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Das Riesenrad ist Wahrzeichen des Wiener Praters

© imago/Peter Widmann

Der Wiener Prater feiert 250 Jahre: Start in die Spaßgesellschaft

Der Wiener Prater ist der älteste Vergnügungspark der Welt – nun feiert er seinen 250. Jahrestag. Eine Geschichte von subversiven Kasperln, prächtigen Kulissen, kollernden Lustschreien bis zum heutigen Fünffach-Looping.

Von Andreas Austilat

Keine Frage, leicht ist der Job nicht. Und manchmal, aber wirklich nur manchmal, gestattet sich Gabriele Nemec den Hauch eines Zweifels. „So ein Ringelspiel“, sagt sie dann und allen Nicht-Österreichern sei erklärt, dass sie damit ihr Karussell meint, so ein Ringelspiel also, „hat ja nicht viele Möglichkeiten. Das fährt in die eine Richtung oder in die andere.“

Immerhin, ihr Ringelspiel, die Prater Marina, das kann beides, linksrum wie rechtsrum. Doch die Konkurrenz ist groß. Da steht zum Beispiel der Space Shot gleich nebenan und beschleunigt seine Fahrgäste 64 Meter hoch auf beinahe 100 Stundenkilometer, um sie anschließend dem freien Fall zu überlassen.

Und, kann die Prater Marina da mithalten? Oder mit dem Wind-o-Bona gleich da drüben, das nur mit seinem Luftdruck ein paar Mutige in der Schwebe hält? Oder dem Prater-Turm, einem 117 Meter hohen Karussell, das alles überragt, was sonst noch in Wiens zweitem Bezirk herumsteht. „Gehen’s“, sagt die 58-Jährige mit der rundlichen Figur in ihrem Wiener Idiom, und in ihren Augenwinkeln zeigen sich viele kleine Lachfalten, „wenn es nur das wäre“. Ist es aber nicht. Denn die Prater Marina mit ihren acht Booten à vier Plätze kann auf ihre Tradition verweisen. Das ist eine Währung, die im Prater auch etwas zählt.

Der Großvater schmuggelte das Karussell über die Grenze

Seit 70 Jahren steht das Karussell hier schon. Der Großvater von Frau Nemec hat seine goldene Uhr drangeben müssen, um es damals über die slowakische Grenze rüber nach Österreich zu bringen. Die Prater Marina ist sogar noch viel älter. 1903 hat der Urgroßvater sie in Hamburg gekauft. Älter ist nur das Riesenrad. Und weil die Fliehkraft auch in diesem Karussell stärker ist als der Mensch, wurden also schon die Omas seitlich auf die Opas gedrückt, bis sie beide gejuchzt haben. Und heute sagen sie dem Enkel, das kenn’ ich, komm’, damit fahren wir. Für Tradition kann man sich eben doch etwas kaufen. Wenigstens ein bisschen.

Dabei sind 70 Jahre nach Prater-Maßstäben ziemlich wenig. Wo es doch Familien gibt, wie die von Silvia Lang, deren Vorfahren vor 150 Jahren bereits ein Panoptikum betrieben. Wobei Silvia Lang schon mal kurz davon geträumt hat, etwas anderes zu machen, Dolmetscherin zu werden. „Aber dann kam der Ruf der Familie.“ Doch nicht einmal 150 Jahre reichen zurück bis zu den Anfängen. Denn 2016 feiert der Wiener Prater seinen 250. Geburtstag und ist damit der älteste Vergnügungspark der Welt, der auch noch die ganze Zeit beinahe ununterbrochen in Betrieb war.

Fahrgeschäfte im Prater um 1800
Fahrgeschäfte im Prater um 1800

© Wien Museum

Es gab nur eine Pause. Nachdem sich deutsche Truppen im April 1945 zwischen Riesenrad und Geisterbahn im Kampf um Wien eines ihrer letzten Gefechte mit der Roten Armee lieferten. Der ganze Prater ging in Flammen auf, bis vom gewaltigen Riesenrad keine Gondel mehr übrig war. Doch nur ein Jahr später öffnete der Park wieder, der große Spaß ging weiter.

