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Plänterwald-Besucher auf dem Kettenkarussell. Das Foto entstand Ende der 1970er Jahre.

© Ullstein

Ein West-Berliner im Plänterwald: Sie nannten es Vergnügungspark

Berlin trauert um den abgebrannten Spreepark. Zu Recht? Unser Autor erinnert sich mit unguten Gefühlen an einen Besuch 1977 – und das Abenteuer DDR-Grenze.

Von Andreas Austilat

Wir waren 19 und 20 Jahre alt und aus West-Berlin. Vielleicht erklärt das ein bisschen unsere Sicht der Dinge, weil, ja, wir haben uns schlecht benommen. Weshalb ich diese Geschichte auch weitgehend verdrängt habe. Bis jetzt, bis der Spreepark abbrannte, den wir damals einfach nur Plänterwald nannten. Man konnte diese Woche einiges über den einzigen Freizeitpark der DDR lesen, wie schade es ist, dass der verloren zu sein scheint. Nun, um ehrlich zu sein: Damals, diese Geschichte spielt 1977, also, das reine Vergnügen erwartete uns nicht.
Könnte auch sein, dass dies mit unserer Einreise nach Ost-Berlin zu tun hatte. Die gestaltete sich sehr schwierig. Das Verfahren ging so: Ein paar Tage vorher begab man sich zu einem Passierscheinbüro und erwarb die Berechtigung, als West-Berliner Ost-Berlin besuchen zu dürfen. Als Einreisedokument musste man den „Behelfsmäßigen Personalausweis“ vorlegen, der war grün, anders als das graue Dokument, das Westdeutsche besaßen. Darauf legten die DDR-Behörden großen Wert, denn als West-Berliner war man nicht wirklich Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem musste man eine Begründung für die Einreise abgeben. Die drüben gern gehörte Antwort, wir sagten tatsächlich „drüben“, auf die Frage nach Ziel und Zweck der Einreise war: „Berlin, Hauptstadt der DDR, als Tourist“. So schrieb ich das auch.
Ganz klar war mir eigentlich nicht, was wir drüben wollten. Ich war zuvor nur ein einziges Mal in Ost-Berlin gewesen: mit meiner Tante im Pergamon-Museum. Das muss 1972 gewesen sein, kurz nach dem Viermächte-Abkommen. Vorher war es nämlich ziemlich schwierig, als West-Berliner nach Ost-Berlin zu gelangen. Nun, ich will nicht ungerecht sein, umgekehrt ging es gar nicht.
Vom Pergamonmuseum ist mir eigentlich nur hängen geblieben, dass es keine richtige Cola gab. Ein 15-Jähriger merkt sich so etwas. Diesmal war der Plan, einen draufzumachen. Für kleines Geld. Weil wir nämlich drüben schwarz tauschen wollten. Für eine West-Mark würden wir möglicherweise acht Ost-Mark bekommen. Die Frage war nur, wo macht man drüben einen drauf? Da fiel uns der Plänterwald ein, der einzige Dauerrummel zwischen uns und dem Kopenhagener Tivoli. Gut, es gab noch den Heidepark Soltau. Aber in die Heide fuhr man, wenn überhaupt, nur mit den Eltern. In West-Berlin gab es das Berliner Oktoberfest. Mit seinen nachgemachten Blaskapellen fand ich das jedoch extrem deprimierend. Das Deutsch-Amerikanische Volksfest war gut, weil die USA vor der Ära der billigen Flüge noch auf einem anderen Planeten lagen, man dort echte Amis gucken konnte. Die waren ziemlich cool, wie wir damals schon sagten. Es gab „Michelob“, also echtes amerikanisches Bier, und amerikanisches Eis. Dafür würden wir im Plänterwald Achterbahn fahren können, so oft wir wollten, in West-Berlin ein teures Vergnügen. Sie hatten dort einen Autoscooter, der nur nicht so hieß, sondern „Autoarena“, und ein „Kosmodrom“, das war so ein spinnenartiges Teil, an dem kleine Flieger hingen. Also gut, Plänterwald. Was sollte man an einem Wochentag nachmittags in Ost-Berlin sonst auch machen?

Wir waren zu dritt, Schummel, Chris und ich, und wir kamen in einem ziemlich großen Citroën DS Kombi, der eigentlich Chris’ Mutter gehörte. Citroën DS, das ist der, den man auch Haifischmaul nannte. Keine Frage, ein provokanter Auftritt, den wir am Grenzübergang Bornholmer Straße hinlegten. Die Kontrolle ging trotzdem relativ glatt, bis zu jenem Moment, als Schummel die dämliche Frage stellte, wo denn hier der Zwangsumtausch sei. Damals waren das 6,50 West-Mark, die zum Kurs eins zu eins in Ost-Mark umgetauscht werden mussten. Der Vopo, das war die gängige Abkürzung für Volkspolizist, fragte noch ein wenig ungläubig, dass Schummel doch sicher den Mindestumtausch meinte, worauf er leider antwortete: „Zwangsumtausch, Mindestumtausch, ist doch egal, ist doch eh das Gleiche.“ Ja, wir waren jung. Und Schummel war ziemlich kräftig und sah ein wenig eigenartig aus. Er trug immer einen schwarzen Anzug und eine gelbe Brille, dazu gelbe Schuhe und ein Hawaii-Hemd.

