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Ganges-Gavial

© Illustration: Andree Volkmann

Berliner Schnauzen (22): Der Ganges-Gavial

Eigentlich findet Thomas Warkentin, dass Ganges-Gaviale so wie alle Reptilien keine Namen tragen sollten.

Weil sie keine Schoßhunde sind, sondern wilde Tiere, die auch im Zoo so wild wie möglich bleiben sollen.

Andererseits haben Namen einen großen Vorteil. Drei Gaviale, eine Untergattung der Krokodile, leben im Zoo, und der Pfleger Warkentin kann jedes Tier einzeln aufrufen und ihm genauso viele Fische zwischen die spitzen Zähne schieben, wie er es für richtig hält. So verhindert er, dass sich unter den Tieren eine Rangordnung etabliert, die sich seiner Kontrolle entzieht. Die dafür sorgen könnte, dass ein Tier den meisten Fisch und den besten Sonnenplatz bekommt und ein anderes auf der Strecke bleibt.

Warkentin hat sich also vor seinen Computer gesetzt und indische Frauennamen gegoogelt. Für Asha, Kali und Uma hat er sich entschieden, sie sind kurz und klingen unterschiedlich. Krokodile an Namen zu gewöhnen, ist eine fast unmögliche Aufgabe, zumal bei Tieren, die wie Asha, Kali und Uma jenseits der 20 sind. Doch Warkentin ist optimistisch. „Ich bilde mir ein, dass es schon Erfolge gibt.“

Drei Weibchen also. Das ist für den Zoo einerseits ein Glücksfall, weil es kaum noch Ganges-Gaviale gibt. In ihrer ursprünglichen Heimat, den Flüssen des indischen Subkontinents, sind sie durch exzessive Bejagung und ebenso exzessive Zerstörung ihres Lebensraumes fast ausgerottet worden.

Andererseits ist der Männermangel, rein wissenschaftlich betrachtet, bedauerlich. Ganges-Gaviale sind die einzigen Krokodile, bei denen Männchen und Weibchen sich äußerlich unterscheiden. Den Männchen wächst auf der Spitze der Schnauze eine Knolle, die den Gavialen ihren Namen gegeben hat. „Ghara“ heißt in Indien ein kleiner Kochtopf.

Auch ohne Topf ist die schmale, schnabelartige und von Dutzenden freiliegenden Zähnen gesäumte Schnauze das auffallendste Merkmal der bis zu sechs Meter langen Ganges-Gaviale. Verglichen mit den Breitmäulern eines Nil-Krokodils wirkt sie beinahe zerbrechlich, doch Gaviale wollen auch keine Zebras unter Wasser zerren. Mit blitzschnellen Kopfbewegungen schnappen sie nach Fischen, und die Stielform erzeugt kaum Wasserwiderstand.

In Indien hatten die Ganges-Gaviale lange Zeit einen schlechten Ruf. Das lag daran, dass im Magen der Tiere immer wieder Ringe, Armbänder und andere Kleinode auftauchten, die eindeutig einen Menschen geschmückt hatten, bevor sie ihren Weg in den Verdauungstrakt der Krokodile fanden.

Doch auch wenn diese Indizien eine klare Sprache zu sprechen scheinen: Menschen haben von Ganges-Gavialen wenig zu befürchten, zumindest die lebenden. Der Schmuck stammt vermutlich von den Leichen frommer Hindus, die auf ihrer letzten Reise den heiligen Fluss hinabtreiben und die Fischfresser zu einer spontanen Erweiterung ihres Speiseplans einladen. Schon in Brehms Tierleben heißt es, der Ganges-Gavial wäre eben kein Krokodil, „wollte er einen anderen, nicht der Klasse der Fische angehörigen fetten Bissen verschmähen“.

GANGES-GAVIAL

Lebenserwartung:  bis zu 70 Jahre

Exklusiv: Der Zoo ist der einzige deutsche Tierpark, in dem Ganges-Gaviale leben.

Interessanter Nachbar: Krokodilkaiman, Borneo-Flussschildkröte

Vorherige Schnauzen: Das Faultier, der Brillenbär, der Erdwolf

Paul Munzinger

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