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Dating-Experiment: Es geschah an Tag 18

..., da küssten sie sich zum ersten Mal: zwei New Yorker Singles. Ihr seltsames Experiment scheint auf gutem Weg zu sein. Denn sie wollten wissen, ob aus Freundschaft Liebe werden kann

Von Julia Prosinger

Jessica Walsh, 26

Wir standen gerade in einer Schlange an, um Sandwiches zu kaufen, da vertraute mir mein alter Freund Tim eine verrückte Idee an. Er wollte mich auf Dates treffen, 40 Tage lang! Angeblich kann man sich in dieser Zeitspanne schlechte Angewohnheiten abgewöhnen. Von denen hatten wir einige, zumindest, was Beziehungen angeht.

Mir hatte kürzlich jemand das Herz gebrochen, und er stand mal wieder zwischen drei Frauen. Wir beschlossen, jeden Tag romantische Dates zu haben, ein Wochenende zusammen wegzufahren, niemanden zu treffen, zu dem wir uns hingezogen fühlen könnten und eine Paartherapie zu machen. Jeden Abend wollten wir Fragebögen ausfüllen und diese nach Ende des Projekts Tag für Tag online stellen.

Ich mag Risiken. Tim ist zwar nicht mein Typ, aber was hatte ich schon zu verlieren. Zum ersten Date brachte ich ihm ein Care-Paket mit Bier und seinen Lieblingskeksen mit. Damit er die Zeit mit mir übersteht. Wir aßen zu Abend, redeten über die Arbeit und unsere Familien. Ich wusste bis dahin nicht, dass seine Eltern, wie meine, wenig Geld hatten.

Tim hat sich immer über mich lustig gemacht, weil ich die Liebe liebe, wie er sagt. Von wegen. An Tag zwei recherchierte ich bereits unromantisches Zeug: Liebe findet im Gehirn statt. Die Stoffe Dopamin und Noradrenalin sind schuld. Als wir an Tag drei aus dem Theater kamen und er mich nach Hause brachte – ich steh’ auf solche traditionellen Höflichkeiten – ertappte ich mich dabei, ihn besser zu finden. Am vierten Tag lernte ich: Tim liebt Käsecracker. An Tag fünf erfuhr ich, dass Tim in den letzten Jahren 65 Frauen auf Dates getroffen hat. Er war eine männliche Hure!

Ich hingegen hatte in meinem Leben zwölf Dates, habe elf Männer und eine Frau geküsst, habe mit acht Männern geschlafen und war in zwei langen Beziehungen. Einen One-Night-Stand hatte ich nie. Ich dachte immer, dass ich in die Fußstapfen meiner Eltern treten würde: aufs College gehen, einen netten Kerl treffen, ihn in meinen Zwanzigern heiraten und mit 30 Kinder haben. Stattdessen bin ich Teil dieser „Ich-Generation“ geworden und nach New York gezogen. Mein ganzes Leben dreht sich um die Arbeit. Die hat mich jedenfalls noch nie im Stich gelassen.

Am achten Tag offenbarte mir Tim, dass er sich nicht sicher sei, ob er was mit mir anfangen wolle. Sein Vater, erfuhr ich, hatte seine Mutter gezwungen, sich zwischen ihm und dem Baby zu entscheiden. Vielleicht zieht er sich deshalb immer aus Beziehungen zurück, bevor es ernst wird.

Ich glaube nicht, dass unsere Generation generell bindungsunfähig ist. Aber das Internet, die Online-Datingforen machen es bindungsscheuen Menschen wie Tim leichter, einfach alles fallen zu lassen. Die nächste Gelegenheit ist ja so nahe. Wir suchen nicht mehr die romantische Liebe, wir gehen im Netz auf Shoppingtour.

Ich habe mich in den nächsten Tagen streng an unsere Regeln gehalten. Ein Typ, den ich vor unserem Projekt kennengelernt hatte, zählte die Tage runter, 39, 38, bis er mich wiedersehen durfte. Als ich anfing, mich für Tim zu interessieren, brach ich den Kontakt ab.

