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Ganz weit draußen. Den Krach der Stadt tauscht man im Nationalpark Unteres Oderland gegen den Ruf des Kuckucks.

© Marcus Franken

Auf Kanutour in der Uckermark: Zu Besuch bei den Bibern

Nur wer kentert, ist noch näher dran: Eine Tour im Zwischenoderland an der Grenze zu Polen ermöglicht direkten Kontakt zu Bibern, Seerosen und der Wildnis.

Diese Ruhe. Außer einem leichten Gesäusel am Bug des Kanus ist für einen Moment absolut nichts zu hören. Gerade sind wir noch auf dem westlichen Arm der Oder zwischen Motorbootbrummen und dem Dorfgeklapper von Mescherin entlanggepaddelt. Dann ging es vorbei am rot-weiß-gestreiften Grenzpfahl und durch ein Eisentor, das in seinem Betonrahmen vor sich hin rottet. Plötzlich ist es, als hätte uns jemand Watte in die Ohren gesteckt. Alle Geräusche sind fort.

Dann: „Kuckuck“, und nochmal: „Kuckuck.“ Das Schilf rauscht, drei Kuckucke fliegen auf, ihr Flügelschlag und ihr markanter Ruf durchschneiden die Luft. Und schon raschelt es nochmal im Schilf. „Da ist ein Mink“, flüstert die Kanuführerin Frauke de Vere Bennett, die mich und meine beiden Töchter begleitet. Ein katzengroßes schwarzes Tier schlängelt sich am Ufer entlang und ist mit einem Sprung verschwunden. Willkommen in der Wildnis!

Die uckermärkische Oder ist ein einzigartiges Gebiet. Zwischen Oderberg und Stettin hat der Fluss auf rund 80 Kilometern Länge ein Schwemmland geschaffen, das bis zu drei Kilometer breit ist. Rechts und links begrenzen die Oder, ihre Altarme oder auch mal ein parallel laufender Kanal dieses Gebiet. Das Zwischenoderland wurde ab 1906 durch Deiche, Polder und Kanäle dem mäandernden Fluss entrissen, um die Orte vor Hochwasser zu schützen, Vieh zum Grasen hierher zu treiben und den Fluss schiffbar zu halten. Ein paar Industrien gibt es noch am Ufer: Papier- und Kartonagenfabriken, Raffinerien und Kraftwerke. Auch sie nutzen das Wasser der Oder. So wird bis heute der Oder-Pegel das ganze Jahr über reguliert.

Zwischen Schafen und Störchen

Davon ist auch der 1995 gegründete Nationalpark Unteres Odertal nicht ausgenommen. Das Motto lautet zwar „Natur Natur sein lassen“. Doch tatsächlich ist der Nationalpark weniger Wildnis, als vielmehr eine über die Jahrzehnte geformte Kulturlandschaft. Um die jährlichen Hochwasser aufzufangen, werden die Polder geflutet, dann fallen sie wieder trocken. Zum Wohle der Haustiere und Kulturfolger wird im Nationalpark Landschaftspflege betrieben: Schafe grasen, Kühe weiden und einmal im Jahr wird gemäht, auch weil die unter Artenschutz stehenden Störche offene Wiesen zur Nahrungssuche brauchen.

Auf der polnischen Seite entstand nach dem Zweiten Weltkrieg wieder eine echte Wildnis. Auf halbem Weg zwischen Schwedt und dem im Krieg übel zugerichteten Dörfchen Gartz schwenkt die Grenze von der Ostseite des Odertals ans Westufer. Damit liegt das Zwischenoderland plötzlich in Polen. Und dort ist alles anders. Denn die alten Entwässerungssysteme, die im Krieg zerstört wurden und die in der DDR schon bald wieder aufgebaut worden waren, hängen hier seit 70 Jahren offen in den Angeln. Die Oder herrscht wieder allein über das Tiefland. „Die meisten wissen gar nicht, dass man hier seit 2008 einfach rüber kann“, sagt Bennett. Der Schengen-Beitritt Polens hat es möglich gemacht, dass sie ihre Touren in den polnischen Teil des Schutzgebietes ausdehnen konnte.

Wir paddeln einen kleinen Wasserlauf entlang und Bennett hält direkt auf dichtes Schilf zu. „Da wollen wir rein?“, fragt meine ältere Tochter zögerlich. Unbeirrt steuert Bennett auf die grüne Wand zu, und schon sind wir drinnen. Mehr Natur geht kaum. Nur wenn wir kentern würden, wären wir noch näher dran.