Dem Adel passte der Rummel nicht

Angefangen hat alles am 7. April 1766, mit einer Ankündigung Josephs II., seit dem Tod seines Vaters junger Kaiser des römisch-deutschen Reiches und Mitregent an der Seite seiner Mutter, Maria Theresia. Der Spross fiel schon bald durch aufklärerische Ideen auf. Eine davon: Der Prater, ein Auenwald entlang der Donau und über Jahrhunderte adliges Jagdgebiet, soll fortan für die Allgemeinheit geöffnet sein.

Dem Hochadel passte das zunächst gar nicht, dass Krethi und Plethi demnächst durch ihren Wald spazieren würden. Man wäre doch lieber unter sich geblieben. Es gibt ein Bonmot, wonach der Kaiser erwidert haben soll, würde er immer nur unter seinesgleichen sein wollen, dürfte er die Kapuzinergruft, in der die toten Gebeine der Habsburger liegen, gar nicht mehr verlassen. Vielleicht ist das aber nur Wiener Schmäh.

Die geblähten Kleider der Dienstmädchen erregten den Baron

Die Prater Marina der Familie Nemec steht seit 70 Jahren im Prater.
Die Prater Marina der Familie Nemec steht seit 70 Jahren im Prater.

© Privat

Der Prater war keine zwei Wochen offen, da durften Bier und Süßigkeiten verkauft werden, schenkten die ersten Kaffeehäuser aus. Und am 1. Mai 1766 stand nachweislich das erste Karussell. Geboren war der Wurstel- oder Wurschtelprater, wie man hier sagt – nicht nach dem Imbiss, sondern nach dem Hanswurst, dem damals populären Kasperletheater, das anders als die richtigen Theater nicht der strengen Zensur unterworfen war. Was den Kasper wegen der subversiven Tendenz auch für Erwachsene attraktiv machte. Der grüne Prater, ein ebenfalls noch bestehender Landschaftspark, breitet sich hinter dem Rummel aus.

Für Ursula Storch, Kuratorin der großen Ausstellung, die das Wien Museum derzeit zeigt, war der Prater denn auch ein Areal, in dem die Wiener Freiheiten genossen, die anderenorts vielleicht sanktioniert worden wären. So war es Damen vor 250 Jahren durchaus gestattet, ohne männliche Begleitung auf der Hauptallee zu promenieren. Ein Verhalten, das in der Stadt ins gesellschaftliche Abseits geführt hätte.

Der Ruf des Halbseidenen

Soweit der positive Effekt. Einen negativen gab es auch, nämlich der Ruf des Halbseidenen, wo Glücksspiel und Prostitution gediehen. Wobei die Branche der Schausteller mit ihrer Nähe zum fahrenden Volk damals ohnehin nicht den besten Leumund hatte. Was dem Vergnügen keinen Abbruch tat. Vielleicht sogar im Gegenteil, war doch die gefühlte Nähe zum Verbotenen gerade ein Teil des Reizes, den ein Besuch im Prater versprach.

Beschrieben hat das Stefan Zweig in der Novelle „Phantastische Nacht“. Sein Protagonist, ein von der Liebe enttäuschter Baron, gerät kurz vor dem Ersten Weltkrieg in den Wurstelprater: „In einer fanatisch monotonen Art stampften die Orchestrions harte Polkas und rumpelnde Walzer, dazwischen knatterten dumpfe Schläge aus den Buden, zischte Gelächter, grölten trunkene Schreie und jetzt sah ich schon mit irrsinnigen Lichtern die Karusselle meiner Kindheit kreisen.“

In seiner überhitzten Fantasie steigert sich die Wahrnehmung des Barons derart ins erotisch Triebhafte, dass schon der Anblick der geblähten Kleider der Dienstmädchen auf den Schaukeln der Karusselle und ihre „kollernden Lustschreie“ wie der vorweggenommene Sexualakt wirken. Jedenfalls hätte Sigmund Freud das bestimmt so gesehen, wenn ihm das der Baron auf dem Wiener Analytiker-Sofa erzählt hätte.

