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Die bekannteste Baumstachler-Art ist der Urson aus Nordamerika.

© imago/imagebroker

Baumstachler im Tierpark: Freunde des Müßiggangs

Baumstachler müssten eigentlich Faulstachler heißen. Wenn sie sich mal bewegen, versteht man auch, warum sie lieber durch den Tag gammeln.

Ist das eine Art, Gäste zu begrüßen? Hocken die beiden – Oskar und Anni gerufen, aber nicht darauf hörend – hocken die beiden im Wipfel, nahezu unbeweglich, mit dem Gast zugewandten Rücken. Einmal kratzt sich Oskar mit seinen dicken, festen Krallen, und dann fällt etwas aus seinem hinteren Körperteil, das am Boden aussieht wie Hasenköttel. Mann, Baumstachler Oskar, Gastfreundschaft sieht anders aus.

Baum who? Baumstachler, auch „Urson“ genannt, sieht aus wie ein Stachelschwein, lebt aber überwiegend auf dem Baum. Am Mittag, als der Pfleger das Mahl aufträgt, Obst, Möhren, Salatblätter, kommt etwas Bewegung in Oskar und Anni, doch der Eindruck überwiegt, dass der Baumstachler eigentlich Faulstachler heißen müsste. Wenn er sich mal bewegt, versteht man auch, warum er und seinesgleichen lieber durch den Tag gammeln. Baumstachler sind, nun ja, nicht gerade behände. Auf dem Boden sind sie langsam, nahezu tapsig.

Und, du lieber Stachelschweingott, warum nur hast du sie auf den Baum geschickt, wo sie doch so lausige Kletterer sind? „Evolutionär dürfte das zwei Gründe haben“, sagt Florian Sicks, Kurator für Säugetiere im Tierpark, „Feindvermeidung und Nahrungserwerb, im Baum sind sie den Blättern und der Rinde nahe.“ Faul eben, zu faul, selbst fürs Fressen die Pfote zu heben. Oder auch ökonomische Hedonisten: Warum sich anstrengen, wenn einem die Blätter ins Maul wachsen? Und warum auch die angebotenen Energiespender Obst und Gemüse annehmen, wenn man den Energieverbrauch auch mit wenig Bewegung reduzieren kann? Der Bewegungsradius eines ausgewachsenen Baumstachlers reicht von Höhle zu Baum und Baum zu Höhle.

Kuscheln hat Folgen

Unsere Freunde des Müßiggangs, Neuberliner beide, er aus Aachen, sie aus Ungarn, lieben und leben es auch ansonsten bequem. Nordamerika ist ihre ursprüngliche Heimat, trotzdem ist ihnen unsere feuchte Berliner Luft etwas unangenehm. Für diesen wirklich ungemütlichen klimatischen Fall ziehen sich die Baumstachler gerne in ihre Höhlen mit Fußbodenheizung zurück.

Kuscheln hat Folgen. Und wehe dem, der dieses Kuscheln stören wollte. So gemütstierisch die Baumstachler sein mögen, so wehrhaft sind sie auch. 30 000 Stacheln hat jeder einzelne von ihnen, die haben Widerhaken und schmerzen einen finsteren Angreifer gewaltig. Mit einer Guerilla von 30 000 Nadelstichen lässt sich schon etwas ausrichten gegen das imperiale Gehabe von Pumas oder anderen sinistren Gestalten. Nur der Fischermarder ist zu fürchten, weil er schneller klettert und schneller zupackt als die Stacheln sich aufstellen.

Aber der Fischermarder lebt hier nicht. Weswegen niemand die Kuschelei störte, und auch nicht anklopfte, als es nicht beim Kuscheln blieb. Vor fünf Wochen wurde Jungbaumstachler geboren, man wisse immer noch nicht, welchen Geschlechts der Nachwuchs ist, sagt Sicks. So ein Jungbaumstachler kommt als ziemlich fertiges Geschöpf auf die Welt, die Stacheln, die im Bauch zum Schutz der Mutter weich waren, werden nach einer Stunde abwehrbereit hart. Und in einem anderen Punkt, in einem nicht unwesentlichen in den Lebensvorstellungen derer von Baumstachel, hat Klein-Anni Oskar schon angelernt: Beim Antrittsbesuch mied der Nachwuchs Menschenaufläufe und schlieffaulte nur, wahrscheinlich genüsslich, in der Höhle.

BAUMSTACHLER IM TIERPARK

Lebenserwartung:  etwa 15 Jahre

Interessanter Nachbar: Bison

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