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Yasemin Samdereli, 41, und Nesrin Samdereli, 35

© Mike Wolff

Filmemacherinnen Yasemin und Nesrin Samdereli: Die zwei Schwestern hinter "Almanya"

Die eine führt Regie, die andere schreibt Drehbücher, doch eigentlich machen Yasemin und Nesrin Samdereli alles zusammen. „Almanya“ war ihr großer Kinoerfolg. Ein Gespräch über Konkurrenz, Schwüre und Kerle.

DER TAGESSPIEGEL: In Dominik Grafs Film „Die geliebten Schwestern“ teilen die Schwestern Caroline und Charlotte vieles miteinander – sogar einen Mann: Friedrich Schiller. Könnten Sie sich das vorstellen?

YASEMIN: Absolut, nur …

NESRIN: … wir haben schon zwei Männer, da ist das momentan kein Thema. Im Ernst, unser Geschmack ist sowieso nicht sehr ähnlich.

YASEMIN: Ich mag eher die rougheren Typen.

Sie arbeiten seit 12 Jahren zusammen, haben eine gemeinsame Firma, im Vorspann Ihres Erfolgsfilms „Almanya“ heißt es schlicht: „Von den Samdereli- Schwestern“.

YASEMIN: Wir funktionieren auch eigenständig, vor allem aber als Team sehr, sehr gut. Außerdem klingt Samdereli-Schwestern ganz griffig …

NESRIN: … so wie „Warner Brothers“. Das sagt einfach, wir arbeiten als Duo. Es ist ganz okay, wenn die Außenwelt das auch so wahrnimmt.

Bis „Almanya“ fertig war, dauerte es acht Jahre, 50 Mal mussten Sie das Drehbuch umschreiben. Das kann doch nicht ohne Reibereien abgehen.

YASEMIN: Wir wussten schon genau, welchen Film wir machen wollten. Aber jede Redaktion, jeder Partner, bei dem wir vorstellig wurden, hatte eigene Anmerkungen. Den einen gefiel das, die anderen hatten Angst vor dieser Szene …

NESRIN: Es lag nicht an Reibereien zwischen uns beiden, wenn Sie darauf hinauswollen. Auseinandersetzungen gibt es bei der Arbeit mit anderen Menschen auch, wir beide schreiben schon sehr partnerschaftlich. Und Yasemin führt ja am Ende die Regie, sie hat logischerweise die Möglichkeit zu sagen: So kann ich das nicht inszenieren! Das gilt auch, wenn für mich eine Szene gar nicht funktioniert, dann nimmt sie Rücksicht. Meistens schmeißen wir es dann komplett weg und machen es neu.

YASEMIN: Wir hatten noch nie den Fall, dass eine sagt, wow, das ist grandios! Und die andere findet es totalen Mist.

Wenn’s kracht, wer gibt nach?

NESRIN: Yasemin ist meist die, die klug einlenkt und einen Streit entschärft. Ich hab’ da manchmal meinen Dickkopf.

YASEMIN: Sie dürfen die sechs Jahre Altersunterschied nicht vergessen, wir mussten als erwachsene Menschen erst mal den Punkt finden, uns als Partnerinnen zu sehen. Man schleppt ja doch ein paar Geschichten aus der Kindheit mit sich herum. Ich war mit 13, 14 eine Scheiß-Schwester für Nesrin, total gemein. Wenn ich mit meiner Freundin ins Schwimmbad ging, und Nesrin wollte mit ihrer Freundin mit, das hat mich genervt. Da haben wir eins, zwei, drei gezählt und rannten weg, die Kleinen haben bei drei losgeheult und …

NESRIN: … weil wir nicht so schnell waren wie ihr. Doch über die Jahre der gemeinsamen Arbeit haben wir dieses „Trauma“ ganz gut verarbeitet.

Sie werden von Kollegen als verschworene Einheit wahrgenommen.

