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Energiekonzerne und Ökostrom: Claudia Kemfert: „Um den Strom wird erbittert gekämpft“

Wird der Ökostrom wirklich unbezahlbar? Oder bluffen die Energiekonzerne nur? Claudia Kemfert über die Lügen der Lobbyisten und das deutsche Vorbild für die Welt.

Claudia Kemfert, 45, zählt zu den einflussreichsten Wissenschaftlern des Landes. Die Ökonomin war bereits mit 35 Professorin an der Humboldt-Universität und leitet seitdem auch am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin den Bereich Energie. Sie berät Politiker und ist Mitglied im Club of Rome.

Frau Kemfert, es wird schon wieder heftig über die Energiewende gestritten. Gerade gingen Zehntausende für deren Fortsetzung auf die Straße. Ist das mit dem Ökostrom nicht deutsche Spinnerei, so wie die Liebe zum Wald oder das Oktoberfest?

Spinnerei ist es, Ökostrom als deutsche Marotte abzutun! Dänemark ist beispielsweise schon viel weiter. Und viele andere Länder bauen auch um. In fast 100 Ländern in der Welt werden erneuerbare Energien finanziell gefördert. Eine echte Marotte ist es, unsere Erfolge schlechtzumachen. Neulich sagte der renommierte amerikanische Ökonom Jeffrey Sachs bei einer Tagung hier in Berlin, wir sollten doch stolz auf unsere Energiewende sein. Da hat er recht. Wir vollbringen ein globales Energiewirtschaftswunder, wenn wir uns nicht ständig selbst dabei blockieren.

Jetzt übertreiben Sie.

Keineswegs. Millionen Menschen in Afrika und Indien haben heute Strom, obwohl es in ländlichen Regionen keine Netze gibt, weil wir mit der Energiewende ganz erheblich die Kosten der Fotovoltaik reduziert haben. Außerdem sind wir das Modell für die Welt: Wenn uns als Industrienation die Umstellung auf saubere Energiequellen gelingt, wird das überall Nachahmer finden. Das ist das Beste, was wir für den Klimaschutz tun können. Die Kosten für erneuerbare Energien sinken kontinuierlich. Den Rest besorgt dann der Markt, denn der Erfolg setzt sich durch.

Das ist sehr optimistisch. Derzeit kommt erst ein Viertel der Stromversorgung aus sauberen Quellen, den Rest bestreiten Kohle, Gas und Uran. Die Bundesregierung hat zwar versprochen, 2050 werde es umgekehrt sein. Aber sie plant nun das Gegenteil. Die Energiewende wird wohl scheitern?

Scheitern kann sie gar nicht, weil uns früher oder später die fossilen Energien ausgehen werden. Spätestens dann müssen wir auf andere Energieformen umsteigen. Doch je länger wir den Wandel verzögern, desto teurer wird’s!

Claudia Kemfert
Claudia Kemfert

© Mike Wolff

In Ihrem Buch „Kampf um Strom“ schreiben Sie, wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien gebremst werde, dann würden neu gebaute Kohlekraftwerke den Umbau für 50 Jahre blockieren. Genau das will Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel jetzt durchsetzen.

Das ist eine große Gefahr. Bisher wurde der Ökostrom mit garantierten Preisen vergütet, das hat Sicherheit für Investoren geschaffen. Nun sollen diese Sätze stark gekürzt und der Neubau an Solar- und Windkraftanlagen begrenzt werden. Stattdessen werden wieder neue Kohlekraftwerke gebaut. Das macht es schwer, die Klimaziele noch zu erreichen.

Die Ökoenergie wird zum Sündenbock gemacht

Muss die Regierung nicht etwas tun? Der Preis für Haushaltsstrom ist in zehn Jahren, also in der Zeit des Ausbaus von Wind-, Biogas- und Solarkraft, von 17 auf 29 Cent pro Kilowattstunde gestiegen. Das sind 70 Prozent. Da müssen die Menschen doch Angst bekommen.

Die Verbraucherpreise sind gestiegen, das stimmt. Leider wird Ökoenergie dabei zum Sündenbock gemacht. Viele Unternehmen zahlen gar keine Umlage dafür. Deshalb müssen Haushalte mehr bezahlen und subventionieren so indirekt die Unternehmen. Dabei kostet der Strom an der Börse so wenig wie noch nie, unter vier Cent pro Kilowattstunde! Nur geben die Versorger diese günstigen Preise nicht an die Kunden weiter.

