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Fotograf Stefan Moses: Ein Menschenfänger

Stefan Moses hat Berühmtheiten wie Adorno und Loriot fotografiert, aber auch den deutschen Alltag. Zu Besuch bei einem großen, melancholischen Chronisten in München.

So, ja, ziemlich genau so hat man sich Schwabing immer vorgestellt, in der guten alten Zeit der Bohemiens, als Künstler, Literaten und Originale in den Kneipen saßen und in ihren Wohnungen Künstler-Partys feierten. Damals, als die Welt noch nicht durchglobalisiert, -schickimickisiert und -kommerzialisiert war. Vielleicht ist es so nie gewesen, aber egal: Stefan Moses lebt noch heute in einer alten, aufs Herrlichste unrenovierten Schwabinger Villa, in der von der Türklinke über den holzgetäfelten Erker bis zum Nachkriegsbad alles so ist, wie es irgendwann mal war. In der Mietwohnung herrscht un-minimalistisches Chaos, überall stehen, hängen, hocken Erinnerungsstücke herum, Fotos, Zeichnungen, Gesammeltes und Geschenktes aller Art, hier ein großes Lederschwein, dort Porzellanfigürchen. Und auf und unter Tischen, Stühlen und Sesseln: Schachteln. Stapelweise graue Schachteln, gefüllt mit Willy Brandt und Ernst Jünger, Adorno und Kluge, Erich Kästner und Käthe Kruse, Ilse Aichinger und Loriot. Aberhunderten von Moses-Bildern, analog und Schwarz-Weiß. Wer blickt da noch durch? Der Meister seufzt. Mit dem Versuch, zu finden, verbringt das Ehepaar viel Zeit. Gastfreundschaft wird im Hause Moses praktiziert, nicht zelebriert. Auf dem Wohnzimmertisch werden Lücken gefunden, ein ganzer Kuchen für die einzelne Besucherin, eine Schale frischer Beeren und Sahne in einem Kännchen, das, wie alles hier, wie kein anderes ist. Der Hausherr, der eben noch Stühle durch den großen, verwuschelten Garten geschleppt hat, welcher ihm wie "das einzig übrig gebliebene Paradies auf Erden" erscheint, rührt selber das Süße nicht an. Er ist Diabetiker. Moses, so heißt er wirklich, 86 Jahre ist er inzwischen alt, der Körper zieht mit Schwerkraft an ihm. Dass er müde ist, müde auch dieser finsteren Welt, von der er immer wieder mit großem Pessimismus spricht, hält den Fotografen nicht davon ab, hellwach und quicklebendig zu sein, voller Neugier, Staunen und Begeisterung für Menschen, Filme, Literatur. Er bereitet Ausstellungen vor, Bücher - selbst wer glaubt, sein Werk wirklich gut zu kennen, erlebt Überraschungen. So wie jetzt bei der Kultur-Zeitschrift "du", deren März-Heft Peggy Guggenheim gewidmet ist, wo man plötzlich Stefan Moses in Farbe entdeckt. Sein berühmtes Portrait der passionierten Kunstfreundin auf dem Boot in Venedig, eine exorbitant-extravagante Sonnenbrille als Schutzschild auf der Nase, ist unzählige Male, auch auf Postkarten gedruckt worden.

Und plötzlich sieht man: Peggy Guggenheim trägt rote Strumpfhosen! Kein Interview!, sagt er, als wir uns an den Kaffeetisch setzen. Der Schock sitzt. Kein Interview?! Wir werden mehr als drei Stunden plaudern, aber richtige Interviewfragen möchte er lieber per Fax beantworten, in Großbuchstaben auf der Schreibmaschine getippt. Einen Computer hat er nicht, will er nicht, das digitale Zeitalter mag er nicht. Da Moses zwar noch immer radelt, auf einem bekorbten uralten Damenfahrrad ("alles, was wir zum Leben brauchen, passt in meine zwei Körbe"), aber nicht mehr reist, nahm seine Frau, die Teppichkünstlerin Else Bechteler-Moses, jetzt für ihn den Lovis-Corinth-Preis in Regensburg entgegen. (Die begleitende Ausstellung im Kunstforum Ostdeutsche Galerie läuft bis zum 31. Mai, dazu erschien ein Katalog im Kehrer Verlag.) Die jüngste von unzähligen Ehrungen, zu denen auch das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse gehört.

