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Szene aus dem Programm "Tour de Trance" von 1960.

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Das politische Kabarett: Zum Schießen!

Seit 1956 ist die Lach- und Schießgesellschaft die berühmteste Kleinkunstbühne der Republik. Was ist geblieben vom Esprit der Anfangsjahre?

Ja, es gibt diese Momente (ach was: Stunden!), in denen man das politische Kabarett für tot halten könnte. Momente, in denen sich der Besucher der Münchner Lach- und Schießgesellschaft umblickt in dem engen Raum und um sich herum Menschen sitzen sieht, die phänotypisch ein wenig an die Mitglieder des SPD-Ortsvereins Giesing erinnern: graue Haare, ausgeleierter Pulli und im Blick die grimmige Entschlossenheit, Angela Merkel und Markus Söder doof zu finden.

Auf den Tischchen im Zuschauerraum stehen Weißwein und Oliven, auf der Bühne ein Mensch namens Robert Griess, der sich gerade über Sigmar Gabriel als „lebende Hüpfburg“ lustig macht und über Alexander Dobrindt als „Horrorclown des Verbraucherschutzes“. Wenig später enthüllt er noch, dass Merkel, wenn sie angeblich SMS in ihr Handy tippt, in Wahrheit „die Fernbedienung für Thomas de Maizière“ in der Hand hält. Er sagt: „Thomas die Misere.“ Haha.

Nun wäre es natürlich ungerecht, aus der Vorstellung eines aufrechten und etwas biederen Kabaretthandwerkers wie Robert Griess (dessen Nummern an diesem Abend durchaus gut ankommen) auf den Zustand des politischen Kabaretts im Allgemeinen und der Lach- und Schießgesellschaft im Besonderen zu schließen. Das Gastspiel des Kölners Griess beweist nur, dass es so etwas auch heute noch gibt, 60 Jahre nach Gründung von Deutschlands berühmtester Kabarettbühne: Kleinstkünstler, die in der gleichen Art über Politiker spotten, wie das Dieter Hildebrandt und Klaus Havenstein über den Bundeskanzler Adenauer getan haben, in den 50er Jahren. Damals allerdings – und das ist der Unterschied zu heute – waren solche Respektlosigkeiten neu, frech und politisch brisant.

Ist das Kabarett wirklich tot?

In Wahrheit hat sich das politische Kabarett enorm weiterentwickelt, und wer wissen möchte, welche Richtung es gerade nimmt, könnte sich zum Beispiel mit Dieter Hanitzsch unterhalten, der von Beruf politischer Karikaturist ist und seit genau 55 Jahren jedes Programmheft der „Lach- und Schieß“ bebildert hat. Der Mann ist nicht nur einer der bekanntesten deutschen Zeichner, sondern auch ein durch und durch politisch denkender Mensch und überdies Mitglied einer beliebten Talkshow im Bayerischen Fernsehen.

Dieter Hanitzsch also hat einen gewissen Überblick über die Geschichte der Schwabinger Kleinkunstbühne, und wenn man ihn mit der Frage konfrontiert, ob sich das politische Kabarett womöglich doch überlebt habe, kann er beinahe ärgerlich werden: „Ich kann’s nicht mehr hören. Das Kabarett ist tot – dieser Satz gehört zum Standardrepertoire der Feuilletons, alle paar Jahre kommt er wieder.“

Gerade heute, sagt Hanitzsch, erlebe diese Kunstform aber eine besonders lebendige und intensive Phase. Das aktuelle Ensemble der Lach- und Schießgesellschaft pflege einen ganz neuen Stil. Die Namen der Kabarettisten kennen wahrscheinlich nur Insider – sie heißen Caroline Ebner, Norbert Bürger, Sebastian Rüger und Frank Smilgies. In ihren Nummern kommen Politiker überhaupt nicht vor, dafür werden die Abgründe der Gesellschaft und der Politik auf sehr böse, manchmal künstlerisch-absurde Weise ausgeleuchtet.

Dieter Hanitzsch meint Szenen wie diese: Zwei Griechenland-Urlauber schlendern abends am Strand entlang, auf der Suche nach ihrem betrunkenen Kumpel. Sie stoßen auf einen leblosen Körper. „Der ist es nicht.“ Der nächste Tote im Sand – „der ist es auch nicht“. Sie lassen die Menschen liegen, suchen weiter. Auch so kann man das Flüchtlingsthema auf die Bühne bringen.

Das Ensemble der Lach- und Schießgesellschaft 1964 mit Dieter Hildebrandt (Brille) und Sammy Drechsel (direkt darunter).
Das Ensemble der Lach- und Schießgesellschaft 1964 mit Dieter Hildebrandt (Brille) und Sammy Drechsel (direkt darunter).