Die Magie der Illusionen

Doch der Rummel mit seiner „Brunst der Millionenstadt“ – noch einmal Stefan Zweig – war nur die eine Seite des Spaßes und machte den Prater noch nicht zum Vergnügungspark, der das Zeug hatte, Nachfolgern wie Disneyland zum Vorbild zu gereichen. Der zweite Aspekt war die Magie der Illusionen, die technisch immer aufwendiger inszeniert wurden, wie das Wien Museum in seiner Ausstellung erahnen lässt.

Ballonfahrer stiegen auf, Feuerwerke, zu denen Johann Strauß aufspielte, erleuchteten den Himmel. Mit dem Aufkommen der Weltausstellungen wurde alles noch toller. Wien bespielte 1873 eine viermal größere Fläche als Paris sechs Jahre zuvor auf dem dortigen Marsfeld. 200 temporäre Bauten entstanden, darunter wahre Paläste, und die Wiener konnten sich in ihrer eigenen Stadt auf Weltreise begeben, zwischen chinesischen Teehäusern und russischen Kirchen.

Das Riesenrad kommt

Ein ganz großes Rad sollte Gabor Steiner drehen, Theaterdirektor in Berlin, Dresden und im zweiten Wiener Bezirk, der Leopoldstadt. Der Bezirk entwickelte sich zum Hauptwohngebiet jüdischer Neuankömmlinge, die es wie Steiner seit der Anerkennung ihrer Gemeinde durch Kaiser Franz Joseph in die Stadt zog, und die dort die Theaterszene belebten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg das Areal vor dem Prater zu Wiens Theaterdistrikt auf, mit Varietés und Kaffeehäusern. Unter dem Titel „Rein ins Vergnügen“, einem Zitat, mit dem Joseph Roth die Praterstraße beschrieb, erinnert Wiens Jüdisches Museum derzeit an diese Vergangenheit, die mit der Judenverfolgung 1938 abrupt endete.

Gabor Steiner war 1895 maßgeblich an dem Vergnügungspark „Venedig in Wien“ auf dem Pratergelände beteiligt, für den venezianische Bauten einschließlich Kanälen, Brücken und Gondeln entstanden und den Besuchern eine für sie ansonsten schwer erschwingliche Reise vorgaukelten. Und als diese Attraktion an Neuigkeitswert einbüßte, ließ er 1897 das Riesenrad errichten, das seitdem Wahrzeichen des Praters, ja sogar Wiens ist.

Der Prater ist zu eine guten Teil in der Hand von 20 Familien

Achterbahn Boomerang und der Praterturm, das Karussell ist mit 117 Metern höchstes Bauwerk in Wiens 2. Bezirk.
Achterbahn Boomerang und der Praterturm, das Karussell ist mit 117 Metern höchstes Bauwerk in Wiens 2. Bezirk.

© imago/imagebroker

Das Geschäft mit immer neuen, immer größeren Attraktionen war riskant. Gabor Steiner musste in finanzieller Not das Riesenrad 1916 verkaufen, an den mit ihm nicht verwandten Eduard Steiner. Gleichzeitig entstand mit dem Kino eine neue Illusionsmaschine, die es nicht mehr nötig hatte, das Publikum mit aufwendigen Bauten auf die Reise zu schicken. Doch im Prater verstand man es, sich auch diese Attraktion anzueignen, die ersten Wiener Kinos, sie eröffneten hier.

Die Nazis verfolgten beide, Gabor und Eduard Steiner. Gabor schaffte es in die USA, wo sein Sohn Max als Filmkomponist Karriere machte, unter anderem die Musik für „King Kong“, „Vom Winde verweht“ und „Casablanca“ schrieb und dreimal den Oscar gewann. Eduard Steiner wurde in Auschwitz ermordet, seine Erben verkauften ihre Anteile am Riesenrad nach juristischem Streit an ihren Rechtsanwalt, zu einem „günstigen Preis“, wie der Prater-Historiker Roland Girtler in seiner gerade erschienenen Chronik schreibt.

