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Boaz Berman und die Wellen: Der stille Surfer von Tel Aviv

Er ist als Musiker ein Star, seine Performance-Gruppe bereist die Kontinente. Doch am glücklichsten ist Boaz Berman am Meer.

Boaz Berman federt über den Strand von Tel Aviv. Der große schlanke Mann, vor einem halben Jahr 50 geworden, geht über den Sand, langsam, als würde in seinem Kopf ein schlurfender Reggae-Rhythmus laufen und nichts vom Klick-Klack-Trommelfeuer der Beach- Tennis-Spieler an sein Ohr dringen. Er geht rüber zur Marina, wo Yachten und Segelboote in der Sonne glänzen.

Berman zeigt nach links, wo Taucher hinter den Wellenbrechern üben, „da bin ich als Kind oft rausgeschwommen“, schaut nach rechts, wo ein Segelboot aus dem Hafen ausläuft, „hab ich als Jugendlicher auch gemacht, ein Tag, eine Nacht, und du bist drüben in Zypern“. Erzählt von Australien, wo er gerade drei Monate an der Gold Coast war, „fantastische Strände“, sagt er, als wäre es das, worauf es ankommt, und guckt neidisch auf die Stand-Up-Paddler, die auf einem Surfbrett das offene Meer erreichen. „Wenn ich frei habe, paddle ich zwei Stunden an der Küste entlang.“ Life's a beach, das wäre für Boaz Berman das Größte. Aber natürlich ist das Leben viel mehr.

Der Israeli trägt Sandalen, kurze Hose, T-Shirt, alles in gedeckten Farben. Seine Kleidung signalisiert den Wunsch, nicht auffallen zu wollen, trotzdem bekommt er in Israel mehr als genug Aufmerksamkeit. Boaz Berman hat Mitte der 90er Jahre die Performancegruppe Mayumana mitgegründet. In den 15 Jahren ihres Bestehens hat sie auf beinahe allen Kontinenten gespielt, am Broadway ein mehrwöchiges Gastspiel gegeben, in Madrid jahrelang ein eigenes Theater unterhalten und von Brasilien bis Australien ziemlich jede Bühne beschallt.

Mayumana ist ein Exportschlager Israels, ein Nationen übergreifendes Kulturprojekt, wo man sich nicht schert, ob jemand Araber, Israeli, Holländer oder Venezolaner ist. Hauptsache, die Darsteller können singen, ihren Körper verbiegen und mit ihm wie auf einem Instrument spielen. So bedeutend ist die Gruppe, dass sie neben Barbra Streisand auftrat, als Präsident Shimon Peres Mitte Juni seinen 90. Geburtstag feierte. Ab nächster Woche gastiert Mayumana an der Komischen Oper Berlin, um ihre Mischung aus Gesang, Tanz und Musik aufzuführen.

Für Boaz Berman hat der Weg auf die Bühne am Strand angefangen. Seine leise Stimme widerspricht dem Bild des knallharten Kerls, wenn er erzählt, wie er in den 60er Jahren den Nordau Boulevard im Norden Tel Avivs entlanggegangen ist, mit seinen Eltern an der Hand, hinunter zum Strand, der wie eine goldene Platte zwischen der weißen Stadt und dem blauen Mittelmeer liegt – damals wie heute. Er erinnert sich an den Geruch der Pfirsiche, die seine Mutter mitgenommen hatte, die Sandwiches mit den hartgekochten Eiern und die Luftmatratze, auf der er als Kind auf den Wellen schaukelte. „Da habe ich gelernt, auf dem Wasser zu reiten“, sagt er.

Als er zehn Jahre alt ist, sieht er die ersten Surfer, die auf ihren Brettern das Wasser bändigen wollen – wenigstens für ein paar Sekunden. Er lernt schnell, „dieser Einklang mit der Natur, du willst sie ja nicht beherrschen, sondern mit ihr eins sein“, das begeistert ihn. Seinen Körper trainiert er, um ihn dem Element besser anzupassen. Tauchen, Schwimmen, Segeln, Surfen, es gibt keine Sportart auf dem oder im Wasser, die ihn nicht begeistert. Seine schönsten Momente, so sagt er heute, hat er, wenn er im Neoprenanzug auf dem Meeresboden sitzt und den Luftblasen zusieht, wie sie langsam an die Oberfläche steigen.

