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Glückliche Kuh vom Landwerthof.

© Pixelmann

Ein ungewöhnlicher Biohof an der Ostsee: Bulle am Bodden

Mutterkuhhaltung, weitläufige Weiden – im Fischerdorf Stahlbrode riecht die Ostsee nach Schinken. Ein Besuch auf dem Landwerthof.

Otto darf noch richtig decken. 80 Mutterkühe stehen dem Aubrac-Bullen zur Verfügung. Natursprung statt künstlicher Besamung, wo gibt’s denn sowas noch? Hier: Auf der großen Weide unter dem weiten pommerschen Himmel gönnt man den Rindern ein gutes Stück Natur. Auch bei der Vermehrung. Statt tiefgekühltem Samen von katalogisierten Spitzenvererbern aus der Tierarztspritze einfach nur Otto. Der hat keinen Nebenbuhler, ist uneingeschränkter King auf der Weide, eindrucksvoller Vertreter einer alten robusten Rasse. Lässig schlendert der Bulle hinter den Fleckvieh- und Herford-Kühen her, einmal zum Wassertrog und zurück, immer schön gemächlich. Das Gras ist noch saftig, das Land flach wie ein gespanntes Betttuch. Die Frühherbstsonne behauptet sich, schiebt die Wolken immer mal wieder beiseite und wirft ein warmes Licht auf die norddeutsche Weidelandschaft. Am Horizont fällt der Septemberhimmel in die Ostsee des Greifswalder Boddens.

Alles hier wirkt ein wenig kuschlig, selbst die Bundesstraße ist mit alten Bäumen bestückt, herrliche Alleen, denen die Axt-Kampagne des ADAC nichts anhaben konnte. Wie eine Glucke sitzt das Blätterdach überm Asphalt, Autofahrer steigen aus und knipsen, ja wo gibt’s denn sowas noch? Und dann die vielen Seen, Nationalparks, Buchenwälder auf der Route von Berlin Richtung Ostsee.

Hier fressen die Kühe noch Gras

Ziel ist das Fischerdorf Stahlbrode. Kurz vor dem Ortseingang weist ein Schild den Weg zum Landwerthof. Große Fahnen flattern, als führen wir zu einem Bundesligastadion. Und tatsächlich spielt dieser Hof in der ersten Liga. Er gehört zu jenem Dutzend bestens beleumundeter Landwirtschaftsbetriebe, die in Deutschland die Nische der Guten besetzen. Der Gegenentwurf zur seelenlosen Massentierhaltung, die Fleisch und Wurst wie Ziegelsteine herstellt. Die Homepage des Landwerthofs liest sich, als würde hier der Heilige Franz von Assisi persönlich, der Schutzpatron der Tiere, die Heugabel schwingen. „Wir pflegen ein inniges Verhältnis zu den Tieren, ihr gesamtes Leben verbringen sie auf weitläufigen Weiden, wo sie sich nach Herzenslust am Gras satt essen können“.

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Es geht am 116 Jahre alten Gutshaus vorbei zu den modernen Produktionsstätten: Feinkostmanufaktur und Biometzgerei. Dazwischen steht ein kleines Indianerzelt. Der Hof ist nämlich nicht nur landwirtschaftlicher Vorzeigebetrieb, er ist auch Schulbauernhof. Klassen und andere Kindergruppen vor allem aus Hamburg, Berlin oder von der Insel Usedom verbringen hier ihre Tage, streicheln den Ziegenbock Walter, bepflanzen Kräuterbeete, sammeln Beeren und Nüsse, schlagen Butter und helfen ein wenig bei der Versorgung der Nutztiere. „Die meisten Kinder haben Angst vor Tieren“, sagt der Pädagoge Wolfgang Ralle, der gerade den Ziegenstall in Schuss hält. Bei Viertklässlern, die nicht viel größer sind als die stramm behörnten Ziegenböcke, mag man das verstehen. Es sind Begegnungen auf Augenhöhe.

Ralle hat klare Vorstellungen von einem Schulbauernhof: „Die Kinder sollen bei uns Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln entwickeln.“ Und die Tiere in ihrem natürlichen Verhalten beobachten, mit ihnen kommunizieren. Statt Hüpfburg, Rutsche und Kettenkarussel gibt’s Schafs- und Ziegenköttel und Einblicke in die Arbeit der mehr als 20 Mitarbeiter des Hofs.

Der ökonomische Druck ist groß

Pause: Mitarbeiter der Biometzgerei vom Landwerthof.
Pause: Mitarbeiter der Biometzgerei vom Landwerthof.