Sie behaupten, die Konzerne und Stadtwerke kassieren einfach vier Mal mehr bei ihren Kunden, als sie selbst bezahlen?

Ein guter Deal, nicht wahr? Der Verbraucherpreis setzt sich allerdings aus vielen Faktoren zusammen. Auch Steuern spielen eine Rolle. Die Ökostromumlage ist zwar auf mehr als sechs Cent gestiegen. Aber das liegt zum größten Teil gar nicht am Zubau von Wind- und Solaranlagen, sondern daran, dass die Stromunternehmen ihre alten Kraftwerke weiterlaufen lassen und es nun ein Überangebot gibt, das den Börsenpreis drückt. Das vergrößert den Abstand zwischen den Garantiepreisen für den Ökostrom und dem Marktpreis. Diese Differenz wird als Umlage den Kunden in Rechnung gestellt. Nur schlagen viele Versorger das einfach auf den alten Preis obendrauf, was nicht gerechtfertigt ist.

Dann müssten die Konzerne im Geld schwimmen. Doch RWE hat vergangenes Jahr 2,8 Milliarden Euro Verlust gemacht, und bei Eon, EnBW und Vattenfall ist’s nicht viel besser.

Bis vor kurzem haben die Stromkonzerne und auch so manches Stadtwerk tatsächlich extrem hohe Gewinne erzielt. Aber sie haben auch zu lange in einen überdimensionierten konventionellen Kraftwerkspark investiert. Jetzt brechen die Erlöse weg, und die Manager wollen mit großem Getöse beim Staat Zuschüsse erzwingen. Dabei hätten sie es besser wissen können, die Energiewende kam ja nicht über Nacht. Im Übrigen sind die Verluste bei RWE in erster Linie in England und Holland entstanden. Auch Eons Defizite resultierten vor allem aus überhöhten Gaspreisen durch russische Zulieferer. Mit der Behauptung, die Energiewende treibe sie in den Ruin, wollen manche nur von ihren eigenen Fehlern ablenken.

Nun warnen von den Industrieverbänden über die Deutsche Bank und den Chemieriesen BASF bis zur IG Metall so ziemlich alle, Deutschland drohe die Deindustrialisierung, wenn der Strom so teuer bleibt.

Fakt ist: Die Industrie kriegt ihren Strom so billig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Die Großkunden können direkt an der Börse kaufen und müssen die Ökostrom-Umlage nicht zahlen. So schlecht kann es der Industrie also gar nicht gehen. Einen wirklich hohen Stromverbrauch hat beispielsweise die Aluminiumindustrie. Deren Verbandspräsident hat neulich klar bekannt, seine Branche profitiere von der Energiewende. Als in Holland kürzlich eine Aluminiumhütte geschlossen wurde, war die Begründung, gegen die niedrigen deutschen Strompreise könne das Werk nicht konkurrieren.

Warum, bitte schön, warnen dann so viele hysterisch vor dem Niedergang wegen der Energiewende, wenn das alles gar nicht stimmt?

Das ist das, was ich Kampf um Strom nenne. Es geht darum, alte Pfründe zu sichern. Sie wollen den Wechsel von Kohle-, Gas- und Atomkraft zu regenerativen Energien nicht mitgehen.

Es stehen viele Jobs und viel Geld auf dem Spiel.

Selbstverständlich läuft da ein Strukturwandel, der auch die Arbeitswelt betrifft. Die Kohleindustrie beispielsweise beschäftigt in Deutschland etwa 40 000 Menschen. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien sind allerdings schon 380 000 Arbeitsplätze entstanden – und in den nächsten Jahren könnten noch mal 180 000 dazukommen, wenn wir nicht die Energiewende ausbremsen. Und wir dürfen weitere Sektoren nicht vergessen, die auch profitieren werden, wie beispielsweise die Energieeffizienz und nachhaltige Mobilität.

Warum rufen dann nicht wenigstens die Mittelständler und Gewerkschaften Hurra?

Offenbar haben die Lobbyisten der Vergangenheit mehr Power als die Lobbyisten der Zukunft.

Wirtschaftsminister Gabriel ist für Sie ein Lobbyist der Vergangenheit?

Er vertritt jedenfalls derzeit die Interessen der alten Industrien, die den Umbau bremsen wollen.

Viele schimpfen über die Ökostromumlage, weil selbst die Ärmsten über ihre Stromrechnung dem reichen Zahnarzt seine Solaranlage finanzieren.