Nur Tim verfiel in sein übliches Muster. Auf dem Rückweg von einem Basketballspiel – ein echtes Opfer für mich – flirtete er mit mir, aber etwas hielt ihn davon ab, mich mit in seine Wohnung zu bitten. Die nächsten Tage steckten wir uns gegenseitig mit schlechter Laune an. Zudem litt ich unter Kopfschmerzen. Also organisierte ich einen Tag im Spa. Vielleicht würde es ja helfen, einander halbnackt zu sehen. Sein Tattoo auf dem Oberarm hatte ich jedenfalls noch nie vorher bemerkt. Kaum saßen wir im Dampfbad, erklärte mir Tim ausführlich, warum wir beide nie zusammenkommen würden. Hätte ich diesen Tick von ihm nicht gekannt, wäre ich davongelaufen.

An Tag 14 schrieb ich Tim nachts eine SMS. Wir müssten das Projekt abbrechen. Meine Arbeit, diese Kopfschmerzen, seine vagen Annäherungsversuche machten mich fertig. Am nächsten Tag nahm ich alles zurück. Es hat sich gelohnt: Tag 18, wir waren auf ein paar Drinks in einer Bar und hielten Händchen. Auf dem Rückweg küsste er mich. Endlich! Die Tage danach waren komisch. Ich hatte das Gefühl, Tim wollte ein Gespräch über diesen Abend vermeiden. Meine Kopfschmerzen wurden schlimmer. Ich nahm inzwischen sieben verschiedene Tabletten, Schmerztabletten, Schlaftabletten, Antidepressiva, und weinte jeden Tag. Meine Arbeit, das Projekt, alles wurde mir zu viel.

An Tag 24 malte mir Tim eine Postkarte zu einem Mottodate. Ich durfte wählen und entschied mich für die 1920er. Cocktails trinken, Jazzkonzert. Das war wirklich süß, nur als seine beste Freundin weiß ich: Exakt diese Karte hat er auch schon anderen Frauen gemalt. Ich versuchte, darüber hinwegzulächeln. Aber endlich: Wir hatten Sex. Es war solch eine Erleichterung.

Timothy Goodman, 32

Jessica war meine allerbeste Freundin. Manchmal trafen wir uns vier Mal die Woche, wir chatteten jeden Tag über Facebook oder schickten uns SMS. Meist ging es um unsere Beziehungsprobleme. Sie konnte mich toll analysieren.

Ich kannte ihren Namen, bevor wir uns kennenlernten. Das ist normal, wenn man in der New Yorker Designbranche arbeitet. Ihre Arbeit fand ich inspirierend und wollte mit ihr essen gehen. Das war vor vier Jahren. Jessica war damals in einer Beziehung. Sie dachte sofort, ich wolle sie anbaggern.

Irgendwann begannen wir zusammenzuarbeiten. Wir scherzten darüber, zusammen Bier trinken zu gehen, und nannten uns die „worka-alco-holics“. So bin ich in der „Freundschafts-Schublade“ gelandet. Männer und Frauen können auch platonisch befreundet sein, aber Männer werden sich immer fragen, ob da nicht noch etwas anderes möglich wäre. Natürlich war ich neugierig. Als wir beide gerade Single waren, schlug ich ihr deshalb das Experiment vor.

Unsere Freunde reagierten richtig wütend, haben uns angeschrien und angefleht, es sein zu lassen. Sie fürchteten, wir würden den Freundeskreis sprengen. Sie fürchteten, Jessica sei in Wahrheit in mich verliebt, und ich würde sie verletzen, weil ich sie nur flachlegen wolle.

Auch unsere Therapeutin Jocelyn war zunächst skeptisch. Sie dachte, das Ganze sei ein Scherz, eines unserer Kunstprojekte. Sie nannte uns feige. Warum versuchten wir es nicht einfach richtig miteinander wie alle anderen Menschen auf der Welt?

