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In der Berliner Seekuhgruppe leben vier Tiere.

© Paul Zinken/dpa

Berliner Schnauzen: Sie ist der Mops der Meere

Es muss sich um eine Verwechslung handeln, vielleicht gar um den größten Irrtum der Menschheit. Seekühe heißen auch: Sirenen.

Von Julia Prosinger

Nun schaut sie euch an, diese „Sirene“, wie sie tonnenschwer im Tierpark-Bassin hängt. Verkümmerte Seitenflossen mit Resten von Fingernägeln, die daran erinnern, dass die Seekuh einst an Land lebte, baumeln von einem walzenförmigen Körper herab. Das Wasser kann die Seekuh nicht mehr verlassen, sie würde sich mit ihrem eigenen Gewicht erdrücken. Nicht mal vorwärts robben könnte sie, ohne Beckenknochen keine Chance.

Schilderwelse knabbern an ihrem algigen Rücken, Speckrollen ersetzen den Hals, die Augen sind arg winzig ausgefallen für den teigigen Kopf. Überhaupt, dieses zerknautschte Gesicht... und singen kann sie schon gar nicht. Die Seekuh ist, so muss es heißen, der Mops der Meere.

Die spinnen doch alle!

„Sirene“ – das kann nur ein Irrtum sein! Zumal sich Seekühe vielerorts aufhalten – im Indischen Ozean, da nennt man sie Dugongs, im Roten Meer, im Pazifik, wo sie Manatis heißen, und im Winter in warmen Flüssen – aber niemals im Mittelmeer. Odysseus kann ihnen nicht begegnet sein. Wohl aber Christoph Kolumbus, der sie von Weitem für Meerjungfrauen hielt. Die spinnen doch alle.

Es sei denn, sie hätten bis auf den Grund geblickt, hätten die Seekuh schweben gesehen, immer wie in Zeitlupe, als wäre sie kein dicker Mops, sondern eine Feder. Die langgestreckte Lunge garantiert ihr gleichmäßigen Auftrieb, mit zugeklappten Nasenlöchern hält sie es zwanzig Minuten unter Wasser aus. Es sei denn, die Männer hätten sich in den wahren Charakter der Seekuh verliebt. Sie ist ein Wesen, das nichts stört, keine Taucher im Becken, ein Wesen, das nichts wütend macht, kein Rivale in der Balz, das nichts aufwühlt. Die Seekuh ist. Das reicht doch auch. Beim Sex gleitet der Seekuhbulle – was für ein unsinniges Wort! – über die aufnahmebereite Seekuhkuh hinweg. Gebärende Kühe „verlieren“ das Kalb, ohne Anstrengung lassen sie es aus sich heraus. Krank wird die Seekuh nicht. Feinde hat sie keine. Haien und Krokodilen ist sie viel zu fett. Nur Motorboote brettern über sie hinweg, weshalb amerikanische Rettungszentren voll sind mit zersäbelten Seekühen.

Die Seekuh kuschelt gern, auch Therese im Tierpark. Sie schwebt heran, umschließt mit amöbenhaften Lippen und weißen Borstenhaaren ein Stück Aubergine, schiebt es über Hornplatten zu den Backenzähnen, kaut bedächtig. Wie bei ihren nächsten Verwandten, den Elefanten, den anderen Dickhäutern, wachsen Seekuhzähne horizontal nach, die alten zerbröckeln. Seekühe und Elefanten verdauen ähnlich, tragen lange, säugen ihre Kinder zwischen den Vorderextremitäten und leben vegan. In wilden Gewässern weidet die Seekuh violette Wasserhyazinthen ab, streckt sich träge nach hängenden Mangrovenblättern. Im Tierpark frisst sie Unmengen Gras oder 50 Salatköpfe am Tag. Das Grünzeug und die große Filteranlage, die 200 Kubikmeter Wasser durchsiebt, machen die Seekuh teuer.

Da! Nun tut sich doch was. Therese rollt sich auf die Seite. Eine Revolution? Es muss ein Irrtum sein. SEEKUH IM TIERPARK

Lebenserwartung:  40–50 Jahre

Jungtiere:  Bislang nur Totgeburten

Interessanter Nachbar: Tamandua

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