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Jean Paul Gaultier

© AFP

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Auf der Berlinale wird der beste schwul-lesbische Film mit dem Teddy geehrt. Modemacher Jean Paul Gaultier hat uns seine Top Five aller Zeiten verraten. Ein persönlicher Rückblick vor der diesjährigen Preisverleihung.

Als Kind hat Jean Paul Gaultier ganze Nachmittage vor dem Fernseher verbracht, immer wenn er bei der geliebten Großmutter war, die ihn alles sehen ließ. An solch einem Tag passierte es: „Falbalas – Sein letztes Modell“ lief im Nachmittagsprogramm. Ein französischer Schwarz-Weiß-Film von 1945 über einen Couturier, der sich in seine Muse verliebt. Seitdem war es auch um Gaultier geschehen. Er wollte nur noch Modedesigner werden. Und er wurde einer der größten. Gaultier (61) hat Ende der 80er Jahre für Madonna die berüchtigten kegelförmigen Büstenhalter entworfen und den Matrosenlook für Männer etabliert. Seine Inspirationen holte und holt sich der Franzose vom Film. Zweimal pro Woche geht er ins Kino. Für einige berühmte Regisseure hat er bereits Kostüme entworfen, darunter Peter Greenaways „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ und „Das fünfte Element“ von Luc Besson. 2012 saß er sogar in der Jury des Filmfestivals von Cannes. Ein Filmfreak eben!

BLAU IST EINE WARME FARBE

Als ich den Film letztes Jahr sah, hatte ich das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, einer wahren Begebenheit auf der Leinwand beizuwohnen. Ich habe überhaupt nicht den Eindruck gehabt, dass ich Schauspieler sehe, sondern echte Charaktere. Die beiden Hauptdarstellerinnen Léa Seydoux (r.) und Adèle Exarchopoulos sind tatsächlich in die Rollen des lesbischen Paares geschlüpft. Ich fühlte die Liebe, die Leidenschaft der beiden Frauen, die Wirkung, die sie aufeinander haben. Völlig verdient haben sie letztes Jahr den Hauptpreis auf den Filmfestspielen in Cannes erhalten. Es ist nur traurig, dass Léa Seydoux nach den Dreharbeiten Regisseur Abdellatif Kechiche für seine Herangehensweise kritisiert und erklärt hat, sie würde nie mehr mit ihm arbeiten. Natürlich hat er den Darstellerinnen viel abverlangt, da bin ich mir sicher, aber ist es nicht der Lohn der Mühen, wenn sie beide so gut sind, dass man die eigentliche Person dahinter vergisst und den Filmfiguren glaubt? Ich kenne ja Léa ein wenig, ich habe im Kino nicht einen Moment gedacht, dass es sich auf der Leinwand um sie handelt. Der Film ist drei Stunden lang, für mich gingen die wie im Flug vorbei. Die Sexszenen finde ich wunderschön. Das ist doch Puritanismus, zu behaupten, das sei pornografisch. Ein paar schwule Bekannte haben mir gesagt, dass sie den Film gar nicht mochten. Einer erzählte mir, er sei nach einer Stunde aufgestanden und gegangen. Ich glaube, er ist frauenfeindlich. Wenn es sich um zwei Männer gehandelt hätte, die Sex haben, wäre er bestimmt im Saal geblieben.

MEIN WUNDERBARER WASCHSALON

Über diesen Film bin ich im wahrsten Sinne des Wortes gestolpert. Obwohl ich mein Leben lang in Paris gelebt habe, gab es in den 80er Jahren eine Zeit, in der ich jeden Monat nach London geflogen bin. Ich fand die Stadt wunderbar exzentrisch und die Musikszene spannend. Als ich Mitte der 80er Jahre einmal in der Stadt war, fiel mir dieses komische Filmplakat auf, das nur eine Waschtrommel zeigte. Ich weiß nicht, was auf dem Poster stand, nur, dass es mich so in den Bann zog, dass ich ins Kino gegangen bin. Ich hatte keine Ahnung, worum es in dem Film ging. Und dann diese Überraschung! Die Geschichte eines englischen Hooligans, der sich ausgerechnet in einen pakistanischen Jungen in London verliebt, alles mit Witz und trotzdem realistisch erzählt. Daniel Day-Lewis war als Hooligan hervorragend in dem Film. Ich fand es großartig, wie die Liebesgeschichte und der Aufprall der Kulturen geschildert wurden. Humor und Sozialkritik zu vereinen, das können nur die Briten.

