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Ohne Schutzanzug wäre die Behandlung für die Pfleger lebensgefährlich

© AFP

Epidemie in Westafrika: Mein Einsatz gegen Ebola

Maximilian Gertler war als einer der ersten deutschen Mediziner im Ebola-Gebiet

Ich war  in Guéckédou im Einsatz. Das liegt im  von Urwäldern geprägten Süden von Guinea.  Dort, im Dreiländereck von Guinea, Liberia und Sierra Leone begann die Epidemie los  und Staatsgrenzen sind für Ebola kein Hindernis. Ich erinnere mich an eine Patientin, die bereits krank mit dem Minibus aus Monrovia kam - eingepfercht zwischen mindestens 15 anderen Passagieren. Sie ist zwei Tage später gestorben.

Ich selbst habe das Grenzflüsschen zwischen Guinea und Liberia einmal überquert. Erstaunlich, was dort mit Einbäumen  alles transportiert wird: Tonnen von Palmöl, Motorräder. Das geht ständig hin und her, selbst wenn man wollte, würde man die Grenze nicht dicht kriegen. Auf der liberianischen Seite des Flüsschens wartete ein Wagen auf mich. Damals war offensichtlich, dass die Zahl der Neuerkrankungen in Liberia gerade explodierte. Zum einen hörten wir von den Dorfältesten und aus den Gesundheitsposten eine Menge Gerüchte, und mehrmals sah ich auch  Trauerzüge.

Die ersten Ebola-Patienten hatte es vermutlich bereits vor  einem Jahr gegeben. Im März lasen Kollegen in unserem Brüsseler Zentrum von Ärzte ohne Grenzen einen Bericht über 20 plötzliche Todesfälle in Guinea. Viele  Betroffene  klagten über Schluckauf. Das klingt wie ein banales Symptom, ist aber typisch für schlechte Verläufe von Ebola. Aufgrund dieses Verdachts schickte Ärzte ohne Grenzen bereits Mitte März ein Erkundungsteam, das   zwei Isolierstationen in Guinea einrichtete. Wenige Wochen später berichteten wir, dass dieser Ausbruch viel größer ist als alle  vorangegangenen. Das wurde uns damals noch als Hysterie ausgelegt. Am 8. August rief die WHO den Gesundheitsnotstand aus.

Meine Aufgabe in Guinea war es, die Infektionsketten zu rekonstruieren und zu verfolgen, damit jene, die mit Kranken oder Verstorbenen in Berührung gekommen waren, falls sie selbst erkrankten, rasch isoliert und behandelt werden können. Unsere Teams sind dazu mit  Geländewagen in die Dörfer gefahren, manchmal ging es auch nur mit dem Motorrad. Sie schauten nach Symptomen bei Kontaktpersonen, und holten die Erkrankten in unsere Station.  Das klingt einfach – einmal bin ich in ein Dorf gefahren um zu klären, wie die Krankheit dorthin kam und ich musste zwei Stunden mit den Bewohnern verhandeln. Alle versicherten mir: "Nein, der Tote hatte nie Besuch gehabt und war auch nie in der Stadt gewesen, Kranke hatten wir schon gar nicht hier“. Bis wir dann die Gräber fanden: erst das der lange vom Dorf verstoßenen Schwester des Verstorbenen, dann das ihres Kindes, schließlich das ihrer Mutter. Langsam bekamen wir  auch diese Infektionskette zusammen. Für die Dorfbewohner war sie ein Fluch oder eine Strafe, davon wollten sie mir nicht erzählen. Und während der Gespräche wuselten die Kinder des Verstorbenen um uns herum, und man denkt nur immer: Abstand halten! niemand anfassen! Eins davon kann bald unser nächster Patient sein.

Das macht es nicht leichter, aber so können wir diese Infektionsketten unterbrechen, durch frühe Erkennung, Isolierung der Patienten und Aufklärung.

Das härteste sind die menschlichen Schicksale hinter den Todesstatistiken. Ich erinnere mich an einen Fünfjährigen, der als einziges Mitglied seiner Familie noch gesund war und seinen sterbenskranken vier Monate alten Bruder zu uns brachte.  Unser Zentrum in Monrovia war zeitweise so voll, dass man morgens rasch entscheiden musste, wen man aufnimmt. Im Zweifel den Kränkeren, denn es gilt: je kränker desto infektiöser. Und wer draußen bleiben muss. Und man hofft, dass man den am  Folgetag noch lebend aufnehmen kann. Es war unerträglich und grotesk, selbst sterbenskranke Säuglinge nicht ohne Schutzkleidung berühren zu dürfen. Lebensgefahr! Mit intensivmedizinischen Mitteln könnten wir sicher viele retten. Aber es gibt zu wenig Helfer und zu viele Kranke. Ich wünschte mir, unsere Regierungen würden mehr Personal schicken.