Es ist zehn Uhr morgens am Gordon Beach. Wie der Doppelgänger eines jüngeren Boaz Berman kommt ein bärtiger Mann im Taucheranzug aus dem Wasser, in der einen Hand hält er eine Harpune, in der anderen einen Draht, an dem fünf silbrige Fische baumeln. Sind alle Tel Aviver ein bisschen Berman?

Der Mayumana-Gründer öffnet das Tor der Marina, der Wachmann in dem kleinen Häuschen steht nicht einmal von seinem Stuhl auf, schaut nur skeptisch. Berman geht in Richtung Mole. Am Ende wacht ein grün-weißer Leuchtturm, Boaz Berman kann ihn gut sehen, als er sich auf einen Stuhl im Restaurant Fortuna setzt. Er wirkt zufrieden unter der Sonne und der fönwarmen Luft um ihn herum.

„Ich habe keine schlechten Erinnerungen an das Meer“, erzählt er, „obwohl ich schon beinahe ertrunken wäre.“ Vor ein paar Jahren war er auf den Malediven, trotz einer Entzündung in der Schulter ruderte er mit den Armen hinaus auf das Meer, das Brett wurde von einer meterhohen Welle erwischt, die Strömung riss Berman nach unten. „Wie in einer Waschmaschine wurde ich herumgewirbelt.“ Er griff nach der Leine, die um seinen Fuß gebunden war und ihn mit dem Surfbrett verband, zog sich an der Leine zum Brett, weil er wusste, dass dieses oben schwamm, er kam an die Oberfläche, gerade bevor eine zweite riesige Welle anrauschte, dann eine dritte, aber er konnte Luft schnappen und überlebte. „Ich bin beinahe ohnmächtig geworden, aber auf dem Wasser geblieben und sofort wieder aufs Brett gestiegen. Wenn du in so einem Moment rausgehst, gehst du nie wieder rein.“

Ist Boaz Berman süchtig nach Adrenalin? „Ja“, gibt er zu. „Aber nicht mehr so wie früher.“ Vor fünf Jahren hat er einen schweren Snowboardunfall überlebt, als er sich in Österreich gleich am ersten Urlaubstag überschlug. Der Arzt musste ihn per Helikopter aus dem Skigebiet fliegen, Berman brach sich einige Rippen und litt unter einer Fraktur am Rückenwirbel. Aber wozu gibt es Schmerztabletten? Und so ging er zwei Tage später wieder auf die Piste. Wie ein kleiner Junge, der sich beweisen muss, dass er es besser kann als die anderen. Zurück in Israel musste er einen Monat das Bett hüten, auf Sport verzichten, er begann mit Yoga und lernte seinen Körper zu zähmen.

Heute ist er ruhiger geworden. Er tritt nur noch selten auf, koordiniert die Mayumana-Gruppe als graue Eminenz und geht lieber an den Strand – morgens oder abends surfen, wenn die Sonne noch nicht so brennt und die Touristen wie gestrandete Wale im Wasser planschen.

„Was mir am Strand gefällt“, sagt er, als ein Flugzeug über das Wasser donnert, um am alten Flughafen zu landen, „dass Politik hier nie eine Rolle gespielt hat." Wie eine natürliche Zuflucht vor der Unbill da draußen kam ihm dieser Ort vor. Wenn er auf das Wasser hinaussah und die Stadt im Rücken hatte, hätte er überall sein können: in Spanien, in Italien, eben nicht in Israel, wo die politische Lage angespannt war. Natürlich musste er zur Armee in den frühen 80er Jahren, er war für die technische Wartung von Gerätschaften verantwortlich, als andere in den Libanon zogen. „Ich habe nicht gekämpft.“ Mehr sagt er dazu nicht.

