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Dezember 2015. Fraenkelufer

© Dahmen

Das Jahr in Fundstücken: Handschuh, Mieder, Mütze - du fehlst mir so!

Eine Mütze auf der Straße, ein aufgehängter BH, ein herrenloser Hut – was ist denn da passiert? Ursula Dahmen hat Fotos von Fundstücken aus zwölf Monaten zu einem speziellen Rückblick auf Berlin im Jahr 2015 zusammengefügt.

Das größte Glück in dieser Angelegenheit widerfuhr ihr Ende Mai, in der Alten Jakobstraße in Kreuzberg. Da entdeckte die Artdirektorin des Tagesspiegel an einem Fahrradständer gleich neben der Kita ihre rote Strickmütze. Seltsam war, dass sie die schon mindestens ein halbes Jahr zuvor verloren hatte. Auf keinen Fall konnte die Mütze in all den Wochen, die seitdem verstrichen waren, unbemerkt an jenem Fahrradständer gehangen haben. Egal, Ursula Dahmen hatte die Mütze sehr gern. Und nun war sie wieder da. Oder vielleicht doch nicht?

Ein kleiner Zweifel blieb. Bist du wirklich dieselbe? Oder nur die gleiche? Wer mag sich schon eine wildfremde Mütze aufsetzen? Der Verlust hatte sie jedoch geschmerzt. Und ihre Sinne besonders geschärft. Seit Januar registrierte unsere Kollegin sehr genau, wenn irgendwo ein besitzloser Gegenstand herumlag.

Besitzlos ist übrigens ein juristischer Begriff, der Dinge bezeichnet, von denen der ursprüngliche Besitzer gerade nicht weiß, wo sie sind. „Wer eine verlorene Sache nur zur Besichtigung aufnimmt und sofort wieder hinlegt, ist nicht Finder und begeht deshalb auch keine Pflichtverletzung.“ So heißt es im „Staudinger“, einem von Juristen geschätzten Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch.

Ursula Dahmen hob nichts auf, sondern fotografierte alle Gegenstände, die sie auf den Straßen und Bürgersteigen ihrer Umgebung bemerkte. Sie hörte auch nicht auf, als sie die eigene Mütze wiederfand – inzwischen ist sie sich sicher, dass es wirklich ihre ist. Auf diese Weise entstand ein ganz eigener Jahresrückblick. Und wer genau hinschaut, wird kleine Dramen entdecken.

Der selbe Mülleimer, jetzt aber mit Mieder

Am Anfang waren da vor allem Handschuhe, logisch, es war Winter, aber auch Schals und Mützen. Einen Handschuh hatte der Finder – wie gesagt, dieser Terminus ist rechtlich noch ein wenig unscharf, solange der Gegenstand nicht mitgenommen wird – um ein Geländer in der Grimmstraße drapiert. Oder war es der Verlierer selbst gewesen, der ihn dort deponiert hatte, um mit bloßer Hand irgendetwas zu erledigen? Und dann muss er den Handschuh vergessen haben. So wie jener unglückselige Mensch, der sich im Februar seiner Socken und Schuhe entledigte, um Letztere auf einem Mülleimer abzustellen – eine Socke lag achtlos daneben. Derselbe Mülleimer, über dem im November ein Mieder hing. Ein Mieder!

Wer platziert einen BH über einem Fahrradständer an der Dieffenbachstraße (Juni)? Und was bekam der Junge zu Hause zu hören, der seinen Schuh auf einer Bank auf dem Sportplatz Züllichauer Straße abstellte, während er sich wohl seine Sportschuhe anzog? Mit denen er dann heimwärts stiefelte. Das sind so kleine Geschichten. Für die normalerweise keiner ein Auge übrig hat.

Ursula Dahmen - Idee, Fotos; Text: Andreas Austilat

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