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Ein Minimalist: der Serau.

© Illustration: Andree Volkmann

Berliner Schnauzen (75): Japanischer Serau

Welches Tier meint der Japaner, wenn er von einem Kuhdämon redet? Natürlich einen Serau.

Peggy hält lieber einen großzügigen Sicherheitsabstand von mehr als zehn Metern. Wenn ihre Nervosität zunimmt, pfeift sie laut, mehrmals hintereinander, und zieht sich zurück. Noch blickt sie nur skeptisch.

Akita ist schon neugieriger, sie kommt auf drei Meter heran, ihre schwarzen Kulleraugen schauen Reviertierpfleger Christian Möller an, als er die Anlage betritt, sie wittert mit der knopfgroßen Nase und wippt mit dem Kopf auf und ab.

„Das ist eine Übersprungshandlung“, sagt der Pfleger, und auch ein bisschen ein Hinweis: „Geht jetzt mal weg, ihr wart lange genug hier!“

Seraus sind nicht nur Einzelgänger, sie sind Minimalisten. Zu viele Tiere oder Menschen in ihrer Nähe, das mögen sie gar nicht. Selbst zwei Artgenossen auf einer Anlage, das geht nur, weil beide Weibchen genügend Möglichkeiten haben, sich nicht ständig sehen zu müssen.

Ein sanfter Hügel zieht sich durch das Gehege im Erweiterungsgelände des Zoos. Bäume spenden Schatten, Gräben bieten Verstecke. Besucher sehen die graubraunen Ziegen manchmal nicht, bei nur oberflächlichem Blick ins Gehege.

Bloß keine Äpfel!

Wenn ein Serau zu viel Stress hat, verweigert er die Aufnahme von Nahrung. Auf die man sowieso achten muss. Rüben, Sellerie, Möhren, das ist gut.

Obst wie Äpfel oder Birnen ist schlecht, viel zu exotisch für die Minimalisten. Kräuter wie Thymian helfen ihnen, den Magen zu reinigen und keinen Durchfall zu bekommen. Haferflocken bekommt die dreijährige Peggy, damit sie kräftiger wird.

In ihrer Heimat, den japanischen Gebirgen, wo es in 3000 Metern schon mal knackige 30 Grad unter null werden, fressen sie Knollen, Wurzeln, Gräser.

Lecker Salz

Die Puristen sind wie die Bauern, die nichts anrühren, was sie nicht kennen. Wenn Seraus etwas Leckeres möchten, lecken sie Steine am Wegesrand oder den Salzstein im Stall ab. Hm, Mineralien.

Nachts schlafen die beiden Weibchen getrennt. „Seraus sind richtige Autisten“, sagt der Tierpfleger. Gäbe es nicht den Sexualtrieb, würden sich die kuschelig aussehenden Tiere selten über den Weg laufen.

Und wie es sich für Einsiedlertiere gehört, gebärt das Weibchen nur ein Jungtier. Mehr kann sie in der kargen Bergwelt nicht durchbringen.

Auch ein schöner Name: Wollhirsch

In Japan gehören Seraus zum Naturerbe. Der Staat wacht über sie wie die Chinesen über die Pandas. Inzwischen ist der Serau nicht mehr von der Ausrottung bedroht.

Sein urtümliches Aussehen – er ist so groß wie eine Ziege, hat ein dichtes Fell wie ein Schaf und einen buschigen grauen Backenbart, der von Weitem an einen Wolf erinnert – sichert ihm einen Platz in der einheimischen Mythologie. Je nach Region wird er Wollhirsch oder Kuhdämon genannt.

Schüler mit Prüfungsangst kaufen sich Amulette mit Serau-Hufen als Glücksbringer. Wie europäische Gemsen sind Seraus geschickte Kletterer und rutschen mit ihren Hufen selbst im unwegsamen Gelände nicht aus – diese Sicherheit wünschen sich Mathematik-Absolventen für ihre Kurvendiskussion.

In europäischen Zoos sind Seraus eine Seltenheit. Weil sie nicht zu den Attraktionen wie der Elefant gehören, haben sie nur wenige Fans – aber die wissen alles, sagt Möller. Mag er die Damen mit dem grauen Bart? „Sie sind mir schon ans Herz gewachsen.“

JAPANISCHER SERAU IM ZOO

Lebenserwartung:  20–25 Jahre

Fütterungszeiten:  täglich gegen 15 Uhr

Interessanter Nachbar: Parmakänguru, Emu, Przewalskipferd

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