Andere Vergnügungsparks hatten längst aufgegeben

Und so dreht sich das Rad heute noch, wenngleich leicht abgespeckt. Es sind nicht mehr 30 wie vor der Kriegszerstörung, sondern nur 15 geschlossene Gondeln, die bis auf knapp 65 Meter aufsteigen, zehn bis 15 Minuten dauert die Runde. Die Gondeln werden derzeit ausgetauscht, die neuen haben wieder sechs Fenster wie die Vorkriegsgondeln und nicht nur vier nach jeder Seite. Auch ein Traditionsbetrieb muss sich eben etwas einfallen lassen, um in Zukunft zu bestehen.

Ohnehin ein kleines Wunder, wie der Prater so lange durchhalten konnte, vier Millionen Besucher im Jahr anlockt, sind doch andere historische Parks wie Berlins Lunapark oder die Nachkriegsgründung im Plänterwald längst Geschichte.

Manche glauben, dass es die familiäre Struktur ist, etwa 20 Familien betreiben 80 der 240 Fahrgeschäfte oft schon seit Generationen. „Das ist hier wie in einem Dorf“, sagt Silvia Lang, Vizepräsidentin des Praterverbandes und Eigentümerin der ältesten Spielhalle, wobei damit Geschicklichkeitsspiele gemeint sind, kein Glücksspiel, das ist im Prater verboten. Jedenfalls würde man merken, dass kein Unterhaltungskonzern die Regie führt.

Schneller, höher, wilder

Doch die Großen der Branche sind auch die, die Millionen-Investitionen im Kreislauf des Schneller, Höher, Wilder aufbringen können. Gerade wird eine Fünfer-Looping-Achterbahn aufgebaut, befristet bis Herbst, dann wandert sie weiter aufs Münchner Oktoberfest. Tradition sieht anders aus.

Keine familiären Wurzeln auf dem Prater hat Alexander Ruthner. Er ist Geschäftsführer eines der größeren Akteure und erklärt, dass allein die Wasserbahn das Unternehmen vier Millionen Euro gekostet habe. Das müsse sich in zehn Jahren rechnen. Spätestens dann braucht es etwas Neues. Denn nur die wenigsten schaffen es, eine nostalgische Tradition zu begründen, sich von Moden unabhängig zu machen.

So wie Familie Nemec und ihre Prater Marina. Als sie das Geschäft vor 17 Jahren von Gabriele Nemec’ Eltern übernahmen, hat ihr Mann Fredo das Ding auseinandergenommen und die Löcher für jede neue Glühbirne eigenhändig reingedreht. Es waren sehr viele Löcher, das verbindet.

Der Traum von Frau Nemec

Angenommen aber, diese Tradition funktioniert irgendwann nicht mehr, Frau Nemec, angenommen, Sie hätten Geld für etwas Neues, wie würde ihr Traum dann aussehen? „Ein Barbiehaus“, sagt sie nach kurzem Zögern, ein bisschen Angst hat sie schon, dass ihr jemand die Idee wegnehmen könnte. Aber gab es das nicht schon mal, vor ein paar Jahren in Berlin?

Egal, ihres wäre speziell. Wie eine Geisterbahn, durch die man läuft. Nur ohne Gespenster und alles in Rosa. Und im Erdgeschoss könnte man sogar heiraten. So etwas gibt es im ganzen Prater nicht, mit seinen fünf Achterbahnen, den Adrenalinschleudern und schockierendsten Geisterbahnen.

Sie hat ihre Idee schon einmal leise angedeutet. Aber alles in Rosa, da haben Mann und Sohn abgewunken, das geht ja gar nicht. Wenn die sich da mal nicht irren. Im Prater, da geht ziemlich viel. Das ist ja gerade der Witz seit 250 Jahren.

In Wien laufen derzeit zwei Ausstellungen zum Thema. Das Wien Museum, Karlsplatz 8, zeigt noch bis zum 21. August 2016 d "In den Prater! Wiener Vergnügungen seit 1766". Das Jüdische Museum, Dorotheergasse 11, zeigt bis zum 18. September "Wege ins Vergnügen".

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