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Vor 60 Jahren auf einen kleinen Bühne in Altschwabing fing alles an

Kaum zu glauben, dass es die Münchner Lach- und Schießgesellschaft tatsächlich geschafft hat, in einem so flüchtigen Themengebiet wie der politischen Satire seit 60 Jahren so etwas wie der Marktführer in Deutschland zu sein. Das kleine Theater liegt in Altschwabing, einer Gegend, die einen turbulenten Wechsel vom Bohème-Viertel zur Touristenfalle mit den entsprechenden Angeboten („1 Meter Pils“) und zurück hinter sich hat.

Heute haben sich in den Straßen um den Wedekindplatz wieder Theater und Musiklokale etabliert – vom „Vereinsheim“, in dem sich junge Kabarett-Berserker austoben, bis zum „Lustspielhaus“ für die etabliertere Szene. Und mittendrin die Lach- und Schieß, in der es, wenn’s gut läuft, heute wie vor 60 Jahren so eng zugeht, dass man sich bei Vorstellungsbeginn kaum rühren kann. Jahrzehntelang wurde während der Vorstellung im Zuschauerraum nicht nur Wein getrunken, sondern auch geraucht, so dass durch den Zigarettendunst die Akteure auf der etwa drei Quadratmeter großen Bühne nur schwer zu erkennen waren.

Am 12. November 1956 hatte dort das erste Programm Premiere; es hieß „Denn sie müssen nicht, was sie tun“, und wer von den Anfängen der Lach- und Schießgesellschaft spricht, muss mindestens zwei Menschen genauer erwähnen: Dieter Hildebrandt, einen jungen Studenten und talentierten Kabarettisten, der bis dahin mit einer Truppe namens „Die Namenlosen“ herumexperimentiert hatte, und den Journalisten Sammy Drechsel, dessen Tätigkeit man heute wohl als Kulturzampano bezeichnen würde – er stellte das erste Ensemble (und danach sehr viele weitere) zusammen, führte Regie, organisierte Fernsehauftritte und hielt den „Laden“, wie das Theater in der Szene heißt, zusammen.

Bis heute gilt Sammy Drechsel als wichtigste Figur des Münchner Kabaretts, auch wenn er selbst fast nie gespielt hat. Um das Naturell dieses Mannes zu verstehen, muss man wissen, dass er in den 50er Jahren zunächst als Sensationsreporter gearbeitet hatte. Er ließ sich, auf den Gleisen liegend, von einem fahrenden Zug überrollen und sprach währenddessen ins Mikrofon. In Journalistenschulen wird bis heute staunend seine Reportage angehört, in der er neben einem Mann steht, der gerade eine 20-Zentner-Bombe entschärft; in diesem Moment klingt die Stimme dieses Dauerredners mit Vollgas-Mentalität etwas belegt. Später machte er als Sportreporter beim Bayerischen Rundfunk Karriere, aber noch mehr Energie steckte er ins Kabarett.

Hinter der Pointen steckt gute Recherche

Ensemble von "Die quicklebendige Leiche" in den 80er Jahren.
Ensemble von "Die quicklebendige Leiche" in den 80er Jahren.

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Unter Sammy Drechsels Leitung avancierte die Lach- und Schießgesellschaft zur bekanntesten Kleinkunstbühne des Landes. Die Vorstellungen waren meist sechs bis acht Wochen vorher ausverkauft; in den Reihen saßen Prominente und das Münchner Bildungsbürgertum. Was natürlich auch damit zusammenhing, dass es für die Deutschen nach einer Diktatur und in den Jahren der Adenauerzeit geradezu befreiend war, sich die frechen Sprüche dieses Ensembles anzuhören. Es bestand neben Dieter Hildebrandt aus Ursula Herking, Hans-Jürgen Diedrich und Klaus Havenstein. Seitdem haben die Programme meistens Wortspiel-Namen à la „Eine kleine Machtmusik“ (1958), „Halt die Presse“ (1963) oder „Reich ins Heim“ (1992). Das aktuelle Programm heißt: „Wer sind wieder wir“.

Die Ensembles wechselten, legendäre Autoren wie Klaus-Peter Schreiner schrieben die Programme, Kabarettgrößen wie Henning Venske und Rainer Basedow stießen hinzu. Erst 1981 übrigens trat im Schwabinger „Laden“ zum ersten Mal ein richtiger Bayer auf: Bruno Jonas, der schnell auch im Radio und im Fernsehen zum Star des politischen Kabaretts wurde.

