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Franz von Sickingen auf dem Sterbebett.

© Landesmuseum Mainz

Franz von Sickingen: Deutschlands letzter Ritter

Franz von Sickingen sieht den Krieg als Geschäftsidee, er ist Warlord, vogelfrei – und wird als „Schwert Luthers“ verehrt. 1523 wird seine Burg sturmreif geschossen.

Der letzte Ritter starb einen wenig ritterlichen Tod. Nicht im Schwertkampf Mann gegen Mann, nicht hoch zu Ross, durchbohrt von der Lanze seines Gegners. Sondern tödlich verletzt unter feindlichem Kanonenbeschuss. Herabfallendes Gebälk riss seine rechte Körperseite auf. „Lunge und Leber lagen bloß“, heißt es in einer zeitgenössischen Quelle. Version eins dieser Geschichte lautet: Sickingen schaute aus einer Schießscharte, um die Angriffsbemühungen seiner Feinde zu beobachten, als ein Schuss den Ausguck traf. Version zwei ist noch weniger schmeichelhaft: Der Burgherr hatte sich auf die Toilette zurückgezogen, saß auf dem sprichwörtlichen Donnerbalken.

Wir befinden uns im Jahr 1523. Franz von Sickingen, 42, hat als Hauptmann einer „brüderlichen vereynigung“ der südwestdeutschen Reichsritterschaft eine Fehde gegen den Erzbischof von Trier vom Zaun gebrochen. Vordergründig geht es um ein Lösegeld in Höhe von 5150 Gulden, das andere Ritter erpresst haben sollen und Sickingen angeblich zwei Trierer Bürgern vorgestreckt hat, die es aber nicht zurückzahlen wollen. In Wirklichkeit braucht der Reichsritter dringend Geld, denn nachdem er im Auftrag des Kaisers einen Feldzug gegen Frankreich unternommen hat, ist er auf Kosten von 76500 Gulden sitzen geblieben.

Womit Sickingen nicht gerechnet hat, ist der Wankelmut seiner Freunde und die Entschlossenheit der Feinde. Die Truppen seiner „vereynigung“ rücken im September 1522 auf Trier vor, beschießen die gut befestigte Stadt mehrere Tage lang und schicken zuletzt – fast schon ein Akt der Verzweiflung – mit Pfeilen Zettel über die Stadtmauer, in denen sie die Einwohner zur Kapitulation auffordern. Sie seien nicht gekommen, um zu rauben und zu brandschatzen, heißt es in diesen Botschaften. Sie wollten nur den „Bischof und seine Pfaffen und Mönche“ bestrafen. Vergeblich. Die Trierer ergeben sich nicht.

Plündernd zieht Franz von Sickingen moselabwärts weiter und nimmt die Burgen Fell und Hunolstein ein. Als er sein Heimatterritorium im Kraichgau erreicht, bezahlt und entlässt er einen Großteil der Truppen. Doch weil ihm die Koalition seiner Gegner, angeführt von Erzbischof Richard von Trier, Kurfürst Ludwig V. von der Pfalz und Landgraf Philipp I. von Hessen, weiter im Nacken sitzt, verschanzt sich der Rebell mit 20 Rittern und 80 Fußknechten auf seiner Burg Nanstein, die das Städtchen Landstuhl überragt. Wohlweislich hat Sickingen die Burg in den letzten Jahren ausbauen und verstärken lassen. Trotzdem bietet sie nicht ausreichend Schutz. Denn die Fürsten haben das größte Artillerieaufgebot zusammengezogen, das Europa bis dahin gesehen hat.

Reichsherold Caspar Sturm, der vor Ort war, berichtet in seiner Chronik: „Am Donnerstag, den 30. April, sind aus den Lagern und Schanzen der drei Kriegsfürsten so viele grausame Schüsse abgegeben worden, wie es in diesen Landen noch niemals gehört worden oder geschehen ist.“ Allein am ersten Tag der Belagerung sollen 600 Kanonenkugeln auf die Burg abgefeuert worden sein. Richard von Greiffenklau, Erzbischof von Trier, ließ auch den „Greif“ in Stellung bringen, mit neun Tonnen die schwerste Bronzekanone ihrer Zeit und eine Art Atomwaffe der Renaissance.

Franz von Sickingen wurde nach seiner Verwundung an einen Ort gebracht, wo er sicher sein sollte. Wo genau sich das „finster loch“ mit dem „todsbeth“ befand, ist unklar. Heutige Besucher der Burgruine, die nach ihrer Zerstörung von 1523 nie wieder aufgebaut wurde, wird ein „Sterbezimmer“ in einem Kellergewölbe gezeigt, wo aus dem roten Sandstein so viel Feuchtigkeit austritt, dass ein Museumsmonitor mit einem Schutzgerüst versehen werden musste.

