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Esther Kogelboom ringt mit guten Vorsätzen: Zur Krippe her kommet

Früher glaubte ich: „Mit einem Jahr wird das Kind in die Kita eingewöhnt. Das Kind wird sich über die anderen Kinder freuen.

Früher glaubte ich: „Mit einem Jahr wird das Kind in die Kita eingewöhnt. Das Kind wird sich über die anderen Kinder freuen.“

Die Wahrheit ist: Nach vier Wochen Eingewöhnungszeit mit dem supersanften Berliner Modell nahm mich eine der beiden Erzieherinnen beiseite und meinte, unser Kind sei möglicherweise noch gar nicht bereit für die Kita. Dieser Tag fiel zufälligerweise in die letzte Woche meiner Elternzeit.

Ich las also panisch nach, was in den U3-Fachbüchern steht. Zusammenfassung:

1. Ein wegorganisiertes Kind, das eine temporäre Trennung nicht gut verschmerzt, verfügt über keine besonders starke Bindung zur Mutter.

2. Der erhöhte Stresspegel hinterlässt dauerhafte Spuren in dem sich entwickelnden Gehirn des Kleinkindes.

3. Ein Einjähriges ist nirgendwo besser aufgehoben als in den Händen engagierter und liebevoller Erzieher.

4. Still leidende Kinder werden in der Krippe leicht übersehen, was ihr Leid noch vergrößert.

Dann befragte ich Freunde nach ihren Erfahrungen. Ergebnis:

1. Meine Mutter hat mich schon mit sechs Wochen in die Krippe gegeben – und hat’s mir etwa geschadet?

2. Durchhalten. Irgendwann freut sich jedes Kind über die Kita.

3. Warum nimmst du nicht ein weiteres Jahr Elternzeit?

4. Du signalisierst dem Kind unbewusst, dass du es gar nicht abgeben willst. Das spürt es natürlich, es ist ja nicht doof.

Mir brummte der Kopf. Gab es ein Richtig, gab es ein Falsch?

Ich setzte mich mit einem Taschenrechner an den Küchentisch und stellte wüste Kalkulationen an. Die Lösung schien mir nach zwei Gläsern Sauvignon Blanc ganz einfach: Ein Au Pair! Natürlich ein unattraktives, wenn auch herzensgutes Mädchen.

„Eine Französin!“, forderte der Mitsorgeberechtigte. Non, merci.

Ich rief meine Mutter an. Sie nahm eine weite Reise auf sich, um zu helfen. Ein Glück. So gingen wir unserer Erwerbstätigkeit nach, während sie weiter versuchte, ihren Enkel an die Kita zu gewöhnen.

Täglich rief sie an und berichtete von Tränen, die aufs Linoleum tropften – ihren Tränen, denn der Kleine krabbelte inzwischen vergnügt brabbelnd auf die Spielzeugboxen zu und ließ sich nun doch von der Erzieherin trösten. Das gilt als gutes Zeichen der Eingewöhnung. Meine Mutter reiste wieder ab.

Am folgenen Morgen erwachte der Kleine mit 39,8 Fieber. Bronchitis. Der Mitsorgeberechtigte übernahm die Pflege. Bereits nach einer Woche konnten wir das arme Kind gesundschreiben lassen. Problem: Eine Woche 1:1-Betreuung statt Kita, es musste erneut eingewöhnt werden.

Ich löste mich jeden Morgen mühevoll aus der kindlichen Umklammerung. Dabei biss ich die Zähne so fest zusammen, dass von Zahn Nr. 33 und Zahn Nr. 43 Schmelzteile abplatzten. Hab’ ich mir nicht ausgedacht, hat der Arzt festgestellt.

Nach 14 Tagen hatten wir den Vor-Bronchitis-Status erreicht. Es lief, irgendwie. Doch da hing ein Aushang an der Pinnwand: „Heute Abend außerordentliche Elternversammlung!“

Die Erzieherinnen hatten gekündigt. Differenzen mit der Kitaleitung. Bereits zum nächsten Ersten sei Schluss – gute Erzieher können sich ihre Jobs eben gerade aussuchen. Bis neue Kräfte gefunden seien, würden Springerinnen eingesetzt.

Die Eingewöhnung begann von vorn. An der Pinnwand hingen laminierte Fotos der Springerinnen, eine posierte dort mit ihren beiden scharfen Schäferhunden.

Kitapflicht? Unbedingt! Für alle, die sie fordern und über 18 sind.

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Esther Kogelboom und Jens Mühling.

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