Hier wird Sozialneid geschürt. Die sogenannte Energiearmut ist wissenschaftlich in der Diskussion. Ja, viele Haushalte müssen einen erheblichen Teil ihres Nettoeinkommens für Energie ausgeben. Doch mit der Stromrechnung hat das kaum etwas zu tun, sondern vor allem mit hohen Öl- und Gaspreisen für Heizung und Mobilität.

Claudia Kemfert
Claudia Kemfert

© Mike Wolff

Die Umlage scheint bei der Solarenergie rausgeschmissenes Geld. Wir werden am Ende mehr als 100 Milliarden Euro in deren Entwicklung stecken, produziert wird allerdings jetzt in China. Die einst prosperierende deutsche Solarindustrie ist am Ende.

Ein Mythos. Die genannte Summe bezieht sich auf einen Zeitraum von 30 Jahren. Es handelt sich hier um Investitionen, die Arbeitsplätze bringen. Für Brennstoffimporte gibt Deutschland hingegen knapp 100 Milliarden Euro aus – jedes Jahr! Die Solarförderung hat unglaublich viel erreicht. Die Kosten der Solarenergie wurden erheblich reduziert. Heute kostet der Strom aus dem neuen, weltgrößten Solarkraftwerk in Kalifornien nur 3,5 Cent pro Kilowattstunde und ist damit billiger als Kohle- und Atomstrom.

Schön, doch unsere Solarindustrie ist pleite.

Genau das hätte die Regierung verhindern können, wenn sie gewollt hätte. Hier wurden die Investoren regelrecht vertrieben, indem dauernd die Bedingungen für den Betrieb von Solaranlagen verändert und verschlechtert wurden. Die chinesischen Produzenten sind nur deshalb so billig, weil sie extrem günstige Kredite von den staatlichen Banken bekommen haben und so über lange Zeit zu Dumpingpreisen anbieten konnten. Wir hätten dagegenhalten können. In anderen Sektoren geschieht das ja auch. Denken Sie nur an die Luftfahrtindustrie. Auch die Kohle wurde jahrzehntelang subventioniert.

Wie die Versorgung gesichert werden soll

Warum muss Solarstrom überhaupt noch gefördert werden? Der Strom vom Dach ist für Normalverbraucher momentan schon billiger als der aus dem Netz.

Deswegen senkt man dafür jetzt auch die Vergütungssätze. Aber Minister Gabriel will nun sogar diesen privaten Ausbau bremsen, indem er für den Stromverbrauch aus eigener Erzeugung die Ökostromumlage einführen will. Das halte ich für einen Fehler.

Bei allem technischen Fortschritt ist eines nicht geklärt: Wie soll die Versorgung gesichert werden? Es gibt nun mal dunkle Tage, an denen zudem der Wind nicht weht. Eon-Chef Johannes Teyssen sagt jetzt schon, dass mit der konventionellen Stromerzeugung kein Geld mehr zu verdienen sei, und fordert darum Subventionen dafür, dass er Kraftwerke in Bereitschaft hält, weil sonst der Blackout drohe.

Noch ein Mythos. Derartige Subventionen machen den Strompreis teuer und nützen dem Strommarkt wenig. Selbst Vattenfall bestätigt unsere Studien, dass solche Subventionen unnötig sind, weil es im kommenden Jahrzehnt in Deutschland hohe Überkapazitäten gibt. Was wir brauchen, sind ein Ausbau der Stromnetze und mehr Speicheranlagen.

Frau Kemfert, Sie haben eine steile Karriere gemacht und wurden schon mit 35 Chefin der Energieabteilung im DIW und Professorin an der Humboldt-Uni. Wollten Sie nicht mal Tierärztin werden?

Als Kind war das mein Traum. Später, als Studentin, habe ich einen Vortrag über Ölmärkte gehört. Diese langfristigen, strategischen Konstellationen fand ich spannend. Dazu die Spieltheorie, die Prognosen: Wer verhält sich in welcher Lage wie? Das hat mich fasziniert und nicht mehr losgelassen.

Sie sind das prominente wissenschaftliche Gesicht der Energiewende und mischen sich ein – sogar in einer kabarettistischen Sendung wie „Pelzig hält sich“. Riskieren Sie damit Ihren Ruf?