YASEMIN: Wenn ich am Set eine Frage habe, bespreche ich mich mit Nesrin, sie ist meine Vertraute. Wenn ich unsicher bin, gehe ich zuerst zu ihr. Für andere ist das sicher schwer. Als ich nach dem Abi an die Filmhochschule München bin, war ihr Talent zu schreiben schon offensichtlich. Sie schrieb sehr lustig, mit einem tollen Humor. Wenn ich im Studium mal mit Kurzgeschichten nicht fertig wurde, hat sie mir die geliefert.

Ein neuer Film über arrangierte Ehen

Yasemin Samdereli, 41, und Nesrin Samdereli, 35
Yasemin Samdereli, 41, und Nesrin Samdereli, 35.

© Mike Wolff

Regisseurinnen gibt es in der Filmwelt nur wenige. Fühlen Sie sich zu zweit breitschultriger?

NESRIN: Es schadet nicht. Als Frau werden einem oft bestimmte Stoffe angetragen, gerne Kinderfilme. Frauen können ja besser mit Kindern, heißt es dann, ist natürlich Schwachsinn. Zu zweit steht man fester da.

Sie haben sich trotz des Erfolgs von „Almanya“ beklagt, es sei für Sie schwierig, eine Filmidee ohne Migrationshintergrund zu realisieren. Warum?

YASEMIN: Das müssen Sie andere fragen, warum sie uns in diese Schublade stecken. Zum Glück arbeiten wir gerade an einer Doku, die nichts mit Migration zu tun hat. Es geht um sehr alte Ehepaare, die sich vor der Hochzeit gar nicht richtig kannten. Wir haben schon welche in Japan gefunden, in Indien, in der Türkei …

… das wird diesmal kein komischer Film, beim Thema arrangierte Ehen.

YASEMIN: Och, das kann sehr lustig sein, wenn er erzählt, in der ersten Nacht waren wir sehr souverän, und sie sagt, er war furchtbar aufgeregt, der Arme hat richtig gezittert. Ich meine, da stehen sich im Schlafzimmer plötzlich Menschen gegenüber, die sich gar nicht kennen! Wir suchen übrigens noch ein deutsches Paar, das eine echte Stahlhelm-Trauung vollzogen hat. Wo der Bräutigam an der Front war, und um ihm die lange Reise nach Hause zu ersparen, wurde die Braut in Abwesenheit von ihm getraut.

Worin sind Sie besser als die Schwester?

YASEMIN: Ich bin aggressiver, ich kann Dinge besser einfordern. Ob das immer positiv ist?

NESRIN: Du kannst aber besser verzeihen.

YASEMIN: Wirklich?

NESRIN: Ja, ich bin viel nachtragender. Dafür bin ich eindeutig in Krisen ruhiger und kann das Problem sachlicher betrachten.

Charlotte von Lengefeld verspricht ihrer Schwester in Dominik Grafs Film am Rheinfall von Schaffhausen: „Ich schwör’s beim Geist des tosenden Wassers – wir trennen uns nie.“ Wie lautet Ihr Schwur?

NESRIN: In dieser wörtlichen Form gibt es keinen. Mein Gefühl sagt mir, es gibt dieses Versprechen, es liegt irgendwie unter unserer Geschichte.

YASEMIN: Es ist etwas Kosmisches, und das ist das Schöne bei uns.

Sie haben einen älteren Bruder, Yusuf. Hat der Zutritt zu Ihrem Zweier-Klub?

YASEMIN: Der ist nur 13 Monate älter als ich, da ging es bei den Eltern zack-zack. Er hat’s nicht leicht mit uns. Doch er war als Kind viel netter zu Nesrin als ich.

NESRIN: Er ist sehr gerne großer Bruder, er unterstützt uns total. Nicht so, wie man es unserem Kulturkreis nachsagt, wo die Jungs so Macho sind und sich in alles einmischen. Er ist eher ein Freund.

