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Gärtnern wie Adam und Eva: Ian (68) und Barbara (61) Pollard in ihren Abbey House Gardens.

© Rebecca Wingrave

Gärtnern für Nudisten: Die Nackten und die Rosen

Manche sehen in Abbey House Gardens nur einen schönen Park, andere das Paradies. Siebenmal im Jahr lassen sie hier die Hüllen fallen – wie unser Autor.

Von Andreas Austilat

Mrs. Wilkins lacht. Eine Garderobe? Wozu, wo ich doch sowieso gleich nackt sein werde. Ich soll einfach auf die Terrasse gehen, dort würde man mir einen Plastikbeutel für meine Sachen aushändigen und eine Nummer, auf die ich gut achtgeben solle. Damit ich nachher auch den richtigen Beutel wiederkriege. Oder überhaupt einen. Und dann lacht sie wieder.

Die Vorstellung, meine Sachen nicht wiederzubekommen, macht mir Angst. Das Auto musste ich auf dem Marktplatz zurücklassen. Wie soll ich da wohl je wieder hinkommen, wenn ich gleich nackt bin? Nackt unter Engländern, die sich hier in Malmesbury, 140 Kilometer westlich von London, ein Vergnügen leisten, das sie sonst nirgendwo auf der Insel haben können: wie Adam und Eva durch einen 20 000 Quadratmeter großes, grünes Paradies zu flanieren, das es ob seiner Schönheit schon ins Fernsehen geschafft hat. Das war 2002, als die BBC in einer Gartensendung auf Abbey House Gardens aufmerksam machte. Damals hatten die Besucher hier noch alle ihre Hosen an.

Erst vier Jahre später kamen Ian und Barbara Pollard auf die Idee mit den Clothes Optional Days, derzeit sieben Sonntagen im Jahr, an denen die Besucher frei wählen dürfen, ob sie angezogen bleiben oder die Natur lieber so genießen möchten, wie es sich für ein Paradies gehört. Die beiden zählten fortan an den Nackttagen sehr viel mehr Besucher als an normalen Tagen.

Was, wenn das Wetter schlecht wird, kommen die Besucher dann trotzdem nackt, hatte ich Geraldine Wilkins vorher am Telefon gefragt. „Bestimmt“, hatte sie geantwortet, Mrs. Wilkins kümmert sich in Abbey House Gardens um Organisatorisches. Jetzt steht sie da, in Jeans und gestreiftem T-Shirt, und lacht. Die Angestellten ziehen sich hier nicht aus, nie.

Anders Ian Pollard. Der 68-Jährige könnte mit seinem ungezähmten, ergrauten Blondhaar und dem wilden Bart gut als Wikinger durchgehen, vorausgesetzt, die alten Nordmänner hätten schon Gummistiefel gekannt. Außer seinen Stiefeln trägt Ian nichts. Früher war er ein erfolgreicher Architekt und Bauunternehmer. Aber als er merkte, dass es immer schwieriger würde, in seiner Branche die Kontrolle zu behalten, mit seinen Vorstellungen durchzudringen, erlahmte sein Interesse an der Welt da draußen. 1994 kaufte er dieses Anwesen, das Teil einer 800 Jahre alten Klosteranlage ist.

Doch warum gärtnern er und seine Frau Barbara, der man nicht zuletzt an den violetten Strähnen im Haar immer noch die Hippievergangenheit ansieht, nackt? Er wolle da keine Ideologie daraus machen, und schon gar nicht würde er irgendeinem Club angehören, versichert Pollard. Er habe es eben nur gern bequem. Und natürlich. Was aber kann natürlicher sein? Mit diesen Worten bugsiert er mich auf die Terrasse. Ich solle mich doch einfach einmal umschauen. „Darf ich wenigstens den Rucksack behalten“, rufe ich ihm noch hinterher, „ich weiß nicht, wo ich sonst den Kugelschreiber und den Block hintun soll.“ „Sie können anbehalten, was sie wollen.“

Ich habe also die Wahl. Aber angenommen, ich würde einen Besucher fragen, „wie fühlen Sie sich, so nackt im Garten“, und hätte dabei die Hosen an? Mein Blick fällt auf einen drahtigen älteren Herrn neben dem kegelförmigen Buchsbaum da vorn, der mit seinem grau umrandeten Kahlkopf und der Hornbrille gut Professor sein könnte. Falls er es wirklich ist, ich bin mir sicher, kein Student ahnt, dass er sich die Scham rasiert und überdies blau lackierte Fußnägel trägt. In Abbey House Gardens bleibt nichts verborgen.

Der Garten teilt sich in zwei Hälften: ein wohlgeordnetes Entree mit symmetrischen Hecken, Laubengängen unter einem Dach aus Goldregen, üppiger Blütenpracht, schade, dass die Tulpenzeit schon vorbei ist und die der Rosen erst beginnt. Abbey House Gardens ist berühmt für die Vielfalt der Rosen, 2000 verschiedene Sorten sollen es sein. Diese eher förmliche Eröffnung soll eine Referenz sein an die Strenge des einstigen Klosters und der Versuch, die Aufmerksamkeit der Besucher abzulenken von der Welt da draußen.