"Das Team wurde mit Steinen beworfen, ihr Auto angezündet"

Maximilian Gertler, Internist und Mitglied im Vorstand von Ärzte ohne Grenzen
Maximilian Gertler, Internist und Mitglied im Vorstand von Ärzte ohne Grenzen

© imago/epd

In Guéckédou befanden sich neben den etwa 200 einheimischen Kräften außer mir noch drei  Ärzte aus Italien, Argentinien und Belgien. Außerdem Pflegekräfte und Logistiker – ein Team von 15 Mitarbeitern aus 9 Ländern. In der Region leben mehrere 100.000 Menschen.  Dazu kamen bereits eine Reihe  Patienten aus Liberia. Als ich Ende Juli dort war, stieg nicht nur die Fallzahl, sondern manche Stämme lehnten es auch ab, sich in Behandlungszentren auf dem Gebiet anderer Volksgruppen behandeln zu lassen. Diese Gemeinden konnten wir also  nicht erreichen . Ein Team einer anderen Organisation wurde mit  Steinen beworfen und das Auto angezündet.

Hintergrund dieser Ablehnung ist oft, dass  mit dem Gerücht, in einem Dorf könnte Ebola ausgebrochen sein, eine Stigmatisierung verbunden ist. Die Menschen in den Dörfern merken, dass sie gemieden werden, wenn die weißen Autos der Helfer einmal vorgefahren sind. Danach kommt niemand mehr auf ihren Markt.  Ich erinnere mich an ein Dorf in Guinea, das blieb über sechs Wochen unzugänglich. Während dieser Zeit starben dort zehn oder zwölf Menschen – einer infizierte den anderen.

Auch bei uns werden rückkehrende Helfer oft stigmatisiert. Als ich über Brüssel nach Hause kam, hat mich meine Schwiegermutter  nicht hineingelassen und manchen Kollegen ging es ähnlich. Dabei ist Ebola nicht ansteckend, solange  keine Symptome der Krankheit auftreten.. Die Ansteckung erfolgt über den Kontakt mit Körperflüssigkeiten, die in den eigenen Körper hineingelangen müssen. Etwa über die Augen, wenn bei einem Begräbnis die Angehörigen den Toten berühren, weinen und sich dann die Augen reiben.

Ebola tötet unbarmherzig und zuerst die, die kranke Schwestern, Kinder Ehemänner gepflegt haben. Viele unserer Patienten, starben in den ersten 24 Stunden an multiplem Organversagen. Ich erinnere mich an  eine Frau, die ihre Krankheit überlebte. Nach allem, was wir wissen, sind solche Patienten fortan immun. Die Frau hatte  alle Kinder  verloren, nun blieb sie freiwillig im Behandlungszentrum und kümmerte sich um die Waisen. Das hat mich sehr berührt.

Heute ist die Lage in Liberia etwas besser, dafür steigt die Zahl der Erkrankten in Sierra Leone und dem Großraum Freetown. Ein Albtraum wäre, wenn die Epidemie in die Elfenbeinküste übergreift, dort leben mehr Menschen als in den bisher betroffenen drei Staaten zusammen. Die Straße von der Grenze in die Hauptstadt Abidjan  ist gut ausgebaut, und Abidjan ist mit der Welt bestens vernetzt.

Ich werde manchmal gefragt, warum ich das tue, warum ich  Wochen meines Urlaubs für "Ärzte ohne Grenzen" drangebe? Ich war jetzt sieben Mal in Afrika, aber ich will mich nicht besser machen, als ich bin: Ich denke, dass der Zugang zu medizinischer Hilfe ein Menschenrecht und kein Privileg ist.  Es geht ja auch nicht immer gleich ums Sterben. Wer einmal eine Nacht mit Zahnschmerzen   oder neben seinem Kind verbracht hat, das eine Lungenentzündung hat,  das ist

unerträglich. In Afrika habe ich Menschen getroffen, die mit ihrem fiebernden Kind zwei Tage lang zu uns unterwegs waren. Und als sie  endlich ankamen, war ihr Kind tot. Wenn ich in Guinea diese Familiengeschichten sehe von Eltern, die in zwei Wochen sämtliche Kinder verloren haben, und ich gucke jetzt hier abends noch nach meinen Kindern, wie sie ruhig schlafen, dann denke ich, für dieses Glück kann man nicht dankbar genug sein.

Protokolliert von Andreas Austilat

Maximilian Gertler

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