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Immer mit Humor: Eine Filmszene aus "Barbicania".

© Living Architectures

Architekturfilme der anderen Art: Raumpatrouille

Sie nisten sich in den Bauwerken prominenter Architekten ein und machen Filme darüber, wie diese Häuser funktionieren. Ila Bêka und Louise Lemoine sind damit berühmt geworden.

Architekten sind meist schlank und elegant und tragen Schwarz. Ausnahmen bestätigen das Klischee. Diese Frau ist keine Architektin: Sie ist stämmig und trägt gemusterte Blusen unter der roten Schürze, sie hat die Arme in die Hüften gestemmt und hievt Schrubber, Eimer und Staubsauger über enge Wendeltreppen mit spitzen Stufen in einer atemberaubenden Villa von Rem Kohlhaas. Genauer gesagt: in einem Film über dessen rasanten Bau in Bordeaux. Darin kommt der Star selbst nicht zu Wort. Nur die Putzfrau des Hauses, die dessen Ecken und Tücken besser als jeder andere kennt.

Mit ihrem Debüt „Kohlhaas Houselife“ machten Ila Bêka und Louise Lemoine 2008 Furore, bis heute hat sich die Dokumentation als DVD 20 000 mal verkauft. Seitdem hat das Paar Bauten von Berühmtheiten wie Frank Gehry und Herzog & de Meuron als menschliche Komödien in Szene gesetzt, sind auf unzähligen Festivals zu Gast gewesen, mit Preisen ausgezeichnet worden. Denn so originell, so lebendig und witzig wie das italienisch-französische Paar hatte das noch niemand gemacht. Außer Jacques Tati natürlich, ihr großes Vorbild.

Ein Akt der Liebe

Mit ihrem jüngsten Werk „Barbicania“, das erst Ende Oktober offiziell Premiere feiert, kamen Bêka und Lemoine jetzt zum Architekturfilmfestival „Doku.arts“ nach Berlin. „Kohlhaas Houselife“ war ein Akt der Liebe, erzählt das Paar beim Gespräch im Hotel. Ila Bêka, 48, jungenhaft und wuschelig, aufgewachsen in Venedig, und Louise Lemoine, 34, schlank, schick, aus Bordeaux, hatten damals gerade zueinander gefunden. Und wollten nicht nur zusammen sein, sondern auch was zusammen machen, sich was ausdenken. Nicht nur der erste Film, ihre ganze Herangehensweise ist geprägt von dieser Lust und Freiheit des Anfangs.

Bêka war selber Architekt, bevor er seiner anderen Passion nachging und Spielfilme drehte, Lemoine forschte als Kunsthistorikerin an der Uni. Die beiden kannten die Familie, der die Kohlhaas-Villa gehört. Und so zogen sie ein und los, er mit Kamera, sie mit Mikrofon.

Postboten erklären die Architektur

„Living Architectures“ haben sie ihre Produktionsfirma genannt. Der Name trifft den Unterschied zu den gängigen Dokumentationen ziemlich genau. In denen wird viel geredet und erklärt, von Experten und den Stars selbst, die als Genies auf den Sockel gestellt werden. Präsentiert werden ihre Bauten, ähnlich wie in Hochglanzmagazinen und Bildbänden, als reine Ästhetik: menschenleer und unbefleckt, still, bewegungslos – tot.

Bêka und Lemoine holen die Götter auf die Erde. Was sie interessiert: „wie das gewöhnliche Leben in diesen außergewöhnlichen Orten funktioniert“. Nicht die Architekten erklären die Architektur, sondern diejenigen, die dort wohnen, spielen, arbeiten, Rasen mähen oder beten. Oft läuft das Duo den Menschen einfach hinterher. Dem Postboten, den Kindern, den Arbeitern. Motorräder knattern, Türen knallen, Babys kreischen. Dazu kommt die meist heitere Musik, die den Ton angibt, wunderbar punktuell eingesetzt, der musikalische Rhythmus des Ganzen.

Der Zufall ist ihr wichtigster Gehilfe

Intim: Ila Bêka führt die Kamera, Louise Lemoine das Mikrofon.
Intim: Ila Bêka führt die Kamera, Louise Lemoine das Mikrofon.

© Living Architectures

Die Baumeister sind hier keine Götter, sondern Menschen. Und als solche fehlbar. In Kohlhaas’ Villa tropft es nicht nur durch, ganze Wasserfälle bahnen sich ihren Weg. Schlimmstenfalls über den Fernseher. Der große Richard Meier, erzählt der Priester in der Kirche Dio Padre Misericordioso in Rom, hat den Briefkasten vergessen. Da macht es hinter dem Geistlichen plop: Ein Schrubber fällt um. Bei Bêka und Lemoine bekommt man Szenen zu sehen, die andere Regisseure rausschneiden. Der Zufall ist ihr wichtigster Gehilfe, die Improvisation ihre Kunst.