Wir Wissenschaftler haben die Aufgabe, uns auch öffentlich zu äußern. In Amerika ist das selbstverständlich, da schreiben auch Nobelpreisträger wie Paul Krugman oder Joseph Stiglitz regelmäßig Kolumnen in Zeitungen. Der öffentliche Diskurs ist Teil der Aufgabe.

Dreh- und Angelpunkt Ihrer Arbeit ist der Klimawandel. Wer die Prognosen der Forscher liest, möchte sofort die Revolution ausrufen: Verbot der Kohle in zehn Jahren! Solarzellen auf jedes Haus! 100 Milliarden Euro für Wärmedämmung pro Jahr! Gemessen daran wirken Sie sehr zurückhaltend.

Wir müssen eben Wege finden, die praktikabel sind. Ich wäre schon zufrieden, wenn wir die ambitionierten Ziele der Energiewende erreichen.

Ihre Sekretärin hat Ihnen gerade ein Taxi bestellt. Wie halten Sie es mit dem Klimaschutz im Alltag?

Gleich muss ich zum Bahnhof, das schaffe ich sonst nicht mehr. Ansonsten fahre ich Bahn und Fahrrad, ich esse kein Fleisch …

… weil Sie es gesundheitlich nicht vertragen. Wer Flugangst hat, kann leicht aufs Fliegen verzichten.

Der persönlichen Klimabilanz ist das Motiv egal. Ich kaufe regionale Produkte und mache Urlaub fast immer an der Nordsee. So bin ich jetzt bei rund fünf Tonnen Kohlendioxid pro Jahr, der deutsche Durchschnitt liegt bei zehn. Um die Emissionen meiner beruflichen Flugreisen zu kompensieren, spende ich an internationale Klimaschutzprojekte.

Ihre Position für die Wende bringt Ihnen Häme von Kollegen ein. Die werfen Ihnen vor, Sie würden Ihr Fähnchen nach dem Wind hängen. Noch 2010 haben Sie gesagt, man solle die Atomkraftwerke acht Jahre länger laufen lassen, um „mehr Zeit“ für den Umstieg auf die Erneuerbaren zu haben. Nach Fukushima waren Sie auch nicht mehr dafür.

Ich war nie eine Befürworterin der Atomkraft. Aber ich habe davor gewarnt, dass eine schnelle Abschaltung von Atomkraftwerken den Bau von Kohlekraftwerken forciert. Genau das ist passiert. Mir ging es um eine Laufzeitverkürzung, nämlich von Kohlekraftwerken. Ich wollte und will noch immer, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien gelingt.

Den Vorwurf des Opportunismus haben Sie sich auch in der Politik eingehandelt. 2012 sind Sie mit Norbert Röttgen für die CDU in den Wahlkampf gezogen, vergangenes Jahr dann für den SPD-Mann Thorsten Schäfer-Gümbel.

Ich bin parteilos und unterstütze Politiker, die die Energiewende konsequent voranbringen wollen. Röttgen wollte das in Nordrhein-Westfalen, das fand ich sehr mutig. Genauso ein Jahr später Schäfer-Gümbel in Hessen.

Beide haben nicht gewonnen. Haben Sie ein Faible für Verlierer?

Die Wahlergebnisse konnte ich nun wirklich nicht beeinflussen.

Die meisten Quereinsteiger scheitern kläglich – und das schnell. Warum wollen Sie in die Politik?

Ich wurde gefragt, ob ich im Schattenkabinett als mögliche Ministerin eines Bundeslands aktiv werden will. Das ist eine seltene Chance, die Energiewende konkret und regional umzusetzen. Ich würde mich jederzeit wieder so entscheiden.

Die meisten politischen Auseinandersetzungen sind heute nicht mehr nach Lagern und Ideologien zu sortieren. Nur die Energiedebatte wird mit unerbittlicher Härte geführt – da geht’s zu wie in einem Kulturkampf.

Claudia Kemfert
Claudia Kemfert

© Mike Wolff

Die wichtigste Ursache ist die massive Kampagne, die von Interessenvertretern gegen die Energiewende betrieben wird. Exemplarisch ist für mich, wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft …

… die von den Metallarbeitgebern finanziert wird …

… mit einer bundesweiten Plakatkampagne und dem falschen Argument vom teuren Ökostrom versucht hat, die Menschen in die Irre zu führen und die Energiewende zu torpedieren.

Und deshalb werden die Kritiker so aggressiv?

Das ist eben der erbittert geführte Kampf um Strom.

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