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Panorama: Sie darf gemein sein

Eine für alle: Annett Louisan singt von den vertrauten Seiten des Geschlechterkampfes

Von Carsten Werner

Was macht einen Song zum Hit? „Der soziale Prozess, der einen Blockbuster kreiert, lässt den Durchbruch für das eine oder andere Produkt nur schwer vorhersagen“, haben amerikanische Soziologen im Wissenschaftsmagazin „Science“ festgestellt. Aber sie haben eine subjektive Erfolgsformel gefunden: Menschen tendieren dazu, das zu mögen, wovon sie glauben, dass es auch anderen gefällt.

Annett Louisan hat in dieser Hinsicht einiges richtig gemacht – oder viel Glück gehabt: Vor gerade mal 16 Monaten, im Oktober 2004 wurde ihr Debütalbum „Bohème“ veröffentlicht, zwei Wochen später kam es in die Charts und hielt sich da fast ein Jahr lang. Erst auf Anfrage von MTV und Viva wurden Videos zu ihren jazzigen Chansons produziert. Sechs Wochen nach der Veröffentlichung gab es Gold, nach neun Wochen Platin für das Album, bis heute sind 375 000 Exemplare davon verkauft. Die Konzerte im Frühjahr 2005 mussten in immer größere Häuser verlegt werden, und auch die waren meistens schnell ausverkauft. Das Schillertheater in Berlin füllte sie gleich drei Mal – mit Liedern, die klingen, als würde die Sängerin ihren Zuhörern ihr Tagebuch anvertrauen.

Dabei ist Annett Louisan zu kindlich und zu charmant, um verrucht zu wirken. Sie ist zu klein, um gefährlich und zu offen, um rätselhaft zu sein. Man traut ihr irgendeine Unwahrhaftigkeit nicht zu, obwohl sie dauernd von weiblicher Boshaftigkeit singt – zum Beispiel im Song „Du hast gedacht, ich sage Nein“: „Du wolltest einfach nur mal seh’n / Wie weit wir beide heut’ noch geh’n / jetzt liegst du da, du arme Sau / und denkst verzweifelt an zu Haus / an Kind und Frau.“

Bei solchen Verwirrspielen kommt Annett Louisan eine hohe Stimme zugute, die Naivität vorspiegelt und bei ihren Songs – entgegen allen Gewohnheiten erfolgreicher Popmusik, sich auf Beats zu konzentrieren – durchgehend im Vordergrund steht. So singt sie zuckersüß von beiden Seiten des Geschlechterkampfes, von der Lust am Trotzdem-Betrügen, dem „Spielen“ mit dem Gegenüber und von einer, „die den ersten Kuss / mit dem Kissen üben muss“. „’n Blender erster Güte“, singt sie sich eben schön – „wie ein Schmetterling leicht“. Als Kindfrau – ein Klischee, mit dem Louisan offen spielt – darf sie das. Ihr Aussehen, ihre Größe, ihre unroutinierte Art: Das wirkt harmlos und lockt Frauenversteher ebenso, wie es Mädchen Mut macht, über Jungs zu lachen. Männer laufen scharenweise solo in ihre Konzerte – und brachten sie ins Radio. Die Hörer haben sie „gehört und hingehört“, sagt Otto Meyer von SWR 1 – was heute eine Seltenheit ist.

Auf Louisans Platten ist die Stimme immer so aufgenommen, „dass ich wirklich gleich bei den Leuten auf dem Schoß sitze“ – das macht Intimität möglich, ohne anzüglich oder bedrängend zu wirken. Ihr Gesang ist ein Flüstern, Träumen und Grübeln. Denn sie findet, dass „unsere Fantasien viel schöner und nachhaltiger wirken“, wenn Bilder und Erfahrungen beim Hörer angesprochen werden: „Ich lasse den Menschen ihre eigenen Dinge, die sie in ihrem Kopf haben. Dadurch behalten die Lieder ihr Geheimnis.“ Ein Geheimnis, das vertraut klingt.

Ab Mittwoch spielt Annett Louisan im Schillertheater – diesmal fünf Tage lang.

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