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Shakespeare

© AFP

Shakespeare: Das Genie hat ein neues Gesicht

Nun gibt es den schönsten Shakespeare aller Zeiten. Aber ist der Mann im Bild auch der richtige?

Endlich wissen wir, wie er aussah! Da ist er, so schaut er uns an, nach 400 Jahren! Wobei alle Bewunderer das Wörtchen „er“ am liebsten in Großbuchstaben schreiben würden. Denn: „Nach Gott hat niemand mehr geschaffen als er“ – so sagt der gebildete Volksmund über den Dramatiker, Dichter und Weltgeist William Shakespeare (1564 –1616). Und nun glaubt der britische Forscher Stanley Wells, Direktor des Shakespeare Birthplace Trust in des Poeten Geburts- und Sterbeort Stratford-upon-Avon, uns das „mit größter Wahrscheinlichkeit“authentische Abbild des Meisters präsentieren zu können.

Das etwa 80 Zentimeter hohe, auf Eichenholz gemalte Porträt wird auf das Jahr 1610 datiert. Es zeigt einen nobel in Spitzenkragen und ornamentiertes Wams gekleideten Herrn mit sinnlichem Mund, gepflegtem Bart und einem empfindsam-wachen, zugleich kühlen Blick unter der das schmale Gesicht überwölbenden Stirn. Ein ähnlich spitzes Kinn und den Blick sah man bereits auf den wenigen bisher bekannten Shakespeare-Darstellungen. Doch die sind alle erst nach dessen Tod entstanden und zeigen ihn deutlich erkahlter: keinen so anmutigen Mann im gelockten Haar.

Also hätten wir jetzt den schönsten Shakespeare aller Zeiten? Zwar kennt man weder den Maler, noch gibt es einen Hinweis auf die dargestellte Person. Was Stanley Wells jetzt bei der stolzen Präsentation in London so sicher machte, ist die Herkunft des Bildes. Dem Gemälderestaurator Alec Cobbe war 2006 in einer Shakespeare-Ausstellung in der Londoner National Portrait Gallery ein Bild aus Washington aufgefallen, das ihn sehr an ein Porträt erinnerte, das seit dreihundert Jahren im Besitz seiner Familie war, die verwandt ist mit einer Nachfahrin von Shakespeares adligem Mäzen Henry Wriothesley, einem Earl of Southampton. Jenem Henry hatte Shakespeare einst sein Versepos „Lucretia“ zugedacht, und der Graf gilt auch als einer der möglichen Adressaten der erotischen Sonette, die von Shakespeare zur Tarnung wohl an eine „dark Lady“ gerichtet wurden. Cobbe, der angenommen hatte, das ihm vertraute Gemälde zeige den elisabethanischen Seefahrer Sir Walter Raleigh, wandte sich hierauf an Stanley Wells – und es erwies sich, dass über die Washingtoner Version hinaus noch zwei weitere Varianten des Porträts existieren.

Was jedoch nach Röntgenuntersuchungen des schönen Edelmannes als gesichert gilt: Das nunmehr so bezeichnete Cobbe-Bild ist das älteste, also das Original. Und aufwendige Kopien hätte man wohl nicht vom Konterfei eines völlig Unbedeutenden gemacht. Auf Grund kulturdetektivischer Indizien glauben die englischen Forscher inzwischen nicht mehr an Walter Raleigh, sondern halten den Mann für den wahren William.

Das Problem ist nur: Es könnte noch immer das echte Bild eines Falschen sein. Denn: Wer war Shakespeare? Es gibt außer der ungelenken Unterschrift eines Schauspielers „Shakesper“ kaum Originalzeugnisse, die Meisterdramen existieren nur in Abschriften, und noch immer zweifeln einige Shakespeare-Forscher daran, dass der Abgänger einer Dorflateinschule, der als Theaterunternehmer England nie verlassen hat, ein so universelles Wissen hätte haben können. Spielen seine Stücke von „Hamlet“ bis zum „Sommernachtstraum“ doch auch mit Orten, Mythen und Gebräuchen in Dänemark, Italien, Griechenland oder Kleinasien.

Das Absurde ist freilich, hätte ein anderer Shakespeares Dramen unter dem Namen „Shakespeare“ geschrieben, gäbe es Shakespeare noch immer. Aber ist er oder „er“ auch der Mann im Bild? Der jedenfalls wird vom 23. April bis 6. September in Stratford für alle Welt zu sehen sein.

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