Der Vopo fand einen Schlagstock in unserem Wagen

Die Tannen der Bob-Bahn leuchteten abends.
Die Tannen der Bob-Bahn leuchteten abends.

© Imago

Der Vopo wandte sich darauf an mich, fragte: „Gehört der Herr zu Ihnen?“ Es war vollkommen klar, dass es gleich Ärger geben würde, zumal der Mann jetzt eine breitbeinige Haltung eingenommen hatte, die seine Uniform, einschließlich Schaftstiefel und einer Art Reithose, noch ein bisschen besser zur Geltung brachte. Ich sagte vorsichtig, dass ich nur der Fahrer sei. Er sagte: „Na dann fahren Sie mal, und zwar da rechts raus.“ Leider fanden sie gleich als Erstes diesen Schlagstock im Seitenfach der Fahrertür. Keine Ahnung, wie der dahingekommen war. War ja nicht mein Wagen, Chris’ älterer Bruder fuhr ihn sonst. Der Vopo nahm den Stock und sagte: „Und was ist das?“ Anschließend erinnerte er mich daran, dass ich doch zuvor gefragt worden war: „Haben Sie Waffen, Funkgeräte oder Munition dabei?“ Das fragten sie immer, wenn man die DDR-Grenze passierte. Und man antwortete routiniert mit „Nein“. „Das ist eine Waffe“, sagte der Vopo in mein Schweigen hinein. Ich dachte darüber nach, was ich machen sollte, wenn das hier eskalierte. Es gab keinen Botschafter, den zu sprechen ich hätte verlangen können. Es gab eine „Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland“, aber ob die für West-Berliner überhaupt zuständig war? Ich durfte damals ja noch nicht mal den Bundestag mitwählen, das ging erst seit 1990. „Das ist eigentlich nicht mein Wagen“, sagte ich. Worauf ich einen längeren Vortrag zu hören bekam, wer ich wirklich sei. Ein Provokateur nämlich, ja, der Verdacht liege nahe, dass wir eine Bande von Provokateuren seien. Er steigerte sich derart rein, dass er mir schließlich vorwarf, ich hätte mit diesem Stock sicher auch schon auf Arbeitslose in West-Berlin eingeprügelt. Was ich ziemlich ungerecht fand. Ich war Student, stand politisch wie alle Studenten damals, jedenfalls die, die ich kannte, eher links. Mir fiel also gar nichts zu diesem Knüppel ein. Musste es auch nicht, weil in diesem Moment ein zweiter Vopo von der anderen Seite fragte: „Und was ist das?“ Er tauchte aus der Beifahrertür auf und hielt eine Münze in der Hand, 20 Centimes, die er in der anderen Seitentasche gefunden hatte. „20 französische Centimes“, sagte ich, froh über diese Ablenkung, „das sind fünf Pfennige, wenn überhaupt.“ „Das sind ausländische Devisen“, sagte der Vopo, „die hätten Sie angeben müssen.“ Ich bot ihm an, die Münze hier und jetzt einfach wegzuwerfen. Was natürlich nicht erlaubt war. Ich durfte sie aber in eine Spendenbüchse werfen. Ich glaube, es war für den Wiederaufbau Vietnams. Während Chris die Türverkleidung ausbauen musste, wurde ich zur weiteren Befragung in eine Hütte geführt. Dort sollte ich die Taschen ausleeren. Auf Anhieb fühlte ich das Präservativ in der Brusttasche meiner Jeansjacke. Nein, das war auch nicht meines. Ich hatte es ein paar Tage vorher meinem 16-jährigen Nachhilfeschüler abgenommen. Ich ließ das Präservativ in der Tasche. Natürlich musste ich die Jacke ausziehen, und der Vopo fand es, was ihn zu der Bemerkung verleitete: „So, Sie kommen also in die Hauptstadt als Tourist“.