Was hat sich denn im Wesentlichen verändert in all den Jahrzehnten, Herr Hanitzsch? Da muss der Münchner Satiriker nicht lange nachdenken: „Eigentlich nichts.“ Natürlich, die Themen wechseln, die Protagonisten auch. Aber die Herangehensweise, die sei immer gleich geblieben: „Erst wird journalistisch gearbeitet, dann satirisch bearbeitet.“

Will heißen: Der Kabarettist denkt sich nichts aus, sondern recherchiert erst mal gründlich, oder lässt recherchieren. Seit er 1961 zur Lach- und Schieß gestoßen ist, erinnert sich Dieter Hanitzsch, musste er, der Betriebswirtschaft studiert hatte, immer mal wieder seinem Freund Dieter Hildebrandt wirtschaftliche Zusammenhänge erklären: „Zum Beispiel wollte er wissen, wie das System der Europäischen Zentralbank funktioniert. Erst wenn er in den Fakten sicher war, hat er eine Nummer daraus gemacht.“ In den ersten Jahren schoss sich das Ensemble auf den Bundesnachrichtendienst ein, in dessen Beamtenreihen damals viele alte Nazis saßen. Aber die Kabarettisten behaupteten das nicht einfach – sie brachten nur das auf die Bühne, was recherchiert und bewiesen war. Natürlich, um es dann satirisch zu überhöhen.

Der Satiriker als Moralist, das ist die Tradition von Tucholsky und Kästner

Das ist bis heute so geblieben. Und vielleicht ein bisschen härter und abgründiger geworden. Wenn der Chef des Nestlé-Konzerns fordert, die Wasserversorgung stärker zu privatisieren, reglementieren die Schwabinger Kabarettisten in ihrem aktuellen Programm konsequenterweise auch den öffentlichen Zugang zur Luft. Ihr Opfer: ein Nestlé-Manager. Der stirbt auf der Bühne den Erstickungstod, leider.

Die Mächtigen verspotten, das politische System entlarven, das Publikum zum Nachdenken bewegen – das sind die hehren Ziele dieser Art des Kabaretts, seit jeher. Auch wenn die Macher natürlich realistisch genug sind, zu wissen, dass die meisten Besucher ihr Theaterchen nicht im Revolutionsmodus verlassen, sondern bestenfalls gut amüsiert.

Und doch: Ein Mann wie Dieter Hildebrandt hat wohl daran geglaubt, dass es seine Aufgabe und Bestimmung ist, im Dienste der Aufklärung zu arbeiten. „Das Lachen ist ein sehr anarchischer Vorgang, fast revolutionär“, sagte er einmal dem (in den 80er Jahren für seine Gespräche berühmten) Interviewer André Müller. In einer anderen Passage räsoniert er darüber, dass es am besten wäre, die „Schwarzwaldklinik“ zu verbieten, weil sich als Folge dieser Sendung „65 Prozent der Bevölkerung mit einer Welt identifizieren, die in Wirklichkeit nicht existiert“.

Müller: Obwohl es so viele sehen wollen?

Hildebrandt: Nicht obwohl, sondern weil.

Müller: Wäre das nicht eine Bevormundung der Mehrheit?

Hildebrandt: Doch. Aber zu ihrem Vorteil.

Der Satiriker als Moralist und Weltverbesserer, das ist die Tradition von Kurt Tucholsky und Erich Kästner. Und bis heute das Grundmuster eines Kabaretts, das sich bewusst abhebt von unpolitischen Komödianten vom Schlage eines Mario Barth. Und sich damit seinerseits der Gefahr aussetzt, als naiv und gestrig veralbert zu werden. Wobei es mittlerweile Künstler gibt, die in ihren Programmen die vermeintlich unversöhnlichen Richtungen zusammenbringen. Der Bayer Michael Mittermeier zum Beispiel, der sich als Stand-up-Comedian versteht und dabei auch mal über CSU und Polizeiwillkür lästert.

Hildebrandt und Drechsel sitzen als Engel auf einer Wolke

Beim Jubiläumsabend der Lach- und Schießgesellschaft, der im Sommer dieses Jahres aus Platzgründen in den Münchner Kammerspielen zelebriert wurde, ist Mittermeier natürlich auch aufgetreten. So wie all die anderen aus den vergangenen sechs Kabarett-Dekaden, die ihren Ruhm vor allem dem „Laden“ verdanken.

Werner Schneyder zum Beispiel, der in seinen Vorstellungen einst die jeweils aktuelle Kunstkritik aus der „Süddeutschen Zeitung“ vorlas und mit den geschwollenen Formulierungen der Kunstbetrachter enorme Heiterkeitserfolge erzielte. Oder Konstantin Wecker, dieser münchnerischste aller Münchner Künstler, der schon in den Achtzigern im „Scheibenwischer“ aufmüpfige Lieder singen durfte. Und auch wenn das Jubiläum zu einer Weihestunde geriet und die Münchner Theaterwelt ehrfürchtig über die große Tradition dieser Bühne spricht, ist die Lach- und Schießgesellschaft kein Fall fürs Kabarettmuseum.

Dieter Hanitzsch zeichnete zum 60-Jährigen die verstorbenen Kabaretthelden Dieter Hildebrandt und Sammy Drechsel als Engel auf einer Wolke sitzend und mit einer Einladung in der Hand. „Bin jespannt, wer uns gratuliert“, sagt der Berliner Drechsel. Darauf Hildebrandt: „… oder beschimpft!“

Das ist nun wirklich der Beweis, dass das politische Kabarett nicht tot ist.

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