Der Regisseur Ingmar Bergman hat über die Geburt seines kleinen Bruders gesagt: „Eine fette, missgestaltete Person spielt plötzlich die Hauptrolle. Ich habe Pläne gemacht, wie man das abscheuliche Geschöpf auf verschiedene Weisen umbringen kann.“

YASEMIN: Ich kann mich an keine ähnlich krassen Fantasien erinnern, Gott sei Dank. In unserer Kultur wird einem früh eingeimpft: Familie geht vor! Meinem Bruder wurde klargemacht, das ist deine Schwester, auf die musst du immer, immer, immer aufpassen. Als ich etwa vier war, habe ich im Hinterhof mit einem etwas älteren Jungen gespielt, da bin ich mal umgefallen und habe geweint. Da sprang das Große-Bruder-Ding an, Yusuf ist aufgebracht ins Haus gerannt, hat das erstbeste Küchenmesser gegriffen und schrie: Er hat dem Baby wehgetan, er hat dem Baby wehgetan … Der andere Junge hatte sich zum Glück in Sicherheit gebracht.

NESRIN: Das klingt jetzt schrecklich klischeehaft, dabei ist das gar nicht typisch für Yusuf, es war sein einziger Ausbruch dieser Art.

"Ich hatte nie das Gefühl, wir könnten uns in die Quere kommen"

Yasemin Samdereli, 41, und Nesrin Samdereli, 35
Yasemin Samdereli, 41, und Nesrin Samdereli, 35.

© Mike Wolff

Schwestern werden ständig von den Eltern verglichen. Sie auch?

YASEMIN: Ich habe nie die Vorarbeit geleistet, die normalerweise von der älteren Schwester erledigt wird. Ich war ein seltsamer Teenager, so nerdig unterwegs. Erste Liebe, das Geschlechterding, nichts für mich. Ich fühlte mich eher als Neutrum. Ich hatte so philosophische Sachen im Kopf, die Welt ist scheiße …

NESRIN: Ich war der schwierigere Teenager, habe mehr rebelliert, wenn es um die klassischen Themen ging: Wie lange darf man feiern, kann man über Nacht wegbleiben. Da hat meine Mutter gern Yasemin ins Spiel gebracht, als gelungenes Vorbild sozusagen. Sie hat tatsächlich kaum Probleme gemacht. Ich habe mich auch früh geschminkt, da hat Yasemin unserer Mutter gesagt, sie solle es verbieten, ich sei dafür viel zu jung. Puh, das war anstrengend. Das hab ich ihr aber nie übel genommen.

Unterm Aspekt der Konkurrenz war es dusselig, Nesrin, in dieselbe Branche wie Yasemin zu gehen.

NESRIN: Mutig, nicht dusselig. Ich hatte auch nie das Gefühl, wir könnten uns in die Quere kommen. Yasemin hat Regie studiert, ich Drehbuch. Ich habe das mit der Regie mal bei zwei Kurzfilmen probiert und gemerkt, das ist mir vor Ort zu anstrengend. Es war eher eine Chance, dass Yasemin schon einen Fuß in der Branche hatte.

YASEMIN: Die Leute unterscheiden längst nicht mehr große Schwester, kleine Schwester, sondern Regisseurin und Autorin.

Sie sind inzwischen beide verheiratet, dabei war Nesrin schneller …

YASEMIN: … ja, ich hab das erst vor einem Jahr gemacht. Die Eltern dachten sicher, kommt die in dem Alter überhaupt noch unter die Haube? Die waren dann einfach froh, den Verwandten sagen zu können: Sie sind beide verheiratet und …

NESRIN: … es ist alles in Ordnung.

YASEMIN: Nur dass ich mit einem Engländer ankam, hat etwas irritiert, sie hatten schon mit einem Deutschen gerechnet.

Wenn bei der einen von Ihnen ein neuer Kerl ins Leben trat, musste der gleich durch den Schwestern-Tüv?

NESRIN: Die wurden immer schnell präsentiert, mal gucken, wie er sich schlägt. Das gab’s schon. Sie wurden fast immer von der anderen gemocht, einen richtigen Vollpfosten hat nie eine von uns angeschleppt.

Es gibt eine richtige Welle von Schwestern-Filmen, „Oktober November“, „Die Schwestern“, „Schwestern“... Ist das so ein guter Stoff?

YASEMIN: Wenn es genügend Konflikte gibt, dann ja. Unser harmonisches Miteinander würde ich lieber nicht verfilmen.

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