Anschließend durfte ich mit ihm Seite für Seite mein kleines privates Telefonbuch durchgehen. Länger verweilten wir beim Buchstaben D für Waclaw Dajnowiec, den ich im Sommer auf einem schwedischen Campingplatz kennengelernt hatte. Damals gab es noch kein Facebook, man tauschte stattdessen Adressen. „Handelt es sich bei diesem Herrn um einen Bürger der Volksrepublik Polen?“ Ich bejahte, die Polen durften damals schon ins neutrale Schweden reisen. „Wann haben Sie diesen Herrn das letzte Mal gesehen? Wo? Hat er Ihnen etwas gegeben? Haben Sie ihm etwas gegeben?“ Das war der Moment, in dem ich eigentlich gar nicht mehr in die Hauptstadt der DDR einreisen mochte, sondern viel lieber umdrehen und nach Hause wollte. Adieu, Plänterwald. Schummel erging es noch ein bisschen ärger. Er hatte fahrlässigerweise angegeben, dass er beabsichtigte, seine Tante zu besuchen. Die lebte nämlich in Ost-Berlin, und bei ihr hatten wir auch geplant, das Geld zu tauschen. Nun wurde er gefragt, wie seine Tante denn heiße und wo sie wohne? Was er aber nicht sagen wollte, weil er befürchtete, sie würde dann Ärger bekommen. Schummel sagte also: „Weiß ich nicht, ich sage immer nur Tante Bärbel zu ihr.“ Und er wisse auch nicht einmal so genau, wo sie wohne, könne aber das Haus beschreiben. Sie brachten ihm dann einen Stadtplan Ost-Berlins, und er sollte das Haus suchen. Schummel saß ungefähr eine Stunde lang regungslos davor, und alle zehn Minuten, wenn der Vopo kam, sagte er: „Ich finde es leider nicht.“

Wir kauften zwei Eimer Lose

Auf der Kosmos-Bahn kreisten die Besucher auf Raketen um einen Planeten.
Auf der Kosmos-Bahn kreisten die Besucher auf Raketen um einen Planeten.

© Imago

Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass sie uns noch einreisen lassen würden. Sie taten es aber. Nur die Seitenverkleidung in unserem Citroën musste ich selbst wieder einbauen. Wir besuchten die Tante tatsächlich, tauschten bei ihr ein wenig Geld zum Schwindel-Schwarzmarktkurs. Und dann erreichten wir den Plänterwald. Es heißt, der Plänterwald habe nach seiner Gründung 1969 jährlich immer um die 1,5 Millionen Besucher gehabt. Wie gesagt, wir kamen mitten in der Woche an einem Nachmittag dort an, trotzdem waren wir überrascht, wie leer der Kulturpark, so hieß er offiziell, auf uns wirkte. Auf jeden Fall nicht besonders cool. Schön, das berühmte Riesenrad, das gab es bereits, ein bisschen kleiner allerdings als das 45-Meter-Exemplar, das erst 1989 errichtet wurde. Die meisten Geräte, die Anfang der 90er Jahre dort aufgestellt wurden, stammten aus der Konkursmasse eines französischen Vergnügungsparks, die gab es 1977 noch nicht. Die jetzt abgebrannte Kulissenstadt auch nicht, die kam erst viel später. Das einzige Fahrgerät, das uns – wir reden von 1977 – gereizt hätte, war die Achterbahn, ein damals schon alter „Alpen-Express“. Doch der war außer Betrieb, es hatte wohl einen kleinen Unfall gegeben.

Wir gingen ratlos über die überbreiten Asphaltwege. Weil das Gelände so weitläufig war, sah es so aus, als ob da nur ein paar Buden wären. Irgendwie fehlte auch die Rummelmusik oder die launigen Ansager, die versuchten, das Publikum bei Laune zu halten. So etwas wie „Hoppla, jetzt kommt der Schwung“ oder „die nächste Fahrt geht wieder rückwärts!“ Wir hatten immer noch die Taschen voller Geld, das einfach nicht weniger wurde, und blieben vor einer Losbude stehen. Schummel fragte die Losverkäuferin, ob sie Feierabend hätte, wenn wir ihr den Eimer abkauften. „Nein“, sagte sie, „ich bekomme einen neuen Eimer.“ Wir kauften ihr zwei Eimer ab, gewannen den Hauptgewinn, eine Flasche echten Vermouth von Martini, außerdem noch ein MühleDame-Spiel und diverse Kleingewinne. Dann trat ich an die Schießbude. Ich traf nichts. Der Mann hinter dem Tresen hatte inzwischen natürlich erkannt, dass wir West-Berliner waren. Nicht am Dialekt, darin unterschieden wir uns eigentlich so gut wie gar nicht. Er hielt uns wahrscheinlich einfach für Schnösel. Jedenfalls sagte er plötzlich: „Das hast du wohl bei der Bundeswehr gelernt.“ Ich glaube, das war einfach zu viel. Man hatte mich an diesem Tag mehrmals auseinandergenommen, hatte mich als Provokateur beschimpft und als Devisenschmuggler. Außerdem war ich West-Berliner, entmilitarisiert. Uns rief niemand zu irgendeiner Armee. Ich kaufte für zehn Mark Munition und schoss wahllos in die Bude. Anschließend sagte ich: „So sieht Materialüberlegenheit aus.“ Der Plänterwald und ich, wir haben uns leider nie wiedergesehen.

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