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Der Sämger Thomas Quasthoff (55)

© Bernd Brundert

Bassbariton Thomas Quasthoff: "Eine schöne Stimme reicht nicht"

Deutsche Weihnachtslieder mag er nicht, lieber hat er Dean Martin und Bing Crosby.Thomas Quasthoff über seine pubertäre Leidenszeit, Hansi Hinterseer und Demut

Herr Quasthoff, vor zwei Jahren haben Sie Ihren Rücktritt als klassischer Sänger verkündet. Das war damals sogar eine Meldung in der „Tagesschau“: Ein Weltstar hört auf.

Das war nicht meine Schuld. Ich fand’s auch übertrieben. Ein Roter-Teppich-Mensch war ich nie. Als ich damals den Quadriga-Preis gekriegt habe, da bin ich natürlich hingegangen. Als ich die Goldene Kamera gekriegt habe, auch. Bei den Grammys war ich komischerweise nie dabei. Einmal hätte ich es doch gerne erlebt. Echo, na ja, da weiß man ja, wie es zustande kommt.
Wie denn?
Da arbeiten Plattenindustrie und Medien sehr eng zusammen, mehr möchte ich dazu nicht sagen.
Die „Tagesschau“-Meldung hat Ihr Ego doch gekitzelt, oder?
Ich war, ehrlich gesagt, immer froh, wenn ich mit dem Fernsehen wenig zu tun hatte. Die Male, die ich dort aufgetreten bin, die können Sie an zwei Händen abzählen. Auf der anderen Seite zeigt so eine Meldung in den Nachrichten, dass man als Künstler einen gewissen Stellenwert hat.
Sie haben immer gern im Vordergrund gestanden, schon als Kind waren Sie der Klassenclown.
In diesem Beruf braucht es auch eine bestimmte Mentalität. Wenn Sie ein Duckmäuser sind, dann geht das nicht. Meine Eltern haben Gott sei Dank nie den Fehler gemacht, mich zu verstecken, haben mich auch nicht sonderbehandelt, ich habe genauso einen hinter die Löffel gekriegt, wenn ich Mist gebaut habe, wie mein Bruder. Sie müssen aber schon auch was können. Sonst singen Sie ja nicht 20 Mal in der Carnegie Hall. Da nützt Ihnen auch Ihre Behinderung nichts ...
… Sie wurden mit einer Conterganschädigung geboren …
... die hilft vielleicht beim ersten Mal, wenn die Leute sagen, das ist ja toll, was aus diesem kleinen Körper rauskommt, doch wenn ein halbes Jahr später der Saal wieder ausverkauft ist, dann zählt letztendlich die Leistung.
Rampensau allein genügt nicht. Ich sage auch meinen Studierenden, wer glaubt, dass eine schöne Stimme reicht, der irrt sehr. Da braucht es doch ein großes Maß an Intelligenz, an Menschenkenntnis, an Selbstbewusstsein.
Haben Sie Ihren Rücktritt je bereut?
Ich stehe ja weiter auf der Bühne, mache Lesungen, Jazz, spiele Theater. Aber eben nicht mehr als Klassik-Sänger. Mein Abschied hatte letztlich mit dem Tod meines Bruders zu tun. Er hatte Krebs an der Wirbelsäule, der schon stark gestreut hatte. Wir hatten immer eine symbiotische Beziehung, sein Tod war sehr bewegend für mich. Und eines Morgens stand ich auf, und da war meine Stimme plötzlich weg. Einfach weg.
Was ist passiert?
Ich war bei mindestens fünf Ärzten, und die sagten mir, Ihre Stimmbänder sind völlig in Ordnung. Die Stimme ist ein Spiegel der Seele. Und die Seele war zutiefst verletzt, da hat die Stimme gesagt: Dann will ich auch nicht mehr.

