zum Hauptinhalt
Schutz vor der Sonne: Berlin-Touristen mit Schirm am Brandenburger Tor (Archivbild)

© picture alliance /dpa/Paul Zinken

Sommer in der City: Was Berlin dem überhitzten Flaneur zu bieten hat

In Berlin bedeutet diese am Mittwoch beginnende Jahreszeit mehr als hohe Temperaturen und viel Sonne: Die Menschen freuen sich über ein ganz eigenes Lebensgefühl.

Der Berliner Sommer ist nichts für jene, die es gern lau haben. Er wirft, kaum ist der halbherzige Frühling nach Norden abgeflogen, ohne Vorwarnung und Gnade ein feuchtheißes Handtuch über die Stadt, bremst die sonst so prägnante Hektik auf allen Wegen und Straßen. Pünktlich zum kalendarischen Sommeranfang? Ungewöhnlich, aber bitte, gern, wir nehmen, was wir kriegen. Diese Berliner Jahreszeit macht aus Eingeborenen und Touristen eine einheitlich gelassene Fußgängerschar, stupst selbst geschäftige Entscheider an, ihre dringendsten Ziele von der To-do-Liste zu werfen und sich nach einem Ort umzuschauen, von dem aus sie ihren Terminkalender endgültig aus den Angeln heben können.

Jeder hat einen solchen Ort. Ja, liebe Ur-Berliner, es ist voller als früher in der Stadt, die Nächte sind länger geworden, die Freiräume enger. Hinter jedem größeren Baum, an jedem Kanalwinkel hat schon ein Reporter der „New York Times“ gechillt und berichtet seinen Lesern auf der ganzen Welt aufgeregt von seiner Entdeckung, da können wir nicht mehr erwarten, unter uns zu bleiben.

Aber auf welche Ecke können sich alle verständigen, wo lässt sich die Essenz des Berliner Sommers am konzentriertesten genießen und auch am friedvollsten? Nehmen wir das Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg, gleich am Kottbusser Damm. An den schräg abfallenden grünen Ufern liegen unter alten Bäumen unzählige Teilzeit-Hedonisten jeglichen Alters, die in intime Gespräche verstrickt sind oder auch nur die Schwäne anschmachten, es gibt Picknick-Gesellschaften und Liebespaare. Ab und zu kommt ein Dampfer durch oder eine Motoryacht mit dekorativ drapierten Sonnenanbetern, die der kontinentalen Enge einen Hauch Côte d’Azur beimischen, Paddler ziehen plaudernd vorbei.

Jede Kneipe hat ihren Biergarten

Wer hungrig ist, der kann sich irgendwas Globales von Sushi bis Döner besorgen, ein belegtes Brot aus der Dose holen, ein dickes Eis kaufen oder eins der zahllosen Restaurants ausprobieren, die hier in den letzten Jahren faszinierend aufgeblüht sind. Alle, wirklich alle pflegen einen zum Wetter passenden umgrünten Vorgarten – von der einfachen Bierkneipe bis rauf zum kaum weniger legeren „Horvath“, dessen zwei Michelin-Sterne begüterte Foodies aus der halben Welt anziehen. Aber keiner neidet dem Gast nebenan seinen Genuss, keiner quält sich selbst mit der Frage, ob es nebenan nicht doch netter wäre. Selbst das Mittagessen, im Berlin der drei anderen Jahreszeiten zur hektischen Kantinenpause verkommen, lebt hier an vielen Orten auf und erhält die Zeit, die es braucht.

Weiter runter Richtung Osten kommen die Boule-Plätze, die Profis und ungeschickte Amateure ebenso anziehen wie untätige Voyeure, die das Klickern der Metallkugeln an den letzten Urlaub erinnert. Es riecht nach Lindenblüten und Brackwasser und Grillwurst, der Berliner Sommermische für die Nase. Wer dann vom Kanal zwischen die Häuserfluchten einschwenkt, der landet mit ziemlicher Sicherheit in einer der belebten Party- und Kneipenzonen, die ihr Gesicht an jeder Ecke verändern, bis es am Kottbusser Tor oder Hermannplatz wieder urbaner, rauer zugeht und der Flaneur seine Illusionen auf Normalmaß schrauben muss.

Baden muss sein - ob Prinzenbad oder Orankesee

Eins geht nicht am Landwehrkanal: Baden. Baden muss aber sein, wenn der Berliner Sommer kommt, zumindest als unmittelbare theoretische Möglichkeit, die dann am Rand des überfüllten Beckens gegebenenfalls auch verworfen werden kann. Wer sich der Szene zugehörig fühlt, egal welcher, der eilt ins Prinzenbad, eine andere schräge Kreuzberger Idylle. Der geborene West-Berliner mit Sommer-Nostalgie wird eher ins Sommerbad Wilmersdorf gehen, das er – ein Distinktionsmerkmal! – kennerhaft als „Lochowdamm“ bezeichnet.

Abkühlung: Ein Mädchen springt im Sommerbad Wilmersdorf vom Drei-Meter-Sprungbrett in das Wasser.
Abkühlung: Ein Mädchen springt im Sommerbad Wilmersdorf vom Drei-Meter-Sprungbrett in das Wasser.

© picture alliance /dpa/Daniel Bockwoldt

Draußen in den Bezirken lagern auf den Badelaken eher die Familien, am Weißensee, Orankesee oder im Strandbad Lübars; in den großen Stadtbädern am Columbiadamm oder an der Seestraße mag es manchem dann aber doch zu hitzig zugehen. Kein Wunder, denn ein Berliner Sommer ist eben nicht nur Entspannung und demonstrative Gelassenheit, sondern auch die Gelegenheit, irgendwem irgendwas zu beweisen, was besser unbewiesen geblieben wäre.

Weiter draußen am Stadtrand geht der Berliner Stadtsommer in seinen nahen Verwandten, den Kurzurlaub über, aber das ist eher was fürs Wochenende, wenn der Kontakt zum Nachbarn nicht dicht genug sein kann. Baden an Wann- und Müggelsee ist im Grunde wie Usedom oder Warnemünde, nur mit Eintritt statt Kurtaxe und ohne die lange Autobahnfahrt – das entspricht dem Berliner Realismus, der das Hier und Jetzt allemal höher schätzt als das ferne Kann-Sein.

Was hat die Stadt dem überhitzten Flaneur zu bieten, der Schwitzen hasst und Nähe für überschätzt hält? Kühle Entspannungszonen, die aus dem Kontrast ihre Faszination gewinnen: Mal nach Jahren schauen, was aus dem KaDeWe geworden ist? In der Halle des Adlon in einen Sessel sinken und einen Eiskaffee ordern? Nie ist es an diesen Orten so angenehm wie jetzt, wenn der Berliner Sommer offiziell seine Saison eröffnet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false