Das Problem war, dass wir bereits zu viel übereinander wussten: Ich habe Angst vor Bindungen und weiß, dass Jessica sich zu schnell bindet. Wenn wir uns in der Vergangenheit mal ein paar Tage nicht gesehen hatten, hatte Jessie schon wieder ihre „ganz große Liebe“ getroffen. Bei mir ist es umgekehrt. Wann immer es mit irgendeiner Frau ernst wird, finde ich einen Fehler an ihr. Das letzte Mal waren es ihre Schuhe.

Ich fragte mich, ob ich Jessie das Gleiche antat, als ich ihr an Tag zwei in der Therapie vorwarf, ihr Geld immer so zum Fenster rauszuschmeißen. Und dass es mich nervt, dass sie nie ihre SMS checkt. Dann trug sie plötzlich Puder auf den Wangen, war das für mich?

Wir verabredeten uns für Kleinigkeiten, gingen zum Beispiel zusammen im Supermarkt einkaufen. Sie lachte, weil ich viel Müsli kaufe und wählerisch bei meiner Mandelmilch bin. Dabei stellte ich fest, dass sie wie Eddie Murphy lacht.

Mit den Tagen wurde die Stimmung immer gereizter. Diese Beziehung zerstört unsere Freundschaft, dachte ich. Ab Tag elf begannen meine Freunde sich über mich lustig zu machen: Du bekommst all die schlechten Seiten einer Beziehung ab, ohne die guten – Sex – mitzunehmen!

Jessica hielt einmal nicht zu mir. Als unsere Freunde mich als nimmersatten Aufreißer darstellten, blieb sie still. Das hat mich getroffen. Ich habe extra nichts Intimes zwischen uns angestoßen, solange ich mir meiner Gefühle nicht sicher war, ich habe versucht, sie während ihrer schlimmen Kopfschmerzen zu unterstützen. Was macht sie? Sie verwendet meine Vergangenheit gegen mich.

Nach 14 Tagen wollte Jessica das Experiment abbrechen. Da wurde mir klar, wie unterschiedlich wir sind. Ich liebe Auseinandersetzungen, ihr machen sie Angst. Man kann ihr leicht Zweifel einreden, kein Wunder, dass Männer sie schnell ausnutzen.

In der Therapie sagte sie mir, dass sie mich trotz allem möge und dass wir als Paar gut zusammen passten. Ich konnte mich einfach zu nichts durchringen. Obwohl ich sie zunehmend attraktiver fand. Besonders, als sie eines Tages mit zurückgebundenen Haaren und Brille auftauchte und wie eine sexy Bibliothekarin aussah.

Nach dem Kuss an Tag 18 fiel mir auf, wie verdammt schlecht sie im Flirten ist. Sie versteht meine Witze nicht. Wenn ich scherze, ob sie andere Typen trifft, denkt sie, ich sei eifersüchtig. An Tag 21 schrieb mir schließlich eine Frau, die ich vor dem Projekt getroffen hatte. Ich war versucht zu antworten. Wenn ich in Jessica verliebt wäre, hätte ich dann dieses Bedürfnis?

Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt eine Beziehung will oder nur danach suche, weil auf Dinnerpartys alle paarweise aufkreuzen, ich dicker werde, langsam meine Haare verliere und irgendwann keine tolle Frau mehr treffe.

An Tag 24 habe ich Jessie alles über Jazz erklärt. Danach hatten wir Sex. Das war nach Mitternacht. Genaueres erzähle ich erst morgen. Es haben sich jetzt schon Regisseure gemeldet, die unser Experiment verfilmen wollen. Mal sehen.

Aufgezeichnet von Julia Prosinger. Das Experiment ist unter www.fortydaysofdating.com nachzulesen, an diesem Sonntag erlebt das Paar den 28. Tag.

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