Die Stimme kam wieder, aber sie war nicht mehr so wie früher.
Darum habe ich Abschied von der Sängerkarriere genommen. Außerdem kam da einiges zusammen. Das Musikgeschäft ist sehr oberflächlich geworden. Wenn Sie gucken, wer heute exklusiv bei Plattenfirmen ist – die hätten vor 15 Jahren nicht die Hacken ihrer Pumps in die Tür gekriegt. Heute sind da alle Mitte 30, geben aber an wie zehn nackte Neger und feiern eine Branche, die wahrscheinlich in zehn Jahren nicht mehr existiert. Wer kauft denn noch CDs? Meine Frau sagt, wenn jetzt noch mehr CDs im Regal stehen, dann dreh ich durch. Deshalb lade ich’s mir runter, und gut ist.
Eine Jazzplatte machen Sie vielleicht schon noch?
Nee, keine ganze mehr. Wenn Sie morgens aus dem Bett steigen, und Sie gehen in L-Form ins Bad, weil der Rücken nicht mehr mitmacht, und wenn Sie dann noch auf Tournee gehen wollen, jeden zweiten Tag in einem anderen Hotelbett – das ist nicht wirklich lustig.
Sie haben sich mal selbst als Mann mit einer großen Klappe beschrieben. Und jetzt halten Sie sie?

"Die Politik unterschätzt, wie wichtig die Kultur ist"

Der Sämger Thomas Quasthoff (55)
Der Sänger Thomas Quasthoff (55)

© Bernd Brundert

Überhaupt nicht. Ich finde, dass unser Beruf als Künstler auch ein politischer Beruf ist. Und wenn Dinge passieren in diesem Land, die ich nicht für richtig halte, dann mache ich schon die Klappe auf. Beispielsweise wenn man den moralischen Zeigefinger über Herrn Putin erhebt und gleichzeitig Waffen in Krisengebiete liefert. Das ist für mich eine Scheinheiligkeit, die ich eklig finde. Wenn auf der einen Seite ein Flughafen Kosten von einer Million Euro pro Tag verursach, und ich zugleich weiß, dass unsere Musikhochschule um jede Kaffeemaschine betteln muss, dann stimmt was nicht. Die Politik unterschätzt, wie wichtig die Kultur in unserem Land ist. Wie wichtig es ist, junge Menschen zur Kultur heranzuführen.
Ist die heutige Sängergeneration anders als frühere?
Es fehlt oft an Mut zur Emotionalität. Das ist ja nicht einfach, weil es mit Loslassen zu tun hat, mit sich trauen. Manchmal fehlt es auch ein bisschen an Fleiß und an Demut gegenüber diesem Beruf. Wenn ich überlege, wie viel ich gearbeitet habe, jeden Tag hatte ich Unterricht, nebenbei noch einen vollen Job, ich war beim Rundfunk fest angestellt, habe morgens um fünf angefangen, bin nach der Arbeit zu meiner Gesangslehrerin gefahren, um eine Stunde Technik mit ihr zu machen und dann noch zwei Stunden Korrepetition. Das versuchen Sie heute mal mit einem Studenten! Ich glaube, dass Demut ein ganz wichtiger Baustein für eine Karriere ist. Ich habe zum Beispiel eine Woche nach dem Anschlag auf das World Trade Center die Saison in der Carnegie Hall eröffnet mit den Berliner Philharmonikern und Claudio Abbado, das war sehr emotional. Da standen Demut und Dankbarkeit, das machen zu dürfen, im Vordergrund. Das habe ich mir bis zum Schluss meiner Karriere bewahrt.
So ganz vorbei ist die Karriere ja nicht. Gerade haben Sie eine Weihnachtsplatte gemacht. Aber die hat gar nichts mit deutscher Gemütlichkeit zu tun, da gibt es eher Amerikanisches, Jazz.
Nur die Musik ist amerikanisch, das sind gerade vier Stücke. Die Texte, die ich da spreche, hauptsächlich Gedichte, sind deutsch. Ich habe bewusst Autoren ausgewählt, die man nicht unbedingt mit anheimelnden Weihnachtem verbindet. Es beginnt mit einem Gedicht von Bonhoeffer, das er zwei oder drei Tage vor seiner Hinrichtung geschrieben hat, das hat mich schon als Schüler begleitet und mich nie ganz losgelassen. Ich kann zwar diese Gottesfürchtigkeit nicht unbedingt nachvollziehen, aber ich bewundere sie. Dass jemand, der weiß, dass er sterben muss, so viel Trost im Glauben gefunden hat, das hat mich beeindruckt. Ich denke, die CD ist eine schöne Mischung. Mir ist vorgeworfen worden, das hätte ich nur aus Kommerzgründen gemacht. Wenn die Leute, die das kritisieren, wüssten, was man mit so einer Platte verdient, dann würden sie schnell schweigen.

