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Sir Francis Beaufort als Leiter der Hydrografischen Abteilung. Der Gelehrte erhielt die Stelle 1829 in Nachfolge vom Polarforscher William Parry.

© picture-alliance / Leemage

Francis Beaufort: Wie der Wind zu seinen Stärken kam

Bis heute fällt sein Name, wenn es stürmt: Captain Francis Beaufort. Seine Welt: Hafenbordelle und Säbelhiebe. Doch seine wahre Leidenschaft galt dem Wetter.

Von Andreas Austilat

Am Abend des 13. Januar 1806 speiste Captain Francis Beaufort allein in seiner Kabine an Bord der HMS Woolwich. Dann ereignete sich auf dem Dreimaster der britischen Marine Historisches: Beaufort schlug sein Tagebuch auf und malte eine Tabelle.

Beginnend bei Null hatte sie 14 Positionen. Hinter Null schrieb er „Windstille“, 4 war schwache Brise, 5 mäßige Brise, 13 Orkan. Beaufort fuhr fort und bezeichnete verschiedene Wetterzustände mit einem Buchstaben: „b“ für blue sky, blauer Himmel, „l“ für lightning (Blitz), „hr“ für „hard rain“ (starker Regen). Die Buchstaben ergänzten seine Windbeobachtungen. Darüber schrieb Beaufort: „Fortan werde ich die Stärke des Windes gemäß folgender Skala schätzen, denn nichts vermittelt eine unklarere Vorstellung von Wind und Wetter als die alten Ausdrücke mäßig und bewölkt, etc. etc.“

Später würde man auf diesen 13. Januar als einen der großen Momente in der Geschichte der Meteorologie zurückblicken. Denn die Liste, die der Kapitän anlegte, war so etwas wie das Urmeter für alle Stürme, die noch kommen sollten. Bis heute wird die Windstärke international in Bft angegeben – Bft für Beaufort. Und die Tabelle, auch wenn sie nur noch zwölf Windstärken zählt, heißt Beaufort-Skala. Doch das konnte der Kapitän, gerade 31 Jahre alt und nach 17 Jahren auf See zum ersten Mal Kommandant eines Schiffs, nicht ahnen. Schließlich nannte nicht einmal er seine Skala so.

Erstaunlich ist, warum erst Beaufort damit Furore machte. Der Wind war seit Jahrhunderten der wichtigste Treibstoff überhaupt. Die Kraft des Windes wirkt jedoch unsichtbar, man sieht lediglich seine Auswirkungen.

Kolumbus wusste nicht, wie der Wind entstand

Nirgendwo war der Mensch dem Wind derart ausgeliefert wie auf hoher See. Nicht nur, weil der Wind den Schiffen gefährlich werden konnte, sondern weil er die einzige Antriebskraft war, die es dem Menschen erlaubte, Meere zu durchqueren. Als zum Beispiel Christoph Kolumbus sich 1492 aufmachte, mit seinen Schiffen in die neue Welt zu segeln, begann er die meisten seiner Tagebucheinträge mit einem Hinweis auf den Wind. Meist war nicht etwa zu viel Wind sein Problem, sondern zu wenig. Oder, dass er aus der falschen Richtung kam.

Doch der Entdecker kam nicht auf die Idee, den Wind näher zu beschreiben. Da gab es keine Stärke drei oder vier, es blies mäßig oder gar nicht. Nur einmal wurde es „heftig“ und „immer toller“. Das Schiff geriet in einen Sturm, „die Wogenberge nehmen eine erschreckende Größe an“.

Das klang ziemlich unpräzise. Aber Kolumbus hatte keine Vorstellung davon, wie der Wind eigentlich entstand, ob es sich womöglich um eine Laune des Schöpfers handele oder den schlechten Atem der Erde. Selbst wenn er den Wind hätte genauer beschreiben können, wem hätte diese Information nutzen sollen? Es gab keine Wettervorhersage, die mit seinen Beobachtungen irgendetwas hätte anfangen können. Es gab nur ihn da draußen. Und er wusste nicht einmal genau, wo er war.

Schon als Kind träumte Beaufort davon, in See zu stechen

Francis Beaufort wusste ganz genau, wo er war, als er seinen legendären Eintrag machte. Zehn Stunden zuvor hatte er den Hafen der Isle of Wight verlassen. Bis dahin war Beauforts Karriere nicht besonders steil verlaufen. Er selbst fand das ein wenig ungerecht, denn an Einsatzwillen hatte es ihm nie gefehlt. Schon mit fünf Jahren hatte sich der Sohn eines irischen Pfarrers französischer Abstammung gewünscht, eines Tages zur See zu fahren. Was damals nichts Ungewöhnliches war, denn die Aussicht, die Weltmeere zu befahren, war ungefähr das Coolste, was sich ein Junge in einem irischen Dorf ausmalen konnte.