© Pixelmann

2007 wurde der Landwerthof neu konzipiert. Die Inhaber-Familie Nordmann, bekannt durch Brauerei und Getränke-Großhandel, gab die Richtung vor. 2008 wurde die Biometzgerei aufgebaut, 2010 kamen der Schulbauernhof und die Feinkostmanufaktur dazu. Das viel gelobte Restaurant mit seiner „hervorragenden Hausfrauenküche“ und „brillanten" Fleischqualität“ („Süddeutsche Zeitung“) ist wieder aufgegeben worden, ein kleines Café mit selbstgebackenen Kuchen ist geblieben.

Das Restaurant habe sich nicht rentiert, sagt Betriebsleiter Harald Berghuis, die zur Insel Rügen fahrenden Besucherströme ließen sich kurz vor dem Ziel eben nicht so leicht einfangen. Berghuis ist seit Dezember am Hof. Der schlanke, hoch aufgeschossene Mann war früher Viehhändler und hat auch mal in die Kosmetikindustrie reingeschnuppert, bevor ihn „Bio“ interessiert hat, zuletzt bei „Bioland-Markt“ in Berlin. Jetzt soll er in Vorpommern das eigentümliche Ensemble aus Kindergeburtstag und Schinkenreifung, Mutterkuhhaltung und Indianerspiel, Schlachthof und Marmelade-Tuning auf ein gesundes wirtschaftliches Niveau bringen.

Die Kunden sind bereit, mehr zu zahlen

Immerhin: Das Image stimmt. Der Landwerthof, sagt der Betriebsleiter, das sei anständiges Handwerk, ökologische Produktion und gesunde Lebensmittel, die richtig gut schmecken. Und der ökonomische Druck? „Es ist nicht einfach“, sagt Berghuis und blickt ein wenig melancholisch in die Ferne – was so viel heißt wie: Es ist ziemlich schwierig geworden, selbst für einen so bekannten Betrieb.

Kann man mit ethischen Konzepten ohne durchrationalisierte Massentierhaltung in geschlossenen Ställen auf Dauer überhaupt überleben? Zum Glück steht hier kein Milchvieh im Stall. Die Milch saufen ausschließlich die Kälber, so geht der dramatische Verfall der Milchpreise mit Auszahlungen an die Bauern von zuletzt 30 Cent je Liter – 15 Cent unter Selbstkostenpreis – am Landwerthof vorbei. Ein zweites Plus: „Unsere Kunden sind Überzeugungstäter.“ Sie sind offenbar bereit, einen höheren Preis für handwerklich hergestelltes Fleisch und Wurst aus artgerechter Haltung zu bezahlen. Berghuis liefert viel an die Gastronomie, die gern den Zusatz „vom Landwerthof“ auf ihre Speisekarte schreibt. Aber die Mehrheit kauft nach wie vor billig: Der Biomarkt für Fleisch steckt nach wie vor in der Nische. Bei Bio-Rindfleisch liegt der Anteil bei vier Prozent, Schweinefleisch kommt nicht mal auf ein Prozent.

Großartiger Seeluftschinken

Rinder, Ponys, Schafe, Ziegen haben wir alle schon gesehen, aber wo sind die Schweine? Direkt am Hof liegt der Auslauf, wo sich die Ferkel früher im Schweinsgalopp in die Kurve gelegt haben. Vorbei, die Weide ist leer, vor zwei Jahren wurde die Schweinemast eingestellt. „Es gab zu viele Auflagen der Behörden“, sagt Berghuis, die Schweinehaltung im Freiland sei schwierig geworden, so schwierig, dass ein Betrieb heute kaum noch eine neue Zulassung erhalte. „Jetzt kooperieren wir mit einem anderen Outdoor-Betrieb in der Müritzregion.“ Der großartige Seeluftschinken, eines der Spitzenprodukte des Landwerthofs, „wächst“ also an der Müritz. Er wird aber weiterhin an pommerscher Seeluft geräuchert und zur Reifung gebracht.

Wie ein riesiges Hühnengrab liegt das Erdreifegewölbe auf dem Hofgelände neben der Metzgerei. Unter der Erde reifen Schinken und Salami bis zu neun Monate, manches wird kalt geräuchert, manches luftgetrocknet, manche Partien durchlaufen beide Prozeduren. „Wie man früher Schinken und Wurst gemacht hat“, sagt Berghuis. Besucher müssen allerdings draußen bleiben, selbst der Betriebsleiter betritt nur dreimal im Jahr das Allerheiligste. Bloß nichts einschleppen und das Reifeklima stören!

Wer die wunderbaren Schinken und Salamis probiert, der wird milde und nachsichtig gegenüber dem restriktiven Besucherhandling.