Die Laudatio hielt Christoph Stölzl, ein alter Freund, der auch etliche Vorworte zu Moses’ Büchern geschrieben hat. Als Direktor des Deutschen Historischen Museums in historischen Zeiten, hat Stölzl ein geniales Projekt initiiert: Er hat den Fotografen, der in den 60er Jahren schon Menschen unterschiedlichster Berufe in der BRD abgebildet hatte, gleich nach der Wende durch die ostdeutschen Lande geschickt. Um sie vor dem Verschwinden einzufangen, in diesem Moment des Dazwischenseins, der bei Moses ein heiterer ist.

Sein großes Thema: der Mensch

Stefan Moses, Schamane mit Katze. Alle Fotos hier stammen aus dem Band "Le Moment fugitif" (Nimbus Verlag, 128 Seiten, 39 Euro).
Stefan Moses, Schamane mit Katze. Alle Fotos hier stammen aus dem Band "Le Moment fugitif" (Nimbus Verlag, 128 Seiten, 39 Euro).

© Stefan Moses

Menschen sind des Künstlers Thema - und Tiere, die auf seinen Bildern immer etwas sehr Menschliches haben. Menschen im Allgemeinen, die Kleinen und die Großen, Künstler, Schriftsteller, Philosophen, Politiker, die Deutschen im Besonderen. Dabei wollten die ihn eigentlich gar nicht haben. 1928 als Sohn eines jüdischen Vaters geboren, galt Moses als "jüdischer Mischling 1. Grades". Er hat Glück gehabt, wie er sagt, wurde zwar vom Gymnasium geworfen, aber nicht verschleppt, konnte bei der Kinderfotografin Grete Bodlée als Hilfsarbeiter anheuern, war nach der Flucht Bühnenfotograf am Staatstheater Weimar, bis er in München landete. Wo er blieb. Um dann in den 50er Jahren für "Stern" und andere Zeitschriften auf große Reise zu gehen, nach Caracas, auf die Krim, nach Kathmandu. Bis er fand: Es reicht. Jetzt wollte er seine Nachbarn besuchen. "Ich kannte Deutschland ja noch gar nicht." Also zog er los, zu Beginn der 60er Jahre, als viele seiner Gleichgesinnten alles, nur nicht deutsch sein wollten, fing sein Land ohne Pathos und Sentiment, "ganz ohne Tümelei, aber mit starken Empathien" ein. Rollmopspackerinnen aus Büsum und Saaldiener aus Bonn hat er auf riesige Leintücher gestellt, Grete Weil und Günter Grass zur Selbstinszenierung in den Wald geführt, Erich Kästner und Walter Jens mit Auslöser vor den C&A-Spiegel gesetzt. Alle haben mitgespielt, auf der Bühne, die er ihnen gab. Die Zeit am Theater in Weimar hat ihn stark geprägt, hat "alle Sinne fürs Gespür theatralischer Situationen im Alltagstheater" geschärft. Seine Bilanz? "Kein ,Volk’ in Europa hat sich mehr verändert als die Deutschen."

Die Emigranten hat er portraitiert, ihnen ein eigenes Buch gewidmet, die Eitlen und die Scheuen, die sogenannten Großen und ebenso die Kleinen. Man könnte ihn einen Menschenfänger nennen, der wie mit einem Schmetterlingsnetz über eine Wiese zu tänzeln, zu schweben scheint. Wobei er die Menschen nicht einfängt, um sie festzunageln - eher um sie freizulassen, ihnen zusätzliche Flügel zu verleihen. Indem er ihnen, egal ob groß oder klein, mit Neugier und Sympathie, mit Empathie begegnet. Und bestens vorbereitet: Er liest vorher die Bücher der Schriftsteller, betrachtet das Werk der Künstler. Mit einigen der von ihm Portraitierten hat er Freundschaft geschlossen. Bei vielen Fotografen ist Lachen verboten. Auf Moses’ Bildern lächeln die Figuren oft, ja, einige platzen fast vor Lachen. Ingeborg Bachmann und Bärbel Bohley schlagen sich, fast verschämt, dabei die Hand vor den Mund - die Kölner Straßenbahnschaffnerinnen genieren sich weniger, machen sich fast in die Hose vor Lachen. Man spürt, dass da ein Vertrauen ist, ein Vergnügen am anderen. "Ich muss und kann nicht alle Menschen lieben. Aber im Gegenüber lesen und mitfühlen. "Was sie verbindet, den vor und den hinter der Kamera? "Die nie verlorene Sehnsucht nach den verlorenen Geschichten der Kindheit, Fantasie, Erfahrungen." Für Moses ist Menschenfotografie "therapeutische Aktion, eine besondere Art Analyse: Man sitzt mit dem anderen auf der Psychocouch, und beide knabbern aneinander. Da ist man doch auf wohlwollende Bereitschaft angewiesen."