Der Name Quasthoff wird sich doch verkaufen!
Nein, die Zeiten, wo man viele CDs verkauft hat, sind vorbei. Natürlich, wenn Sie Anna Netrebko oder Jonas Kaufmann heißen, dann ist das anders. Ich habe die Platte gemacht, weil ich erstens wahnsinnig gern lese, und zweitens wollte ich immer schon was zu Weihnachten machen. Aber nur unter der Bedingung, dass wir nicht deutsche Weihnachtslieder trällern.
Die Texte sind eine wilde Mischung von Rilke bis Ringelnatz. Wie kam es zu dieser Auswahl?
Ich wollte nicht so Best-of-Hits. Trakl ist mit drauf, weil ich schon in der Schule ein Referat über ihn gehalten habe und mich diese Art der Dichtung fasziniert hat. Damals in der Pubertät war ich ja so auf der nihilistischen Ebene, wir haben Celan gelesen und diese ganzen Geschichten. Wir haben Ludwig Hirsch gehört, „Komm großer schwarzer Vogel“. Brecht ist dabei, weil ich ein großer Fan von ihm bin, ich mag diese rationale Art des Schreibens. Vielleicht auch, weil ich im Brecht-Theater im Augenblick auf der Bühne stehen darf …
Als Narr in „Was ihr wollt“.
Wenn mir vor zehn Jahren einer gesagt hätte, dass ich als singender Schauspieler im Berliner Ensemble auf der Bühne stehe, dann hätte ich gesagt: „Du hast ja nicht alle Tassen im Schrank.“
Freuen Sie sich eigentlich auf Weihnachten?
Natürlich. Aber nicht wegen des Kommerzes, da mache ich seit vielen Jahren nicht mehr mit. Mit der Familie zusammenzusitzen, nett essen zu gehen – darauf freue ich mich immer. Weihnachten hat ein besonderes Flair, was ich aus Kindheitstagen noch mit herübergerettet habe.
Wie war das in den Kindheitstagen?
Vorfreude auf Geschenke, eine knisternde Atmosphäre, manchmal auch Streitigkeiten, kaum eine Zeit ist dafür so gefährdet wie Weihnachten. Aber meistens wurde bei uns gelacht. Es gab Gänsebraten. Als meine Mutter dann kränker wurde, haben wir gesagt, es darf nicht sein, dass sie vor Weihnachten in der Küche steht, darum sind wir essen gegangen. Das haben wir bis heute beibehalten. Mein Vater lebt noch in Hannover, der ist mittlerweile 87, da ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, dass wir zu Weihnachten dort sind.
Haben Sie damals unterm Christbaum gesungen?
Klar. Ich habe mit meinem Bruder viel Musik gemacht, er spielte verschiedene Instrumente, Klavier ein bisschen, vor allem Gitarre sehr gut, später Saxofon. Und mein Vater hatte ja Gesang studiert. Ich kenne unser Zuhause nicht ohne Musik.

"Ich habe mit der Institution Kirche relativ wenig am Hut"

Der Sämger Thomas Quasthoff (55)
Der Sänger Thomas Quasthoff (55)

