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Gesellschaft: draußen Wir müssen leider bleiben

Der Leopard oder ich! Wenn zwei sich lieben und zusammenziehen, muss jeder sich von Dingen trennen. Sechs Abschiedsgeschichten.

Was muss in die Garderobe von Musiker Jake Bugg? Mehr: facebook.com/tagesspiegelsonntag

DIE ZIMMERPFLANZE

Ich besitze eine große Zimmerpflanze, ein riesiges Ding von Ikea, Zamioculcas, auch Glücksfeder genannt. Als ich sie bekommen habe, stand sie in einem Topf auf der Fensterbank meiner ersten WG in Kiel. Heute ist sie 1,20 Meter hoch und 1,60 breit, wiegt fast 20 Kilo und ihre Triebe streben in alle Richtungen. Ich gebe zu, sie ist wirklich nicht besonders schön, aber ich hatte noch nie eine Pflanze, die so alt geworden ist. Sie hält es immerhin zehn Jahre mit mir aus. Ich habe vorher schon fünf Jahre mit meiner Freundin zusammengewohnt, da hatte jeder sein eigenes Zimmer, und die Pflanze hat sie nicht gestört. Seit März wohnen wir in einer neuen Wohnung und teilen erstmals alles. Plötzlich ist der Rausschmiss Thema. Antonia sagt, die Pflanze nimmt zu viel Platz weg. Dabei sind wir in eine größere Wohnung gezogen. Ich glaube, es liegt daran, dass wir jetzt Eltern werden und Platz für das Kind brauchen. Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass das Ding weg muss. Bisher habe ich leider niemanden gefunden, der die Glücksfeder haben will. Carsten Dammann, 35

DER KÜCHENTISCH

Als ich mit Christian zusammengezogen bin, habe ich mich von fast all meinen alten Holzmöbeln getrennt. Sie waren nicht sein Stil, er mag es modern. Am schmerzlichsten ist mir der Abschied von meinem alten Küchentisch gefallen. Den hatte meine Mutter vom Sperrmüll gerettet, er kam aus einem alten Kloster und ist mittlerweile über 100 Jahre alt. Als ich 21 war, stand er in meiner ersten Wohnung in der Küche. Wenn ich damals von meinem Job als Barkeeperin in den frühen Morgenstunden nach Hause gekommen bin, habe ich mich mit einem Bier auf die Tischplatte gesetzt und durch mein Fenster den Sonnenaufgang angeschaut. Später stand der Tisch in meiner Studentenbude in Mainz. Die Tischplatte war ziemlich fleckig, aber jeder Fleck erzählte die Geschichte von einem Abend mit gutem Essen und Wein. Leider haben Christians lange Beine nicht druntergepasst, er ist 2,01 Meter groß. Inzwischen haben wir eine kleine Tochter, als Küchentisch wäre er zu klein. Jetzt nutzt ihn meine Mutter zum Arbeiten. So kann ich ihn wenigstens ab und zu streicheln.Julia Will, 32

DER LEOPARD

Der Leopard war, wenn man so will, das erste Stück, das ich mir ganz bewusst und aus ästhetischen Gründen zugelegt habe. Aus billiger Keramik, orange-schwarz gefleckt, eine seltene Musterung, weißer Bauch, das Maul aufgerissen, die Augen treu. Ich habe ihn gekauft, als ich 14 Jahre alt war. Wir zogen in Hamburg in eine neue Wohnung, in einem Baumarkt sah ich das Tier. Weil meine Mutter ihn unglaublich hässlich fand und ihr Mann auch, entschied ich mich dafür, ihn aus Protest hübsch zu finden. Ich habe etwa 25 Euro aus meinem Taschengeldreservoir für das Tier hingelegt. Vorher waren mir Zimmer und Einrichtung egal. Der Leopard bedeutete also auch: Abnabelung und Eigenständigkeit.

Ich habe ihn neben meinen Fernseher gestellt, da hatte er das ganze Zimmer gut im Blick. „Geiles Teil“, sagten manche Kumpels, als „groteske Geschmacksverirrung“ empfanden ihn andere. Bei einer Party ging der Leopard zu Bruch. Jemand taumelte dagegen, das Tier fiel um, einer der vier Zähne brach heraus, am Rücken schrammte Keramik ab. Tragischer Moment, aber immerhin überlebte er. Meine kleine Schwester hat in der Folge, wenn sie Zahnärztin spielte, immer am Maul des Leoparden rumgedoktert.

Meiner Freundin missfiel der Leopard seit jeher, immer wieder kündigte sie an, ihn eines Tages auszusetzen, versehentlich vom Balkon fallen zu lassen oder zu verschenken. Diverse Streits haben sich an dem Tier entzündet. Als wir nun im Frühjahr zusammenzogen, konnte ich ihn nicht in die neue Wohnung retten. Ich habe ihn kurz vor dem Umzug an die Straße gestellt. Eine halbe Stunde später war er weg. Das hat mich natürlich bestätigt in meiner Annahme, dass er so hässlich nicht gewesen sein konnte. Neulich war ich in Kreuzberg und sah so ein Ding in einem Schaufenster stehen. Da kam die ganze Geschichte wieder hoch.Moritz Herrmann, 25

DAS SITZKISSEN

Meine Mutter besaß ein großes, weiches Kissen, das war super. Dazu passend hat sie mir dann ein Sitzkissen gekauft, mit dem gleichen orangefarbenen, tropfenförmigen Muster auf rot-weißem Grund, ein bisschen im Stil der 70er Jahre. Leider war das Sitzkissen groß und hart. Ich habe es in meine erste WG mitgenommen, da lehnte es in der Ecke zwischen Sofa und Wand – falls mal viele Freunde vorbeikommen. Gestört hat es eigentlich kaum. Nur richtig oft benutzt wurde es nicht, ab und zu hat mal jemand darauf gesessen.