Was er braucht? Good vibrations!

Ein, zwei, drei Stunden redet man miteinander. Das eigentliche Fotografieren dauert nur Minuten. Was es zu einem guten Foto braucht? "Takt, den physiognomischen Blick, ,good vibrations’." Da muss ein Funke überspringen. Wie bei Willy Brandt. "Wir haben uns immer gefreut, wenn wir uns wieder begegneten, in unserem vergangenen Jahrhundert. Meist habe ich ihn a bissl depressiv erlebt. Aber das war auch sympathisch und kam mir sehr entgegen." Melancholiker ist er selber. Fast immer hat Moses in Serien gearbeitet: Die Alten, die West-Deutschen, die Ost-Deutschen, die Künstler mit und ohne Masken. "Kollektive Gedächtnisbilder" nennt er seine Langzeitreihen. Aber jetzt zeigt er auch die einzelnen Bilder als kleine Serien. Weil er ein Anliegen hat: "Le Moment fugitive", wie sein kürzlich im Nimbus Verlag erschienenes Buch heißt, dem wir die Bilder auf diesen Seiten entnahmen, und zu dem sein Schwabinger Nachbar Alexander Kluge Texte schrieb. Moses hat immer wieder betont, dass er nicht an den "entscheidenden Augenblick" in der Fotografie glaubt, von dem sein Kollege Cartier-Bresson so gern sprach. Dass es stets mehrere wichtige Augenblicke, nicht nur das eine Bild gibt.

Aber jetzt redet Moses mit noch größerer Dringlichkeit davon. Von ihm selbst gibt es nur ganz wenige Portraits, wie viele Fotografen hasst er es, fotografiert zu werden. Außerdem sei er Schamane und als solcher ein Kater. Katzen spielen eine große Rolle in seinem Leben als Mensch wie Künstler, kaum ein Brief, auf den er keine zeichnet. "Ein Leben ohne Katze ist möglich, aber sinnlos." Seine Tigerkatzendame Mau-Mau saß oft auf seiner Schulter und am Arbeitstisch, fuhr gern Auto mit ihm. "Mit 19 Jahren legte sie sich im Sommer unter unseren Hausbaum, eine 100-jährige Blutbuche, zum Sterben nieder." Kater Momo, der "als schmusiger Freigänger dazugestoßen war", starb jetzt ebenfalls. "Wir sind noch im Trauerjahr."Früher wollte Moses in seinem nächsten Leben immer Katze sein. Seit er den eigenen beim Sterben zusah, hat er andere Pläne: "Ich möchte gern im Stehen sterben/und gleich darauf zur Buche werden", schreibt er in einem Gedicht, verbunden mit der Bitte an die Erben, ihn auch zu gießen. Die Zeit - das ist des Fotografen großes Thema. Seine Aufgabe: "Das Nichtsein aufzuhalten. Menschen vorm Verlorengehen zu bewahren." Als "lebenslängliches Erinnerungswerk" beschreibt Stefan Moses seine Arbeit, das gemeinsame Unsterblichmachen von Fotograf und Fotografiertem. Auch wenn er die Flüchtigkeit der Gegenwart bedauert: Er hat sie noch, und hat sie zu Recht, so stark, wie seine Fotos sind: "die Hoffnung, dass diese Menschenbilder von jeder Generation wieder mit neuen Augen aufgeweckt werden".

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