Die Muttertiere ziehen ihre Kälber auf

Großartig: Schinken und Wurst vom Landwerthof.
Schinken und Wurst aus der eigenen Metzgerei.

© Pixelmann

Die Tierhaltung des Landwerthofs konzentriert sich jetzt ganz auf die Rinder. Ihr Offenstall ist nicht mehr als ein Wind- und Regenschutz; wenn der Ostwind besonders eisig bläst, werden Strohballen vor dem Eingang aufgetürmt. Der Stall besteht vor allem aus einem großen Dach, die Tiere haben ganzjährigen Weidegang. Eine zweite Gruppe steht auf der Insel Rügen, zusammen mehr als 400 Rinder.

Die Muttertiere ziehen ihre Kälber auf, die bleiben dann bis zu drei Jahre auf der Weide, bevor sie geschlachtet werden. Die hauseigene Schlachtung ist der entscheidende Vorteil. Fleisch- und Wurstqualität setzt sich zu je einem Drittel aus der Genetik der Tiere, der Haltung und der Schlachtung zusammen. Lange Tiertransporte und Stress bei der Schlachtung können beste Ausgangsprodukte ruinieren. Hier sind es nur wenige Schritte vom Stall zum Bolzenschuss.

Saftiges Färsenfleisch

Der Landwerthof produziert Färsen- und Ochsenfleisch. Färsen sind weibliche Jungrinder, die noch nicht gekalbt haben, ihr Fleisch ist besonders saftig. Und der noch warme Schlachtkörper wird sofort verarbeitet, das bringt jene unvergleichbaren Aromen in die Wurst, die man früher von Hausschlachtungen kannte und erleichtert die Konservierung. Denn Warmfleisch hat einen höheren PH-Wert, einen kräftigeren, natürlicheren Fleischgeschmack und bessere Bindungseigenschaften. Deshalb kann auf chemische Hilfsmittel wie Phosphat-Zugaben verzichtet werden. Weil die meisten Metzgereien nicht mehr selbst schlachten, ist Warmfleischverarbeitung heute eine echte Rarität. Das nicht zur Wurstherstellung genutzte Fleisch reift mehrere Wochen, bis es zart genug ist.

Vorbei an dürren Kräuterbeeten, die schon bessere Zeiten gesehen haben, führt unser letzter Weg zur Feinkostmanufaktur. Hier werden Fruchtaufstriche produziert, ein über Stunden ausgekochter Rinderfond oder gefüllte Rouladen. Viele Halbfertigprodukte für Restaurants und Gasthäuser. Kräuter und Beeren wachsen direkt am Haus, das bringt Frische und Qualität ins Produkt, denkt der unbedarfte Besucher. Das Gegenteil ist richtig: Wegen der vielen Besucher dürfen die direkt am Hof wachsenden Lebensmittel nicht verwendet werden. Außerdem müssten sie extra zertifiziert werden. Hygiene-Bürokraten-Wahn vom Feinsten, Bio-Landwirtschaft mit Hindernissen.

Der Besucher braucht ein wenig Trost. Vielleicht noch ein Blick auf die friedlich grasende Herde? Oder ein Ausflug zum idyllischen Hafen von Stahlbrode, vorbei an hübschen reetgedeckten Häusern. Sauber eingeparkt und vertäut, schaukeln die Boote im Wind. Die Fischräucherei hat schon Feierabend, aber die Ostsee ist noch da. Ruhig und versöhnlich. Man könnte meinen, sie dufte ein wenig nach Seeluftschinken.

Reisetipps für Stahlbrode

Schiff ahoi. Die Stahlbroder Fischräucherei liegt direkt am Hafen.
Schiff ahoi. Die Stahlbroder Fischräucherei liegt direkt am Hafen.

© Pixelmann

DER HOF: Der Landwerthof mit Schulbauernhof, Kochstudio, Manufaktur und Café liegt bei Stahlbrode, einem Ortsteil von Sundhagen im Landkreis Vorpommern-Rügen: landwert.de, Tel. 038 328 / 65110

ANREISE: Aus Greifswald über die B 105, aus Stralsund erst über die B 96, dann die B 105.

SEHENSWÜRDIGKEITEN: Von Stahlbrode aus kann man mit der Fähre nach Rügen fahren. Die weisse-flotte.de setzt mehrmals pro Stunde über.

PROBIEREN: Produkte des Landwerthofs gibt es in Berlin in der Markthalle IX, im Laden „Vom Einfachen das Gute“, bei Bio-Lüske, im Braugasthaus Doldenmädel, im Restaurant Katz Orange und in Potsdam bei Q-Regio.

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