In all ihrer Offenheit sind die Filme jedoch keine hämischen Abrechnungen mit moderner Architektur. Liebe- und humorvoll zeigen sie die Macken und Brüche, aber auch die Schönheit der Moderne. Wobei Architektur für das Paar weit mehr ist als Design, ja: „Das ist für uns der uninteressanteste Aspekt.“

Sie lieben Exzentriker

Embedded filmmakers könnte man die zwei nennen. Für ihre beiden letzten Projekte haben sie sich ein paar Wochen lang in Wohnungen im Kopenhagener „8 House“ beziehungsweise im Londoner Barbican einquartiert. Dabei ergänzen sie sich gut. Lemoine spricht besser Englisch, Bêka, da sind sie sich einig, ist der Mann für die schweren Fälle: Jene, die sich erst mal reserviert oder aggressiv geben. Meist können die beiden klären, dass sie nicht auf schnelle Sensationen aus sind. Sie nehmen sich Zeit, begegnen dem Gegenüber mit Neugier und Respekt. Sie lieben Exzentriker, aber führen sie nicht vor.

Es ist keineswegs eine Frage des Geldes, dass sie immer noch mit kleinem Team arbeiten, nur mit einer Assistentin. Anders ließe sich die Intimität der Begegnungen gar nicht herstellen, die Offenheit, mit der die Gesprächspartner über sich, ihr Leben und ihr Erleben der Bauten reden. „Wir suchen nicht nach Fakten, sondern nach Sensibilität.“

Längst muss das Paar nicht mehr nebenbei jobben, sie zeigen ihre Filme auf Festivals und in Museen, verkaufen sie – für 35 Euro – als DVDs. Immer häufiger bekommt das Duo Kommissionen. Bei „The Happiness“ über das vielfach preisgekrönte „8 House“, ein Gebirge von Gebäude, das neue Formen gemeinschaftlichen städtischen Lebens erprobt, war der Architekt selbst der Auftraggeber. Bjarke Ingels haben die beiden, anders als andere seiner Kollegen, nicht wieder weggeschickt. Der Ansatz des internationalen Jungstars ist ihrem verwandt: sozial, experimentierfreudig, spielerisch. Ein Mitspracherecht hatte Ingels nicht, den Film bekam er erst zu sehen, als dieser fertig war. Genauso lief es beim Barbican, der einst umstrittenen, inzwischen extrem begehrten brutalistischen Betonburg mitten in der City of London, mit Museum, Konzertsaal und Wohnungen.

Umzug von Paris nach Rom

Menschen stehen immer im Mittelpunkt der Filme: Ein Bewohner des Londoner Barbican.
Menschen stehen immer im Mittelpunkt der Filme: Ein Bewohner des Londoner Barbican.

© Living Architectures

Ironischerweise, erzählen die beiden, haben sie dabei weit mehr Freiheiten als ein Fernsehsender ihnen je gewähren würde. Die haben sich eh nie für eine Co-Produktion interessiert. Aus Angst, glaubt Bêka und lacht, weil es eben nicht sehr pädagogische Filme sind. Es gibt keinen Erzähler, keinen Erklärer, „man muss seinen eigenen Kopf benutzen“. Und sich einiges selbst zusammenreimen. Schon rein zeitlich passen die Arbeiten nicht ins übliche TV-Raster: Der eine Film dauert 26 Minuten, der andere 37, der nächste eine Stunde.

Nicht all ihre Filme sind Meisterwerke. Die Trilogie über die Renzo-Piano-Bauten etwa ist langweiliger, konventioneller geraten, auch statischer. Man sieht die Gefahr, dass die Methode zur Masche erstarrt. Doch mit den zwei letzten Projekten sind sie im wahrsten Sinne des Wortes wieder in Bewegung gekommen.

Endlich wieder Chaos!

Das Erleben der Gemeinschaft im dänischen „8 House“ hat das Paar ins Grübeln gebracht über ihre eigene Lebenssituation, erzählt Louise Lemoine: eine winzige Wohnung in Paris, die Nachbarn alle Fremde. In diesem Jahr sind die beiden mit ihrer kleinen Tochter nach Rom gezogen, in ein Haus mit Freunden. Dort wohnen sie möbliert.

Bêka, der Nomade, hatte Heimweh. Trotz der großen Sympathie – in Dänemark funktionierte dem Italiener alles zu gut, waren ihm die Menschen zu perfekt. „Schlank, reich und gesund. Eine Welt ohne Zweifel.“ Das Chaos seiner Heimat zeigt sich seiner Meinung nach im Moment der großen Krise von seiner interessantesten und vitalsten Seite, das Chaos empfindet er als regenerierend. „Wenn die Dinge nicht funktionieren, muss man einen eigenen Weg finden, muss man …“ „.. reagieren“, ergänzt Lemoine, wie sie es immer wieder gegenseitig mit ihren Sätzen machen. „Und“ – jetzt wieder Bêka – „das schafft etwas Neues.“

Inzwischen haben sie ihren Radius erweitert, geht es ihnen nicht mehr nur um einzelne Häuser, sondern um die ganze Stadt. Nachdem sie in Paris den Place de la République portraitiert haben, beschäftigen sie sich in Rom mit alten Bewohnern. Paris und London haben sie in dieser Beziehung als sehr brutal erlebt: „Dort sieht man praktisch keine Alten im Zentrum. Da ist alles viel zu schnell, zu stressig, zu teuer.“ Rom empfindet Bêka da anders. „Solidarischer.“ Wie gehen Städte, die ganz auf Produktivität ausgerichtet sind, mit denen um, die nicht mehr produzieren?, so Lemoine. Das ist die Frage, die sie in nächster Zeit beschäftigt.

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