Mit 14 wurde der Traum wahr. Sein Vater brachte ihn auf einem Schiff der Ostindischen Kompanie unter, als Seekadett mit Aussicht auf die Offizierslaufbahn. Und an Abenteuern sollte es auch nicht mangeln. Der Ostindiensegler lief in der Javasee auf ein Riff und sank. Der Besatzung gelang es, sich trotz schweren Sturms mit den Beibooten zu retten.

Zurück in England heuerte Beaufort in der britischen Kriegsmarine an. Es war die Zeit der Kriege gegen das napoleonische Frankreich. Die britische Flotte wuchs zur größten Seemacht der Welt an, und Beaufort war mittendrin. In ihrem persönlichen, leicht zu entschlüsselnden Geheimcode berichtete er seinem Bruder von italienischen Hafenhuren. Er schrieb über Matrosen, die aus geringem Anlass ausgepeitscht wurden, wie er einmal fast ertrank, als er über Bord ging, ihm ein anderes Mal ein Säbelhieb beinahe den Schädel spaltete und alles schwarz wurde, als ihn eine Kugel in die Brust traf. Bis an sein Lebensende steckte das Projektil in seiner Lunge.

Nach all dem hatte sich Beaufort mehr erhofft als das Kommando über die Woolwich, einer heruntergekommenen Fregatte mit geflicktem Deck, deren Auftrag es war, anderen Schiffen, die im Kampf standen, Versorgungsgüter zu bringen. Frustriert erlebte er im Hafen von Portsmouth das Einlaufen der siegreichen Flotte nach ihrem Triumph bei Trafalgar.

Er war besessen von Karten und Plänen

Nachbau der Bounty: ein Schiff aus Beauforts Zeit.
Nachbau der Bounty: ein Schiff aus Beauforts Zeit.

© imago/ZUMA Press

Aber es kam der Tag, da lief auch die Woolwich aus. Die britischen Truppen in Buenos Aires sollten versorgt werden. Doch als Beaufort eintraf, war die Armee schon nicht mehr dort. Er widmete sich stattdessen der Vermessung der Küste vor Montevideo. Und das mit Begeisterung: „Jeder Mensch frönt seinem Wahn. Mein Wahn besteht darin, Peilungen für Karten und Pläne vorzunehmen.“

Beaufort beobachtete leidenschaftlich gern, notierte und zeichnete. Seinem Vater schrieb er, dass er zuweilen unter einem zu geringen Selbstbewusstsein leide. Vielleicht wollte er deshalb alles so genau wissen. War er mit jemandem verabredet, hielt er dessen Angewohnheiten und Lieblingsthemen fest. Und es gab kaum ein Thema, für das er sich nicht interessierte.

Womöglich kannte er deshalb auch die Skala von John Smeaton, einem britischen Ingenieur, der bereits im frühen 18. Jahrhundert eine Windtabelle verfasst hatte. Smeaton wollte die Windmühlen verbessern, die Kraftwerke seiner Zeit. Seine Arbeit erregte das Interesse von Alexander Dalrymple, der ebenfalls an einer standardisierten Windbeschreibung arbeitete. e verfolgte damit einen praktischen Nutzen: Würden alle Kapitäne genau Buch führen über Wettererscheinungen auf ihrem Weg, könnte man daraus vielleicht Regelmäßigkeiten ableiten und die Schiffsrouten gemäß der vorherrschenden Wetterlage optimieren. Beaufort kannte natürlich Dalrymple und dessen damals bereits 20 Jahre alte Arbeit. Und seine neue Tabelle ähnelte dieser auffallend.

Als Beaufort 1807 ein neues Tagebuch begann, trug er zuerst wieder seine Windtabelle ein, als Erklärung für die folgenden Einträge. Er verkürzte die Skala auf zwölf Windstärken und erweiterte sie um Segelanweisungen: Welche Segel konnten bei welcher Windstärke gesetzt werden, und welches Tempo erreichte das Schiff dann. Bei 2 fuhr ein Schiff unter voller Besegelung drei bis vier Seemeilen in der Stunde, bei 4 waren es sechs. Bei 5 mussten die ersten Segel eingeholt werden, bei 10 durften nur noch die Sturmsegel oben bleiben, bei 12 blieb nicht mehr als beten.