In Mainz erinnert eine Ausstellung an den Haudegen

Ein Harnisch aus Sickingens Zeit.
Ein Harnisch aus Sickingens Zeit.

© Kunsthistorisches Museum Wien

Sickingen lebte noch eine Woche mit seinen Verletzungen, unterschrieb die Kapitulation und wurde im „finsteren Felsenloch“ von den siegreichen Fürsten besucht. Laut dem Chronisten Sturm fragte er, unfähig, etwas zu sehen: „Ist jener da mein Herr von Hessen?“ Worauf der Landgraf entgegnete: „Franz, wie ist dir geschehen, bist du angeschossen worden?“ Die Rivalen haben einander gnadenlos bekämpft, doch am Ende ist, glaubt man dem Bericht, der vertrauliche Umgangston zwischen Landesherrn und Gefolgsmann wiederhergestellt. Heute werden alljährlich am 7. Mai bei einem Burgfest die Belagerung und der Tod des Ritters nachgespielt, inklusive einer Feuerwerkskanonade durch den örtlichen Schützenverein.

Franz von Sickingen gilt als „letzter Ritter“, ein Titel, den er mit Kaiser Maximilian I., in dessen Dienst er zeitweilig stand, Götz von Berlichingen und Ulrich von Hutten teilt, mit denen er befreundet und verbündet war. „Ritter! Tod! Teufel?“ heißt eine gerade eröffnete Ausstellung im Mainzer Landesmuseum, die noch einmal die ganze Prachtentfaltung der Ritterkultur unmittelbar vor ihrem Untergang präsentiert. Zu sehen sind silberne, teilweise vergoldete Stapelbecher mit der Inschrift: „Aus dem im Kriegsdienst Erbeuteten hat mich Franz von Sickingen machen lassen“, Dürers mysteriöser Kupferstich „Der Reiter (Ritter, Tod und Teufel)“, der lange für ein Porträt Sickingens gehalten wurde, und von Berlichingen ein handgeschriebenes Güterbuch aus dem Jahr 1532 sowie eine Nachbildung seiner eisernen Hand, einem Wunder der Orthopädiegeschichte.

In einer von Seilen umspannten Arena, die an einen Boxring erinnert, duellieren sich, ausgeliehen aus dem Deutschen Historischen Museum in Berlin, zwei Ritterrüstungen. Für solche Kämpfe Mann gegen Mann wurden eigene, besonders leichte und bewegliche Harnische hergestellt. Lange Zeit hatten Turniere dem Training für den Kriegsfall gedient, nach 1500 repräsentierten sie bloß noch den ritterlichen Stand und seine Ideale. Folklore ersetzte den Waffendienst. Die Ausstellung räumt auf mit Klischees, etwa der Annahme, dass alle Menschen der Frühneuzeit klein gewesen seien. Die Rüstung des Landgrafen von Hessen misst 1,87 Meter. Sickingen war ein Aufrührer und Glücksritter, weil er Partei ergriff für die Sache der Reformation, wird er auch als „Luthers Schwert“ verehrt.

Museumsdirektorin Andrea Stockhammer nennt ihn weniger pathetisch einen „frühneuzeitlichen Warlord“. Sein Wahlspruch, festgehalten in einer Gravur, lautete: „In äußerster Not muss man wagen und handeln.“ Das Draufgängertum war lange sein Erfolgsrezept. Sickingen wusste das Überraschungsmoment zu nutzen. Hessen griff er zum ersten Mal 1518 an, als der Landgraf erst 14 Jahre alt war und einen Teil der Adligen gegen sich hatte. Den Fehdebrief schrieb der Ritter in Metz, wo er gerade einen anderen Feldzug erfolgreich beendet hatte, und führte 2500 Reiter und mehr als 7000 Mann Fußvolk in den Kampf. Die Truppe eroberte Städte und Orte und erpresste hohe Entschädigungszahlungen.

Krieg war für Sickingen eine Geschäftsidee. Viele Feinde bedeuteten für ihn nicht große Ehre, sondern: viel Geld. Als seine Frau Hedwig stirbt, gibt Sickingen 1515 alle seine Kinder bis auf den ältesten Sohn Schweikart in fremde Hände und verwandelt sich in einen hauptberuflichen Krieger. Die Anlässe für Fehden werden immer nichtiger, gestritten wird um lange zurückreichende Schulden oder verzwickte Erbfälle. Der Ritter übernimmt gerne auch fremde Ansprüche, gegen hohe Gewinnbeteiligung. Im Sommer 1516 beteiligt er sich an einem vom englischen König und vom deutschen Kaiser unterstützten Feldzug gegen Herzog Anton von Lothringen. Als die Zahlungen aus England und vom Kaiserhof ausbleiben, wechselt Sickingen die Seiten und bekommt vom Herzog einen Dienstvertrag mit jährlicher Pension. Der Freischärler als Militärbeamter.

