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Geisterhaus in Thailand.

© pa/Luca Tettoni

Geisterhäuser in Thailand: Wo die wilden Geister wohnen

Wenn es schon übernatürliche Wesen gibt, hat man sie besser nicht zum Feind. In Thailand werden sie mit Häusern bestochen. Geht das auch in Berlin?

Erster Eindruck: Vogelhaus. Dunkelbraune Wände, spitzes Holzdach, halb versteckt im Gebüsch auf einem Podest. Wer nähertritt, sieht die Keramikfiguren. Doch nein, es ist auch kein Puppenhaus. Hier wohnt, vermutlich, ein übernatürliches Wesen.

Den Miniaturbau findet man in der Lepsiusstraße in Berlin-Steglitz, gleich neben der Einfahrt zum Gelände der thailändischen Botschaft. Geschätzte Brutto-Grundfläche: halber Quadratmeter. Erinnert an ein typisches Siedlerhaus, über dem jemand drei Eimer Kitsch ausgeschüttet hat. Die Botschaftsangestellte wundert sich jetzt, warum einer so lange davor stehen bleibt.

In Teilen Südostasiens, besonders in Thailand und Laos, gibt es sie auf praktisch jedem Privatgrundstück, genauso vor Büros, Einkaufszentren, Schulen und Flughäfen. Auch in Deutschland begegnet man ihnen neuerdings vermehrt, als Dekoration in Restaurants und Wohnungen. Handgefertigt in Thailand, hergeschifft in Containern, verkauft übers Internet. Das Exemplar aus Teakholz kostet 100 Euro, mit Podest und Geländer 150. Kunden, die sich für thailändische Geisterhäuser interessieren, kaufen auch: Himmelslaternen, Massagezubehör, komische Kräuter.

Dabei stellen sich ein paar Fragen. Wie viel Luxus braucht ein Geist, um sich in den eigenen vier Wänden wohlzufühlen? Was findet er gemütlich, was überflüssig? Und wie kommen Menschen überhaupt auf die Idee, Geister könnten ernsthaft in Miniaturgebäuden leben wollen? Zeit für eine längst überfällige Recherche.

Zu den renommiertesten Geisterhaus-Experten des Planeten gehört die US-Bürgerin Marisa Cranfill. Etliche Jahre hat sie in Thailand zugebracht, jetzt sieht sie es als ihre Mission, anderen Westlern die Vorzüge des Geisterhausbaus näherzubringen. Für eine harmonische Nachbarschaft zwischen Mensch und Geist müssen Regeln befolgt und Rituale eingehalten werden, sagt sie. Allein schon die Standortwahl. Am besten sollte das Gebäude mit seiner Eingangstür nach Norden zeigen. Falls dies nicht möglich ist, nach Süden. Und unbedingt darauf achten, dass der Schatten des Menschenhauses nicht aufs Geisterhaus fällt. Ansonsten droht Ärger. Der Geist könnte zum Beispiel eigenmächtig ins Nebengebäude umziehen und dort Unruhe stiften.

Die Tradition basiert auf der Vorstellung, dass Geister in der Natur allgegenwärtig sind und schon lange vor den Menschen die Erde bevölkerten. Deshalb ist es wichtig, denjenigen Geist, auf dessen Grundstück man bauen möchte, zu entschädigen und ihm eine eigene Herberge zu bieten – um ihn dann mit unterschiedlichen Taktiken zu überreden, bitte auch dort zu bleiben.

Dem Laien erscheint das typische Geisterhaus spartanisch: ein Zimmer, kein Bad, keine Küche. Letztere wäre sowieso überflüssig, denn Geister kochen nicht, sondern ernähren sich von Opfergaben. Das können Früchte sein, gekochte Eier, Reis oder Süßigkeiten. Zu besonderen Anlässen auch Schweineköpfe. Mineralwasser- und Fantaflaschen sind ebenfalls willkommen, bloß müssen die Deckel abgeschraubt werden, sonst bringt es nichts. Besonders populär ist die rote Fanta. Sie symbolisiert Blut, sagt Marisa Cranfill. Ein preisgünstiges Substitut für Tieropfer.

Zu jedem Haus gehört eine Terrasse, auf der sich Figuren abstellen lassen. Dabei handelt es sich nicht um die Geister selbst, sondern um Diener und Tänzerinnen, damit die Hausherren gut versorgt und unterhalten werden. Gelegentlich findet man im Innern kleine Möbelstücke, beliebt sind Betten, Stühle und Miniaturfernseher. Vor dem Geisterhaus der thailändischen Botschaft sind zudem winzige Elefanten und Pferde abgestellt, potenzielle Fortbewegungsmittel. Alles Versuche, die Bewohner gnädig zu stimmen.