Nach seiner letzten Fahrt fand er keinen guten Job

In der Admiralität wurde man auf Beaufort aufmerksam, weil die von ihm gezeichneten Karten von ungewöhnlich guter Qualität waren. Dies galt vor allem für seine Vermessung der türkischen Küstenregion. Das dazugehörige Buch wurde ein Bestseller, nicht zuletzt dank seiner umfassenden Beschreibungen und detailgetreuen Zeichnungen. Beaufort errechnete sogar das Fassungsvermögen antiker Amphitheater – für das in Side kam er auf 15 240 Plätze, „falls die antiken Besucher nicht ihre Beine übereinanderschlugen“. Doch die Türkeireise war seine letzte Fahrt. Als aufgebrachte Einheimische seine Bootsbesatzung von ihrem Strand vertreiben wollten, feuerte Beaufort mit der Schrotflinte in die Luft. Die Angreifer warfen sich zu Boden. Bis auf einen, der schoss zurück und traf Beaufort in die Hüfte.

Von dieser Verwundung erholte sich der Kapitän, der immer noch unter seiner Lungenverletzung litt, nur langsam. Er wurde 1813 mit 39 Jahren vorerst in den Ruhestand versetzt, bei halbem Sold. Die Aussichten auf ein neues Kommando waren schlecht, denn mit der Schlacht bei Waterloo endeten 1815 die napoleonischen Kriege. Die Flotte wurde radikal verkleinert.

Beaufort war fortan zwar anerkannt in allen möglichen wissenschaftlichen Gesellschaften. Doch er fand keinen lukrativen Job. Einen gab es, den er sehr gern gehabt hätte: den des Leiters der Hydrografischen Abteilung, oberste Vermessungsbehörde der Admiralität, zuständig für Kartografie und Meteorologie.

Der Polarforscher William Parry, ein Held seiner Tage, wurde ihm vorgezogen. Eine Fehlbesetzung, denn Parry war ein Abenteurer, der sich vor allem für seine eigenen Expeditionen interessierte, die Archivarbeit langweilte ihn. Als er schließlich kündigte, erinnerte man sich 1829 an den peniblen Beaufort.

Beaufort war 81, als er 1855 den Dienst quittierte

Der inzwischen 55-Jährige blühte auf. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Ausrüstung einer Vermessungsexpedition an Bord der HMS Beagle. Als deren Kapitän fragte, ob Beaufort ihm einen geeigneten Naturwissenschaftler mitgeben könne, empfahl Beaufort den 22 Jahre alten Charles Darwin. Die Fahrt der Beagle wurde eine Sternstunde der Wissenschaft, Darwin sammelte das Material für seine spätere Evolutionstheorie und natürlich reiste auch die Windskala mit.

Die Tabelle wurde Standard in der Marine. Außerdem erstellte die Hydrografische Abteilung ein umfassendes Handbuch. Darin stand, worauf die Kapitäne bei ihren Beobachtungen zu achten hatten. Die Themen spiegeln Beauforts vielfältige Interessen, bis hin zu der Frage, wie man einen Elefantenbullen fängt. Indem man nämlich zunächst eine Elefantenkuh als Köder besorgt. Tagebuch führte Beaufort weiterhin – und ließ dabei ganz andere Stürme nicht aus. Auch nicht die sexuelle Verwirrung, die ihn nach dem Tod seiner Frau überkam. Seine eigene Schwester Harriet führte ihm nun den Haushalt. In dem Geheimcode aus Jugendtagen schrieb der Vereinsamte über ein Sexerlebnis mit ihr, und die Seelenpein, die er anschließend durchlitt.

Die Öffentlichkeit bekam davon nichts mit. Beaufort heiratete neu und für seine Verdienste empfing der Pfarrerssohn schließlich das Kreuz des Bathordens aus der Hand von Königin Victoria. In einem Brief an seine Schwester beschrieb Sir Francis auch dieses Ereignis detailliert, bis hin zu der Feststellung, die Hand der Queen sei erlaucht, aber „pummelig“.

Beaufort war 81, als er 1855 den Dienst quittierte. Die Windskala war noch immer namenlos und wurde bei seinem Tod 1857 in den Nachrufen nicht erwähnt. Erst 1906 führte der britische Wetterdienst eine modifizierte Version mit Windstärken von 0 bis 12 ein, die fortan als Beaufortskala bezeichnet wurde.

Längst begnügte man sich nicht mehr damit, die Wirkung des Windes zu beschreiben, exakt maß man seine Stärke mit dem Anemometer, einem inzwischen perfekt funktionierenden Windgeschwindigkeitsmesser. Die Präzisierung dürfte ganz in Beauforts Sinne gewesen sein.

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