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Fahrräder in der Wohnung: Rad Déco

Bisher verschönern Bilder, Blumen und Fotografien eine Wohnung. Nun werden auch Fahrräder wie Skulpturen zur Schau gestellt.

Von Julia Prosinger

In letzter Zeit dauert es immer länger, bis die Gäste oben in der Wohnung angekommen sind. Da klingt kein „Hallo, ich bin’s“ durchs Treppenhaus mehr, nur noch ein Rumpeln im Flur, ein Schnaufen, ein Verschnaufen, bei jedem Absatz, und zwischen die Umarmung zweier Freunde schiebt sich sperrig ein Vorderrad.

Seit die Fahrräder immer schöner werden, seit ein hellblaues Single Speed (mit Bremsen) oder ein weinrotes Fixie (ohne Bremsen) zum Outfit kombiniert werden, fehlen sie bei keinem Besuch. An manchen Abenden stehen zwei davon vor dem Bücherregal, zwei weitere lehnen auf dem Balkon, eins passt noch hinter die Schlafzimmertür. Im Flur stolpert man mit der Salatschüssel nicht mehr nur über Gästeschuhe, sondern jetzt auch über Gästeräder. Immer, wirklich immer, stehen sie im Weg.

Aber klar, sie müssen mit in die Wohnung. Schließlich werden in Deutschland jährlich mehr als 300 000 Räder gestohlen, in Berlin sind es gut 26 000. Wer eigens für den Rahmen nach Italien gefahren ist oder mühsam seinen Sattel im Internet ersteigert hat, riskiert nicht, dass ihm jemand das Rad vor der Haustür oder aus dem Hinterhof wegklaut.

Die neuen schönen Räder müssen betreut werden wie sonst nur Haustiere. Überhaupt gibt es da einige Gemeinsamkeiten:

1.) Paare streiten sich darum (schon wieder, auf dem Weg zum Klo Pedale gegen das Schienbein und den Lenker in den Solarplexus gerammt ...).

2.) Manche wollen mit ihren Rädern schlafen. John Lennon zum Beispiel: „Die meisten Kids ließen ihr Rad nachts im Hof. Ich nicht. Ich nahm meins mit rein. In der ersten Nacht ließ ich es sogar in mein Bett.“

3.) Räder machen Vermieter unglücklich, weil sie beim Rumpeln im Hausflur schwarze Striemen auf den Wänden hinterlassen (aber weil der Vermieter – anders als beim Schäferhund – unmöglich argumentieren kann, dass von ihnen Gefahr ausgeht, kann er sie den Mietern nicht verbieten).

4.) Wie Hunde sind Räder häufig nass und schmutzig. Manche Radfans schwören dann auf Babyfeuchttücher aus der Drogerie, mit denen sie ihren Schützling nach jeder Ausfahrt diszipliniert abwischen, damit Schlamm und Regentropfen die Dielen nicht ruinieren. Seit die Räder immer schöner werden, putzen Städter deshalb am Wochenende ihre Fixies, wie früher die Eltern den Audi in der Garageneinfahrt.

5.) Ein Rassemops verdient ein Gucci-Körbchen. Ein geliebtes Rad verdient ein eigenes Accessoire – Fahrradmöbel heißt dieser neue Trend. Immer mehr Designer entwerfen jetzt Radregale, Liebhaber bauen selbst aufwendige Konstruktionen, um ihr Fahrrad im Wohnzimmer ganz nah bei sich zu haben. Und es zu präsentieren: Da hängt das neue Renn- oder das alte Hollandrad wie ein Bild an der Wand. Denn Räder sind natürlich keine Haustiere, Räder sind Kunstwerke.

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