Wie Sumpfkohl wohl schmeckt? Mal probieren

Grüner wird’s nicht. Auf der Tour kann man Seerosen, Beinwell und Mädesüß sehen. Sumpfkohl schmeckt allerdings furchtbar bitter.
Grüner wird’s nicht. Auf der Tour kann man Seerosen, Beinwell und Mädesüß sehen. Sumpfkohl schmeckt allerdings furchtbar bitter.

© Marcus Franken

Mit geübtem Schwung bahnt uns die Kanuführerin einen Weg durchs Grün. Dann öffnet sich schon wieder der weite Himmel. Und hoch oben schwebt ein Seeadler. Ein paar Meter weiter steht ein Baum, unter seinen Ästen ist ein Holzhaufen zu erkennen. Wir bremsen das Kanu ab und liegen vor der etwa anderthalb Meter hohen Biberburg. „Wo ist denn der Biber?“, will meine jüngere Tochter wissen, „den seh’ ich gar nicht.“ Tatsächlich schläft die Attraktion tagsüber viel, aber wir finden Spuren. „Jetzt hört er uns wahrscheinlich, aber er fühlt sich in seiner Burg sicher. Dass sie bewohnt ist, sehen wir am frischen Holz in der oberen Schicht“, erklärt Bennett. Eine Biberburg funktioniert wie ein Komposthaufen: Oben legt der Biber nach, unten verrottet das Material. Um die Burg herum stehen besondere Pflanzen: Wasser-Schwaden, Sumpfkohl, Beinwell, Mädesüß, Sumpfampfer, Wasserminze. „Das ist der Garten des Bibers. Hier siedeln sich Pflanzen an, die ihm schmecken.“ Wir dürfen auch mal probieren. Der Sumpfkohl schmeckt wie Rauke. „Boah, ist der bitter“, meine Große schüttelt sich.

Aus unserer Perspektive knapp über der Wasseroberfläche sind wir den Pflanzen und Tieren im Wasser ganz nah: Frösche quaken und platschen ins Wasser, Libellen und andere Insekten schwirren umher, es gibt unter den Seerosenblättern die Gelege der Wasserschnecken, durchsichtige, klebrige Kügelchen, und verschiedene Schnecken und Muscheln. Ihre leeren Gehäuse fischen die Kinder begeistert aus dem Wasser.

Plötzlich droht das Boot zu kentern

Da passiert es fast: Die kleine Tochter lehnt sich mit Schwung zur Seite, um ein besonders großes Posthornschneckenhaus einzusammeln. Doch blitzschnell tariert Bennett das Kanu aus, sonst wären wir wohl doch noch alle baden gegangen.

Ein paar Seerosen dümpeln unbeteiligt auf der Welle, die unseren Beinaheunfall verursacht hat. „Die Seerosenwurzeln, die hier treiben“, fährt Bennet ruhig fort, „sind von den Bibern hochgezogen. Die knabbern an den frischen Trieben.“ Die entwurzelten Rosen treiben weiter, bleiben woanders hängen, siedeln sich dort an. Der Biber sorgt so für ihre Verbreitung. Auch den Weiden hilft er dabei: Da er gern Weidenrinde frisst, fällt er manchmal die Bäume, dann wachsen aus einem Stamm viele neue Triebe. „Die Schneisen, die ihr hier im Schilf seht, sind Biberrutschen“, erklärt Bennett auf dem Weg zurück. Schilf ist der Hauptbewuchs des Überflutungsmoors. Und es trägt zum langsamen Wachsen des Moores bei: Im Winter brechen Stürme und Eisschollen das Schilf, es beginnt zu verrotten, kann sich aber nicht vollständig zersetzen, da die Polder immer wieder unter Wasser stehen. So entsteht Torf, der typische Moorboden: Er bindet Kohlendioxid und nimmt bei Überflutung das Wasser auf wie ein Schwamm – ein wichtiger Effekt für den Hochwasser- und den Klimaschutz.

Nach ein paar Stunden gleiten wir zurück in die Oder und treffen das erste Mal wieder auf Menschen – und ihren Lärm. Doch jetzt hören wir auch die Vogelstimmen, die von jenseits des Deiches herüberklingen und in ihrer Vielfältigkeit zeigen, wie schön es ist, wenn der Mensch einfach mal alles in Ruhe gedeihen lässt.

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