Der andere Teil des Gartens erstreckt sich entlang der Ufer eines kleinen Flüsschens. Es ist die wildere Hälfte, Farne und Rhododendren wuchern unter efeuumrankten Linden, Birken, japanischem Ahorn und Steineichen. Ein guter Platz, wenn man nicht ganz so im Blickpunkt stehen will.

Es begann in Berlin-Gatow

Hier treffe ich auf Martin, der seine Nacktheit unter einem Anglerhütchen spazieren trägt. Martin ist Nudist seit 30 Jahren, seit er Soldat in Berlin-Gatow war. Dort, in einer Bucht am Havelstrand, hat er sich erstmals in der Öffentlichkeit ausgezogen, „Ihr Deutschen habt das doch erfunden, Ihr seid da viel freier“. Leider teilte seine Frau Martins Passion nicht, die beiden sind inzwischen geschieden. Nun ist er allein, und sein Bauch hat in den letzten 30 Jahren beträchtlich zugelegt, wie gesagt, hier bleibt nichts verborgen. Martin hat Tracey und Emma, beide Anfang 40, in ein Gespräch verwickelt. Das war, bevor ich gekommen bin. Jetzt blicken wir alle vier auf den Fluss. Wenn man sich nackt gegenübersteht, passt man schon sehr auf, wo man hinschaut, möglichst in die Augen oder eben ganz woandershin.

Tracey und Emma haben sich erst heute morgen zu diesem Besuch durchgerungen und niemandem zu Hause von ihrem Ausflugsziel erzählt. Tracey zögerte bis zum Schluss, „horrified“ sei sie gewesen bei der Vorstellung, nackt durch einen Park zu laufen, vielleicht weil sie als Frau viel mehr über etwaige körperliche Mängel nachdenke. „Mängel? Aber ich bitte Sie“, sagen Martin und ich im Chor. Was mir im selben Moment ganz furchtbar peinlich ist, Martin offenbar nicht. Zum Glück geht Tracey nicht weiter auf uns ein, sagt stattdessen, wie froh sie sei, diesen Ausflug heute unternommen zu haben. Sie fühle sich irgendwie befreit. Im Park sind deutlich mehr Männer als Frauen. Hat das hier nicht auch eine, nun ja, irgendwie sexuelle Seite? Dachte sie auch zuerst, räumt Tracey ein, doch wer hieraus Befriedigung ziehe, der sei eine ganz arme Wurst.

Da sind Jill und David ganz anderer Meinung. Die beiden laufen mir am anderen Ufer des Avon über den Weg. Jill ist „embarrassed“, was gleichermaßen beschämt und verwirrt bedeutet. Alles Exhibitionisten hier. Oder Spanner. Oder beides. Das ist der Moment, in dem ich mir wünsche, ich hätte einen größeren Notizblock mitgenommen, einen, hinter dem man sich verstecken kann. Jill und David, beide Anfang 60 und aus Suffolk, beide Beamte im Ruhestand, sind im Gegensatz zu mir bekleidet. Jill versichert, hätte sie das Schild „Clothes Optional Day“ bemerkt, sie wäre nicht gekommen. David nickt. Dabei sei sie gerne hier, der Garten sei wirklich schön. Und nun könne sie ihn nicht genießen, „weil ich nicht weiß, wo ich hingucken soll“.

David und Jill gehören am Clothes Optional Day einer Minderheit an, die meisten sind nackt. Das heißt, es gibt auch noch ein paar gemischte Paare wie Philip, 58, und seine zwei Jahre jüngere Frau Christie. Christie würde ihr Sommerkleid ja ablegen, „wenn das wirklich alle täten“. Philip hat eine ungeheure Plauze. Ob ihm auch schon aufgefallen ist, dass die meisten hier die 40 überschritten haben? „Das ist leicht zu erklären“, behauptet er, denn erstens interessierten sich 20-Jährige nicht so für die Schönheiten eines Gartens, und zweitens hätten sie vielleicht auch mehr Probleme, sich vor aller Augen zu entkleiden. „Zwischen 20 und 40 stehen Sie doch noch viel mehr im Wettbewerb des schöner, schneller, weiter; im Alter lässt das nach.“ Und dabei streicht er zufrieden über seinen Bauch.

Auf dem Weg zum Ausgang treffe ich Ian und Barbara Pollard wieder. Während ich meine Sachen aus dem Beutel nehme – schön, dass sie noch da sind –, bedankt er sich. Es seien schon viele Reporter hier gewesen, kaum einer habe seine Interviews nackt geführt. „Sie haben Respekt bewiesen.“ Pollard hat wirklich Talent, einem ein gutes Gefühl zu geben. Aus der Küche höre ich Mrs. Wilkins lachen. Was mag da schon wieder so komisch sein?

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