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Eine Gegenwartserinnerung von Moritz Rinke: Der Duft von Paris Hilton und anderen Stars

Es gibt ein viel gesehenes Video mit Britney Spears bei Youtube. Es zeigt einen Live-Auftritt der berühmten Popsängerin 2009 in Las Vegas, bei dem das Mikrofon isoliert wurde und man nur ihre Stimme hört.

Man muss das Video lediglich ein paar Sekunden laufen lassen (länger schafft man es sowieso nicht), um festzustellen, dass Britney Spears definitiv nicht singen kann. Ja, man muss sogar sagen, dass sich jeder Mensch schämen würde, wenn jemand aus seiner Familie öffentlich so singen würde.

Ich finde es immer spießig, wenn sich die Deutschen darüber aufregen, wie viel jemand verdient und was er dafür leistet, ich finde Neid ganz entsetzlich, aber bei Britney Spears ist das schon wahnsinnig. Wie kann man mit dieser Begabung 58 Millionen Dollar im Jahr zusammenkrächzen? Spears hat mehrere World Music Awards erhalten und sogar einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame, zusammen mit Maria Callas.

„Amateur“ und „Dilettant“ sind eigentlich sehr schöne Begriffe. „Amateur“ kommt vom lateinischen Amator = Liebhaber, der etwas aus Liebe tut; das italienische dilettare leitet sich ab von delectare = sich erfreuen. Der Dilettant erfreut sich an seinem Tun, er übt es um seiner selbst willen aus – im Gegensatz zum Professionellen, der es, bei aller Liebe, auch als eine Arbeit verrichtet und damit seinen Lebensunterhalt bestreitet, weil er diese Arbeit besonders gut kann.

Auf der Frankfurter Buchmesse kann man zunehmend professionelle Schriftsteller beobachten, deren Gesichtszüge sich von Buchmesse zu Buchmesse immer mehr verfinstert haben. Hatten sie sich gerade von ihren neuen Kollegen Dieter Bohlen, Lothar Matthäus oder Daniela Katzenberger aus dem Vorjahr erholt, wurden sie diesmal von neuen Kollegen wie Boris Becker, Atze Schröder oder Uwe Ochsenknecht überrollt.

Das Interessante dabei ist, dass die Medien meist Folgendes verbreiten: Katzenberger, Becker oder Atze Schröder seien „unter die Schriftsteller gegangen“, so als würde die Tatsache, dass sie ein Buch geschrieben haben, schon automatisch die neue Berufsbezeichnung legitimieren.

Paris Hilton ist auch so ein interessanter Fall. Wofür sie eigentlich berühmt ist, weiß niemand, aber sie ist es, das allein zählt. Sie agiert als Schauspielerin, Fotomodell, Designerin und ebenso als erfolgreiche Sängerin, singen kann sie allerdings überhaupt nicht (siehe auch unbedingt auf Youtube: „Enrique Iglesias cannot sing“).

Eigentlich wimmelt es in unserer Gesellschaft nur so von Leuten, die höchst erfolgreich Berufe ausüben, die sie nicht können. Die Dilettanten, die früher die Dinge um ihrer selbst willen ausübten, üben sie heute markttechnisch hochprofessionell aus. Und die übrig gebliebenen Professionellen von früher, sie wirken dagegen, unter den Gesetzen des Marktes betrachtet, dilettantisch. Wie irre!

Den Dilettanten, sagt Goethe, interessiere nicht die Blume, sondern der Duft der Blume. Wie die Blume wächst, was man tun muss, damit sie wächst, alles völlig egal. Pop, Medienwelt, Kunst, Finanzberatung, Wirtschaft, ganz besonders in der Politik: Überall finden sich heute Beispiele für diesen Duft ohne Blumeninteresse. Kaum ist jemand irgendwie präsent, schon ist es zu spät, da kann man noch so das fehlende Talent einklagen, die Präsenz heiligt alles Unvermögen.

„Die Kategorien sind in der schändlichsten Verwirrung“, sagt der König bei Georg Büchner. Und wie grotesk: Würden wir uns von einem Arzt operieren oder von einem Piloten fliegen lassen, der nicht mal ein Skalpell oder einen Steuerknüppel halten kann?

Ich glaube, mittlerweile, ja. Er muss nur präsent sein und den Duft haben.

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Esther Kogelboom und Jens Mühling.

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