Mein Freund Brendan fand es hässlich und sinnlos, aber in meinem alten WG-Zimmer hatte er nichts zu sagen. Als wir zusammengezogen sind, habe ich das Kissen neben unser Sofa gelegt. Unser Wohnzimmer ist nicht so groß wie mein altes Zimmer, Brendan sagte ständig: „Das Kissen brauchen wir nicht, da sitzt eh keiner drauf.“ Zunächst habe ich es hinter dem Sofa versteckt, damit es nicht stört.

Eines Tages bin ich nach Hause gekommen und mein Freund sagte: „Guck mal, was ich verändert habe.“ Ich kam und kam nicht drauf. Erst Tage später fiel mir auf, dass das Kissen verschwunden war. Brendan hatte es einfach in den Keller gestellt. Ich hab mich darüber geärgert, war jedoch zu faul, es wieder hoch in die Wohnung zu holen. Ehrlich gesagt habe ich selbst nur einmal darauf gesessen. Ruth Fischer, 27

DIE SURFPOSTER

Früher hatte ich so eine richtige Jungs-Wohnung: schwarze und dunkle Möbel, viel Sportequipment und meine Surfbilder. Auf ihnen waren zwei Surfer in den Wellen zu sehen – und auf einem anderen eine Frau auf einem Surfbrett, in Schwarz-Weiß und gerahmt. Sehr ästhetisch, wie ich fand. Als meine Freundin Vivian und ich im Juni zusammengezogen sind, habe ich erst mal meine gesamte Einrichtung über Ebay-Kleinanzeigen verkauft. Am Tag des Umzugs standen wir trotzdem im Kisten-Chaos.

Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich einfach drei Billy-Regale bei Ikea gekauft und den Inhalt der Kisten da reingeräumt. Aber Vivian wollte erst zum Flohmarkt, nach schönen alten Möbeln gucken und dann auspacken. Wenn ich mich jetzt in unserer Wohnung umschaue, muss ich zugeben, dass sie schon die Hosen anhat, es ist sehr gemütlich. Nur meine Sportsachen lagern nun im Keller, das Surfbrett lehnt draußen an der Terrassenwand. Und die Surfbilder hängen im Bad. Wenn meine Freunde zu Besuch kommen, fragen die mich immer, warum die schönen Bilder ausgerechnet über der Toilette hängen. Die sind wirklich sehr ästhetisch.Cuong Ngo, 32

DIE SAMTCOUCH

Als ich mit Marc zusammengezogen bin, hatte ich komplett andere Erwartungen: Marc hat zwar Architektur studiert, aber vorher wie ein Camper gelebt, chaotisch und unaufgeräumt, mit einem Haufen komischer uralter Möbel vom Sperrmüll. Ich dachte nur: Die meisten Sachen gehen gar nicht! Ich habe befürchtet, dass ich in unserer gemeinsamen Wohnung immer für Ordnung und Putzen zuständig sein würde. Dann sind wir zusammengezogen, und da hab ich mich ordentlich erschreckt. Marc hat alles eingerichtet und zwar nach Konzept.

Ich hatte viele dunkle Möbel, bis Marc anfing, alles in Grau und Weiß zu gestalten, Regale, Sideboard, Wandfarbe. Damals hatte ich eine rote Samtcouch mit Knöpfen im Polster, die im Wohnzimmer stand. Ein dramatisches Teil, es sah aus, als hätte ich es aus einem Theater geklaut. Ich hatte die Couch aber in einem Laden entdeckt, ich erinnere mich noch, dass ich Marc fragen musste, ob er mir Geld leiht, damit ich sie mir kaufen kann. Seine Antwort: „Oooch, jooaaa.“ Begeistert war er nicht. Später in meiner Wohnung hat Marc sich einmal darauffallen lassen und das Ding hat geknackt. Plötzlich begann mir aufzufallen, wie schlecht die Qualität der Couch war, wie staubig die Polster, wie die Knöpfe sich ablösten. Ich habe es noch in die gemeinsame Wohnung mitgenommen, aber es war klar, dass das Ding eines Tages rausmusste.

Marc übt keinen Druck auf mich aus. Wenn ich auf einer Sache beharre, lässt er mich machen. Wie bei den Bilderrahmen. Er wollte die in einer Linie aufhängen, ich sagte: Wieso das denn? Dann hab ich sie nach meinen Vorstellungen aufgehängt – und es sah blöd aus. Genauso hat er mich langsam von seinem Konzept mit den hellen Möbeln überzeugt, bis ich mich irgendwann fragte: Warum fand ich das Sofa noch mal schön?

Marcs eigene Sachen dürfen übrigens bleiben. In unserem Schlafzimmer steht ein riesiger Ledersessel, den er aus Südafrika mitgebracht hat. Dort ist er aufgewachsen. Leder vom Wasserbüffel oder so etwas. Ein hässliches Ding. Ansonsten hat er einen tollen Geschmack. Woher die Verwandlung vom Camper zum Architekten kam? Bei unserer Wohnung hat er erstmals das Gefühl von Zuhause, sagt er, die ist etwas Gemeinsames, das es wert ist, verschönert zu werden.Sarah Ehrenholz, 29

– Aufgezeichnet von Sarah Levy

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