Was er auf dem Sterbebett sagte

Der Feind brachte das größte Artillerieaufgebot Nordeuropas in Stellung.
Der Feind brachte das größte Artillerieaufgebot Nordeuropas in Stellung.

© Staatsbibliothek Bamberg

„Wagen und handeln“, die Maxime wird zum Imperativ, denn für seinen Lebensunterhalt benötigt Franz von Sickingen immer neue Kriege. Seine letzte Fehde beginnt der Ritter zu früh. Bei Feldzügen in Italien und Frankreich hat der Söldnerführer modernste Festungsbauten studiert. Die Artillerie war erst vor Kurzem zum Teil der Kriegsführung geworden, aber sie verlangte, das wusste Sickingen, eine neue Form der Verschanzung. So ließ er an seiner Burg Nanstein zwei wuchtige Rondelle mit fünf Meter dicken Mauern errichten. Allerdings besaßen die Rondelle kreisförmige Grundrisse, keine sternförmigen, wie spätere Bastionen. Deshalb lagen in ihrem Vorfeld tote Winkel, Orte, an denen Angreifer für die Verteidiger unerreichbar waren. Und fatalerweise wurden die Mauern mit Kalkmörtel gebaut, der lange austrocknen muss. Sie hätten die Geduld gebraucht, die Sickingen nicht besaß. Die Festungswände waren noch weich und zerbröselten schnell unter dem Beschuss.

Von Franz von Sickingen ist ein weiteres Sterbewort überliefert. Er wisse, dass er „nicht die Braut sei, um die man tanze“, soll er den Fürsten gesagt haben. Mit Sickingen sollte sein ganzer Stand getroffen werden. Das Mittelalter war um 1500 vorbei. Nur die Ritter hatten das noch nicht begriffen. Sie waren Modernisierungsverlierer und versuchten weiter, dem Gewaltmonopol der Landesherren zu trotzen und missachteten deren Anspruch auf Steuer- und Gerichtshoheit. Der Wormser Reichstag hatte 1495 einen „ewigen“ Landfrieden beschlossen und das Fehderecht abgeschafft. Weil Sickingen sich nicht daran hielt, wurde im Oktober 1522 die Reichsacht gegen ihn verhängt. Damit war er vogelfrei. Als er ein halbes Jahr später starb, war mit der Zerstörung der Burg Nanstein auch die Kraft des Rittertums gebrochen.

Für die Ideen Martin Luthers ist Franz von Sickingen durch Ulrich von Hutten geworben worden, einen Humanisten und Dichter, der die Tugenden des Rittertums besang. Der Ritter hatte den Schriftsteller während eines Kriegszuges in einem gemeinsamen Feldlager kennengelernt und lud ihn, zusammen mit anderen Reformatoren wie dem Prediger Caspar Aquila und dem Theologen Johannes Oekolampad, auf seine Ebernburg ein. Im Zeitalter des „Grobianismus“ war Hutten ein begnadeter Polemiker. Auf der Ebernburg, die er als „Herberge der gerechtigkeit“ pries, schrieb er die berühmt- berüchtigten „Dunkelmännerbriefe“.

Sickingen bot auch Luther Asyl an, als der Reformator sich 1521 vor dem Wormser Reichstag geweigert hatte, seine Thesen zu widerrufen, und seines Lebens nicht mehr sicher war. Doch Luther wollte sich nicht auf die Ebernburg verkriechen – wohl, weil er eine kaiserliche Verschwörung fürchtete – und begab sich lieber auf der Wartburg unter den Schutz des sächsischen Kurfürsten.

Goethe lässt Sickingen in seinem Drama „Götz von Berlichingen“ als selbstlosen Draufgänger auftreten. Das 19. Jahrhundert verklärte den Ritter zum „Vorkämpfer deutscher Einheit und Größe“, wie es auf dem Sockel des Hutten-Sickingen-Denkmals unterhalb der Ebernburg heißt. Auch das Berliner Luther-Denkmal an der Marienkirche, 1895 eingeweiht, ist ursprünglich von zwei grimmigen Helden am Eingang bewacht worden: Sickingen mit Schwert und Hutten mit Buch. Beide Figuren wurden im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen. Für die Rüstung.

Die Ausstellung „Ritter! Tod! Teufel?“ im Mainzer Landesmuseum läuft bis zum 25. Oktober. – Die Recherchen für diesen Text wurde von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz gefördert.

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