Drei Jahre Wehrdienst, die Eltern sind bereits tot – dann muss Boaz Berman erst mal raus. Zwei Jahre lang fährt er durch die USA, natürlich mit Surfbrett und Wind im Haar. In Miami geht er mit einem Freund in die Clubs, als Madonna mit „Holiday“ ihren ersten Hit landet. Die Jungs schlafen ein paar Monate in einem Auto, gehen tagsüber an den Strand, dann treffen sie ein Paar mit einem Cadillac und fahren gemeinsam nach Kalifornien. „Das Surfbrett auf dem Dach, mitten durch die Wüste.“ Als Berman den Pazifik sieht, die Scheinwerfer, die nachts den Strand beleuchten, damit die Surfer die Wellen sehen, da denkt der Israeli: Das ist das Leben.

Bis der Frust kommt. „Ich wollte ja kein Strandpenner werden.“ Boaz Berman geht zurück, studiert Industriedesign und Musik in Jerusalem. Er entsinnt sich, wie er mit acht Jahren seine Mutter nervte, weil er Drums lernen wollte, auf Töpfen und Pfannen herumklapperte, und schließlich die richtigen Rhythmen mitklopfte, wenn seine Mutter Klavier spielte. Während er Percussions in Jerusalem studiert, kauft er sich seine ersten Bongos und schließt sich drei Tage mit Platten von Santana ein, bis er die Musik mitspielen kann und seine Finger bluten. Er hebt die Hände, zeigt die Hornhaut an seinen Fingerkuppen – so wie Soldaten ihre Kriegswunden vorführen.

Weil Boaz Berman alles, was er anpackt, mit einer Besessenheit macht, die an Perfektion grenzt, sei es nun Surfen, Tauchen oder Musik spielen, wird er in den 90er Jahren einer der gefragtesten Studiomusiker des Landes. Auf über 120 Alben hinterlässt er seine Spuren. Er beginnt junge Musiker zu unterrichten und lernt dabei Eylon Nuphar kennen. Die junge Frau ist wie er von Percussions begeistert, nur sieht sie noch andere Möglichkeiten, aus der gemeinsamen Leidenschaft eine neue Form von Unterhaltung zu gießen.

„Als wir Mayumana 1996 erdachten, waren wir auch privat ein Paar. Als die erste Aufführung zwei Jahre später stattfand, waren wir nicht mehr zusammen.“ Tagsüber proben, nachts die Videos auswerten, das zehrte an den Nerven und der Beziehung. Heute sind beide Freunde und längst in anderen Beziehungen. Boaz Berman ist mit einer Frau aus Singapur verheiratet, von der jeder Mitarbeiter bei Mayumana schwärmt, weil sie so hervorragend kochen kann.

Inzwischen ist die Gruppe ein Selbstläufer. Ihre Show „Momentum“ läuft seit Monaten erfolgreich in Jaffa, wo Mayumana ein altes Lagerhaus zu einem Theater umgebaut haben. Im Untergeschoss proben die Künstler, die Handwerker zimmern daneben an den Requisiten für die Bühne, die eine Etage darüber jeden Abend Besucher aus aller Welt anzieht.

Boaz Berman hat nun Zeit für andere Ideen. „Einmal pro Woche träume ich davon, ein Haus am Strand zu haben.“ Im Moment wohnt er zehn Minuten Fußweg vom Gordon Beach entfernt, in dem alten Viertel, wo er aufgewachsen ist. Er kann sich vorstellen, ein Stück Land zu kaufen, „in Costa Rica, Australien oder Israel“, und darauf eine Kommune zu gründen. Er denkt an Musiker, Tauchlehrer, Tänzer, die er mitnehmen würde, Freunde, die bereits zugesagt haben und Workshops für Touristen oder Surflehrgänge anbieten würden. Es wäre der ideale Ort für den ultimativen Traum: Life’s a beach.

Mayumana tritt vom 9. bis zum 21. Juli in der Komischen Oper auf.

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