DER FREMDE AM SEE

Ein faszinierender Film, der wie „Blau ist eine warme Farbe“ vergangenes Jahr in Cannes lief. Es ist ein französischer Streifen, der von zwei Männern und ihrer Begegnung an einem See erzählt. Was der eine nicht weiß: Der andere ist ein Serienmörder. Die Bilder sind einem Gemälde nachempfunden, eine ruhige Kameraführung auf ein Gewässer, an das jedes Jahr Touristen in den Urlaub fahren und wo sich abends Männer treffen, um im Gebüsch Sex zu haben. Die zwei Protagonisten haben am Ufer eine Beziehung zueinander, nur an diesem Ort treffen sie sich. Derjenige, der andere Menschen umbringt, der andere, der sich in ihn verliebt. Sehr wenige Dialoge, wunderschöne Bilder, fast minimalistisch. Es ist immer derselbe Ort, wir sehen dieselben Autos, es wird kaum geredet, und vieles wird nur angedeutet. Er ist ein beinahe angsteinflößender Film voller Begierde, er erzählt vom Zögern und von der Verleugnung der eigenen Gefühle. Wie riskant Liebe sein kann. Das passiert ja immer noch oft genug. Glauben Sie mir, ich könnte Ihnen da einige Geschichten erzählen!

BEAUTIFUL THING

Noch eine englische Geschichte, diesmal aus den 90er Jahren: In einem Londoner Plattenbau verknallen sich zwei Teenagerjungs ineinander. Meine Lieblingsszene ist jene, als die Mutter des einen Jungen mit einer anderen Frau tanzt und so tut, als sei sie lesbisch – nur um ihrem schwulen Sohn beizustehen. Das war einfach fabelhaft! Sie will ihrem Sohn damit sagen: Ich beschütze dich, ich akzeptiere dich so, wie du bist. Ich erinnere mich an eine verrückte Nebenfigur – eine schwarze Nachbarin, die laufend Mama Cass singt. Solche Figuren tauchen nur in britischen Filmen auf. Als ich mein Coming-out hatte, war es ganz anders. Der eine Junge aus dem Film und ich hatten nur eine Sache gemeinsam: Wir spielten beide furchtbar schlecht Fußball. Ansonsten war es bei mir nicht so ein Drama. Meine Mutter hatte keine Probleme, als ich ihr Ende der 70er Jahre erklärte, ich mag lieber Jungs als Mädchen. Wir wissen das schon seit längerem, antwortete sie. Als ich ihr meinen ersten Freund vorstellte, fragte sie nur: Liebt ihr euch? Ich sagte, ja. Mehr zählte für sie nicht.

PEPI, LUCI, BOM UND DER REST DER BANDE

Wie so oft bei dem spanischen Regisseur Pedro Almodóvar geht es um Frauen, aber wie fast immer erzählt er die Geschichte so, als handle es sich um schwule Männer. Ihre Rollen übernehmen einfach die Frauen, voilà. Dieser Film war sein Debüt. Wir sehen einer Band im Madrid von 1980 zu, der Beginn der sogenannten movida madrilena. Das war ein wenig die Punk-Ära der Stadt. In der Band trägt die Sängerin manchmal Shorts und Jacke, sie pinkelt vor laufender Kamera eine andere Frau an, Männer flirten offen mit Männern, das wagte sich damals kein anderer. Ich fand das zum Brüllen komisch. Diese extremen Figuren, diese starken Frauen, die in schwulen Clubs auf der Tanzfläche sind, die kennt doch jeder. In Berlin gibt es übrigens viele davon, und sie sind sehr humorvoll. Nein, ich habe keine solche Freundin, zumindest keine, die mit mir lebt. Da bin ich zu sehr Einzelgänger. Und ich glaube, Pedro auch. Ich darf ihn ja beim Vornamen nennen, weil ich das Glück hatte, für Filme wie „Kika“ und „Die Haut, in der ich lebe“ mit ihm zusammenzuarbeiten.

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