© Bernd Brundert

Haben Sie ein Lieblingslied zu Weihnachten?
Ich mochte die amerikanischen sehr gern, weil die zwar ein bisschen kitschig sind, aber doch entspannter als diese protestantischen deutschen. Wir haben viel Bing Crosby, Dean Martin gehört.
Gibt es ein Weihnachtserlebnis, das Ihnen besonders in Erinnerung ist?
Nee. Sie dürfen eins nicht vergessen, ich bin ja lange im Internat gewesen. Und da war Weihnachten immer etwas Besonderes. Weil ich über eine längere Zeit zu Hause sein konnte.
Wann waren Sie im Internat?
Ich bin mit neun Monaten das erste Mal von zu Hause weg, weil meine Füße nach hinten standen und ich eineinhalb Jahre im Streckverband gelegen habe. Später mit Unterbrechungen in der Grundschule bis zur dritten Klasse.
Und dann, nach dem Gänsebraten und den Geschenken, sind Sie in die Kirche gegangen?
Meine Eltern waren keine großen Kirchgänger, auch ich habe mit der Institution Kirche relativ wenig am Hut.
Sie haben schlechte Erfahrungen gemacht?
Ach, ich will darüber eigentlich gar nicht reden. Ich bin meinen Weg gegangen, ich habe keinen Grund, schmutzige Wäsche zu waschen. Das gilt auch für die Kirche. Ja, es gab eine konkrete Situation, kurz nach meiner Geburt. Da hat ein Pfarrer zu meinem Vater gesagt: Stimmt es, dass du einen Krüppel zum Sohn hast? Mein Vater hat nur geantwortet: Ich habe keinen Krüppel zum Sohn, ich habe einen körperbehinderten Sohn. Aber ich wehre mich dagegen, alles über einen Kamm zu scheren. Es gibt in jedem Beruf schwarze Schafe, warum soll das bei Pastoren nicht genauso sein?
Glauben Sie an Gott?
Eher nicht. Ich bin ein zu rationaler Mensch, um an die Jungfrauengeburt zu glauben. Ich glaube an eine höhere Institution, und ich glaube an die Liebe. Ich durfte in meinem Leben immer wieder erfahren, dass menschliche Nähe und Liebe nicht nur Worte sind, sondern dass sie auch gelebt werden. Ich erlebe diese Liebe jeden Tag mit meiner Frau und meiner Stieftochter, und ich möchte meinen Hund dabei nicht vergessen. Aber an Gott glauben? Wissen Sie, wenn man sich die Welt so anguckt, dann fällt mir das schon schwer.
Man sagt immer, heute wird weniger gesungen als früher, nicht nur an Weihnachten. Stimmt das?
Definitiv. Es gibt ja jetzt sogar Kindergartenausbildung, in der nicht mehr gesungen wird. Ein absolutes Unding! Gruselig! Die Politik guckt zu. Die Hirnforschung sagt, dass Musik ein wesentlicher Bestandteil der frühkindlichen Entwicklung ist. Es ist nachweisbar, dass Menschen, die viel mit Musik zu tun haben, in ihrem seelischen und gesundheitlichen Gleichgewicht besser dastehen.
Was würden Sie tun, wenn Dieter Bohlen Sie in seine Jury einladen würde?
Ich würde nicht hingehen. Speziell diese Sendung ist damit verbunden, Menschen vor einem Millionenpublikum zu diskreditieren. Es wird inflationär mit Wörtern wie Superstar umgegangen. Ein Superstar ist einer, der es schafft, 40 Jahre oder länger in diesem Beruf top zu sein. Ich habe das Glück gehabt, einen Mann wie Sammy Davis Jr. live zu erleben, der trat auf, und ich wusste, der hätte nach zwei Minuten auf die Bühne pinkeln können, das hätten die Zuschauer auch okay gefunden. So eine Ausstrahlung hatte dieser Mann. Das sind für mich Superstars.

Können Sie einem Laien erklären, was der Unterschied zwischen einem Thomas-Quasthoff-Gesang und einem Hansi-Hinterseer-Gesang ist?
Um singen zu können, wie ich gesungen habe, brauchen Sie eine mindestens fünf- bis sechsjährige Ausbildung. Die Stimmbänder sind ja Muskeln, die trainiert werden müssen, jeden Tag. Herr Hinterseer muss nicht einen Tag üben. Der muss höchstens Texte lernen und sich diese relativ primitiven Melodien im Walzertakt aneignen.
Wenn jemand so wie Sie viel erreicht hat – ist eigentlich Ihre ganze Karriere auch ein Anrennen gegen die Behinderung gewesen? Man sagt ja, klein gewachsene Menschen sind besonders ehrgeizig.
Das ist ein Klischee: Wer schwerbehindert ist, muss leiden, muss traurig sein, schwierig, humorlos, verbittert. Das alles war ich nie. Selbstverständlich habe ich Leidenszeiten gehabt, zum Beispiel in der Pubertät, als alle mit Mädchen anfingen und ich erst mal in die Röhre guckte. Ich würde Sie anschwindeln, wenn ich sagte, das hätte mich kalt gelassen. Aber ansonsten hatte ich nie das Gefühl, gegen etwas ankämpfen zu müssen. Wenn ich heute mein Leben betrachte, bin ich sehr zufrieden. Ich habe eine ganz, ganz tolle Frau an meiner Seite.
Was macht die beruflich?
Sie arbeitet in einem Goldschmiedeladen und war zuvor Journalistin. Wir haben uns bei der Talk-Sendung „Riverboat“ kennengelernt. Ich bin mit ihr seit acht Jahren verheiratet, Tendenz bleibend. Außerdem habe ich keine finanziellen Sorgen, und ich darf immer noch auf der Bühne stehen. Ich glaube, ich habe nicht alles verkehrt gemacht.

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