch-ökonomischen sowie gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen zur Monogamie bereit - einer Einehe freilich mit Hintertürchen, wie uns Ehebetrug, Prostitution und die Scheidungsquote beweisen.

Evolutionsbiologisch verhält sich der Mensch mustergültig; seine Partnerwahl und Fortpflanzungsstrategie läuft wie im Lehrbuch ab. Aber sind unsere Emotionen tatsächlich nur Adjutanten unserer tierischen Natur? Die Liebe der Henriette Vogel und ihrem Heinrich endete übrigens unglücklich. Nur zwölf Tage nach dem am Anfang zitiertem Brief begingen die beiden gemeinsam Selbstmord. Eine unverständliche Tat - rein biologisch gesehen.

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