Geister können gut oder böse sein. Gelegentlich auch launisch. Besser also, man hat sie nicht zum Feind. Sind im Menschenhaus etwa Gäste zu Besuch und planen diese eine Übernachtung, werden sie zunächst beim Geisterhaus vorstellig und bitten darum, von Albträumen verschont zu bleiben. Kommen die menschlichen Bewohner einmal zu Geld und wollen ihr eigenes Haus vergrößern, müssen sie auch die Geisterherberge erweitern, um keinen Neid zu erregen. Boomt in Thailand der Wohnungsbau, boomt auch die Geisterhaus-Industrie.

Manche Geister leben abstinent, andere mögen Alkohol

Marisa Cranfill, Geisterhaus-Expertin
Marisa Cranfill, Geisterhaus-Expertin

© privat

Dass in der Architektur Rücksicht auf vermeintlich unsichtbare Wesen genommen wird, kennt man schon aus anderen Teilen der Welt. In Hongkong wurde ein Wolkenkratzer mit Loch in der Mitte gebaut, damit Drachen hindurchfliegen können. In Island wurden aus Rücksicht auf Elfensiedlungen mehrere Autobahnprojekte gestoppt, dafür aber Miniaturkirchen errichtet in der Hoffnung, die Elfen könnten zum Christentum konvertieren.

Doch nirgendwo ist das Nachbarschaftsverhältnis von Mensch und Geist so präsent wie in Thailand. Der australische Religionswissenschaftler Michael Pearce hat zum Thema geforscht und verweist darauf, dass es zig verschiedene Arten von Geisterhäusern mit abweichenden Bedeutungen und Funktionen gibt. Ganz grob unterscheidet man zwei Typen: San Chao Thi und San Phra Phum. Oft findet man sie direkt nebeneinander. Eines steht auf einem deutlich höheren Podest, denn hier wohnt ein Geist aus dem Himmel, während im anderen ein Erdgeist haust. Um den Himmelsgeist nicht zu verärgern, muss seine Unterkunft jedoch nicht nur die des Erdgeists überragen, sondern auch die Körpergröße desjenigen Menschen, der auf dem Grundstück lebt. Als vor Jahren in Bangkok der britische Botschafter versetzt wurde und sein Nachfolger zwei Meter maß, bauten sie extra ein neues, höher gelegenes Geisterhaus.

Die Unterscheidung zwischen den Geistern und ihren Bedürfnissen ist keine Lappalie: Der Himmelsgeist etwa lebt abstinent, man darf ihm als Opfergabe keinen Alkohol anbieten. Den Erdgeist freut’s dagegen.

Der Himmelsgeist wird oft als kleines, goldenes Männchen dargestellt, das in der einen Hand ein Schwert, in der anderen einen Geldsack hält. Früher waren es Schwert und Buch, doch der Wunsch nach Wohlstand habe den nach Weisheit verdrängt, sagt Marisa Cranfill.

In Thailand werden Geisterhäuser nicht nur in der Nähe von Gebäuden errichtet, auch entlang kurviger Straßen mit hoher Unfallgefahr sollen sie Geister gnädig stimmen. Neben der traditionellen Holzvariante werden mittlerweile verstärkt Häuser aus Zement angeboten, und die Firma „Holy Plus“ produziert futuristisch anmutende Geisterpaläste aus Granit, Metall oder Glas. Die ersten Kunden waren skeptisch, ob der neumodische Stil die Geister überfordern würde, sagt der „Holy Plus“-Gründer. Dies habe sich aber gelegt.

Das Regelwerk des Geisterhauswesens ist derart diffizil, dass auch ein überdurchschnittlich gebildeter Thai kaum den Überblick behält. Bei der Standortwahl konsultiert er deshalb einen Priester. Der legt auch das Datum der Einweihung fest: Geister lassen sich am besten mittwochs oder donnerstags zum Einzug in leerstehende Gebäude überreden, jedoch nur zu bestimmten Mondphasen. Wenn eine Unterkunft nach Jahren Risse bekommt, muss der Priester erneut anreisen und den Geist bitten, in das Ersatzhaus umzuziehen. Das Ausgediente landet dann auf einem speziellen Geisterhaus-Friedhof.

Aber was bedeutet das alles nun für Urlauber, die nach ihrer Rückkehr aus Thailand selbst Geister beherbergen möchten?

Die schlechte Nachricht: Ein Deutscher, der sich ein importiertes Geisterhaus in die Zimmerecke stellt, macht spirituell gesehen so ziemlich alles falsch, was er falsch machen kann.

Die gute Nachricht: Es ist okay! Denn ohne Rituale wird sich sowieso kein Geist angesprochen fühlen, sagt Marisa Cranfill. Und somit ist das Gebäude eben nur Dekoration, zum Angucken für den Menschen. „Ich wüsste nicht, was daran falsch sein sollte.“

Zum Schluss noch eine praktische Frage. Was passiert mit den ganzen Opfergaben, Frau Cranfill, vergammeln die vor dem Haus? Auch dafür haben die Thailänder eine schlaue Lösung gefunden. Die offizielle Sprachregelung lautet: Was die Geister übrig lassen, dürfen die Menschen essen.

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