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Die Jugendlichen von heute sind politisch interessierter als noch vor Jahren - das ist eines der Ergebnisse der jüngsten Shell-Jugendstudie.

© dpa

Shell-Jugendstudie: Optimistischer und toleranter - eine Generation im Aufbruch

Die 17. Shell-Jugendstudie bescheinigt der jungen Generation ein gewachsenes politisches Interesse. Befragt wurden erstmals ausschließlich Jugendliche, die im wiedervereinigten Deutschland geboren sind.

Berlin - Die Jugend in Deutschland ist so optimistisch gestimmt wie nie zuvor. 61 Prozent der Zwölf- bis 25-Jährigen gehen davon aus, dass sie ihre Zukunft meistern werden. Und erstmals seit den neunziger Jahren beurteilt eine Mehrheit der Jugendlichen (52 Prozent) auch die gesellschaftliche Zukunft optimistisch. Das geht aus der Shell-Jugendstudie hervor, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Im Jahr 2006 hatte nur die Hälfte der Jugendlichen erklärt, sie blicke der eigenen Zukunft optimistisch entgegen, 2010 waren es 59 Prozent. Die Entwicklung sei „ein großartiges Zeichen“, sagte Bundesjugendministerin Manuela Schwesig (SPD).

Zwischen Januar und Mitte März 2015 wurden 2558 Jugendliche zu ihrer Lebenssituation und ihren Einstellungen befragt. Es ist seit 1953 die 17. Shell-Jugendstudie und die erste, in der nur Jugendliche zu Wort kommen, die alle im wiedervereinigten Deutschland geboren wurden. Es handelt sich um „eine Generation im Aufbruch“, erklären die beteiligten Forscher. Denn statt wie in den Vorjahren vor allem auf das eigene private Umfeld zu sehen, zeigten die Jugendlichen wieder ein deutlich stärkeres politisches Interesse.

Dass die Jugendlichen trotz der Finanzkrise, des Ukrainekriegs und der Flüchtlingsströme zuversichtlich nach vorn blicken, erklärt der Leiter der Studie, der Bielefelder Soziologe Mathias Albrecht, damit, dass sie sich ihres im Vergleich hohen materiellen Wohlstands bewusst seien. Denn sie blenden das Weltgeschehen keineswegs aus. Im Gegenteil zeigen sie ein wachsendes Interesse daran – und teilen die Sorgen der Erwachsenen. Vor Krieg in Europa fürchteten sich im Jahr 2010 nur 44 Prozent. Im Jahr 2015 stieg diese Zahl sprunghaft auf 62 Prozent an. Das sind noch mehr als zu Zeiten des Kriegs auf dem Balkan.

Vor Zuwanderung haben die meisten Jugendlichen keine Angst. Noch 2006 wünschten sich 58 Prozent, dass Deutschland weniger Zuwanderer aufnimmt. Heute wollen das nur noch 37 Prozent. Und nur 29 Prozent der Jugendlichen sagen noch, dass sie sich vor Zuwanderung fürchten. Hingegen hat sich die Angst vor Fremdenfeindlichkeit unter den Jugendlichen ausgebreitet: Vor fünf Jahren hatten 40 Prozent Angst davor, nun sind es schon 48 Prozent. Blickt man auf die Jugendlichen in Ost und West, zeigen sich jedoch noch markante Unterschiede: Nur 35 Prozent der Jugendlichen im Westen wollen eine verringerte Zuwanderung, in den ostdeutschen Ländern (inklusive Berlin) sind es 49 Prozent.

Die Umfrage fand statt, bevor die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge stark anstieg. Könnte es sein, dass die Jugendlichen im Licht der hohen Flüchtlingszahlen anders eingestellt wären? Das glauben die Forscher nicht. Natürlich schwankten Meinungen abhängig von Ereignissen. Bei der Shell-Studie handle es sich aber um eine Trendstudie, die die Entwicklung der Mentalität erfasse. Und der Trend sei stabil: „Die Jugend ist durchgehend toleranter als die älteren Bevölkerungsgruppen“, sagte der Berliner Bildungsforscher Klaus Hurrelmann. 82 Prozent finden es wichtig, „die Vielfalt der Menschen anzuerkennen und zu respektieren“. Allerdings stimmen noch 20 Prozent der Aussage zu, „ich fände nicht so gut, wenn in die Wohnung nebenan eine türkische Familie einziehen würde“ (2006: 27 Prozent). Ein homosexuelles Paar als Nachbarn fänden zwölf Prozent „nicht so gut“ (2010: 15 Prozent).

Bei den Jugendlichen nimmt das politische Interesse weiter zu: Einen Tiefpunkt erreichte es im Jahr 2002, als nur 34 Prozent sagten, sie seien an Politik „interessiert“ oder „stark interessiert“. Inzwischen sagen das 46 Prozent. Während die Mehrheit das politische System bejaht (77 Prozent im Westen, 54 Prozent im Osten), bringen die Jugendlichen den Parteien wenig Vertrauen entgegen, ebenso wie Unternehmen, Kirchen oder Banken. Stattdessen setzen sie auf Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen, auf die Polizei und auf die Justiz. Für ihr politisches Engagement benutzen sie besonders gerne Online-Petitionen. Jeder vierte war schon einmal auf einer Demonstration, zehn Prozent engagieren sich in einer Bürgerinitiative.

Für sich selbst wünschen sich die Jugendlichen einen interessanten Beruf, aber vor allem einen sicheren Arbeitsplatz (95 Prozent). Mehr als 90 Prozent möchten, dass die Familie gegenüber der Arbeit nicht zu kurz kommt, drei Viertel liebäugeln mit Teilzeit. Doch die Hälfte hält den Wunsch nach einer Work-Life- Balance für schwer erreichbar.

Dies wirkt sich auf den Kinderwunsch aus: Nur noch 64 Prozent der Jugendlichen wünschen sich Kinder, in der unteren Schicht sogar nur gut die Hälfte. 2010 waren es noch 69 Prozent. Viele Jugendliche meinen inzwischen, ohne eigene Kinder könne man genauso glücklich leben (31 Prozent der Mädchen, 40 Prozent der Jungen). Bundesfamilienministerin Schwesig hält das nicht für dramatisch, da die Befragten noch sehr jung seien. In der Gruppe der 25- bis 39-Jährigen nehme der Kinderwunsch zu, entsprechend verzeichne Deutschland eine leicht ansteigende Geburtenrate.

Während das große Bild über die deutsche Jugend sehr positiv ausfällt, hängt der Optimismus der Jugendlichen stark von ihrer sozialen Herkunft ab: In der oberen und obersten Schicht blicken fast drei Viertel optimistisch nach vorn, in der unteren Schicht nur 33 Prozent. Die Forscher sehen eine wachsende „Spaltung der jugendlichen Lebenswelten“. - Einen Kommentar zum Thema finden Sie hier.

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