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Gute Nachricht: Herzen flicken

Wenn ich mit Sekundenkleber hantiere, ist das Ergebnis fast nie so, wie es sein sollte: Der Handtuchhaken hängt zwar, aber ein wenig schief.

Außerdem bleibt immer Klebstoff an den Fingern hängen. Kleben ist gar nicht so einfach, nicht einmal im Alltag. Ungleich schwerer ist es, ein Loch im Herzen eines Säuglings zu flicken. Knapp ein Prozent aller Babys kommt mit einem Herzfehler zur Welt, jedes fünfte von ihnen hat ein Loch in der Scheidewand zwischen den Herzkammern. Manchmal ist es klein und schließt sich im Laufe der Zeit von selbst. Andere sind so groß, dass die Säuglinge Atemnot bekommen, kaum trinken oder zunehmen. Ihr Herz wird so beansprucht, dass das Loch in einer oder mehreren Operationen geschlossen werden muss.

Dass dabei eher genäht und geklammert wird, hat nichts mit dem mangelnden Geschick von Chirurgen zu tun. Vielmehr sind ihre Anforderungen an einen Klebstoff ein Albtraum für Materialforscher. Er darf sich weder in Wasser auflösen noch vom Blutstrom mitreißen lassen. Wenn sie einen Flicken festkleben, wollen sie ihn verschieben, bis er exakt sitzt. Erst dann soll der Kleber auf Kommando aushärten und dauerhaft halten. Dabei muss er gummiartig genug bleiben, um das Herz nicht beim Schlagen zu stören. Er darf weder das darunterliegende Gewebe schädigen noch giftig sein. Mit dieser Liste sind nicht nur normale Sekundenkleber überfordert. Auch in der Chirurgie gab es bisher nichts Derartiges. Bis jetzt.

Ein Team von Bioingenieuren und Herzchirurgen der Universität Harvard hat nun quasi in seiner Schublade einen Kleber gefunden, der alle Wünsche erfüllt. Eine Mischung aus Glycerin und Sebacinsäure, die sie zuvor als Stützkorsett für im Labor gezüchtetes Gewebe entwickelt hatten, hat verblüffende Ähnlichkeit mit einem Kleber aus der Natur. Sandburgen-Würmer sondern ihn ab und bauen damit unter Wasser haltbare Röhren aus Sand und Muschelresten. Das könnte es sein, dachte das Team um Jeffrey Karp und Pedro Nido und begann, die Formel so zu verändern, dass sich das Gel leicht verteilen lässt und trotzdem die Form behält. In dieser Zeit kann der Kleber ins Herzgewebe sickern und die Verbindung stärken. Außerdem fügten sie eine Substanz hinzu, die den Kleber sekundenschnell aushärten lässt, sobald UV-Licht auf ihn trifft.

Erste Tests hat der neue Herz-Klebstoff bestanden, berichten die Forscher im Fachjournal „Science Translational Medicine“. Sie konnten damit Löcher an den Außenwänden von Rattenherzen stopfen, die Halsschlagadern von Schweinen reparieren und – ebenfalls bei Schweinen – auch ein Loch in der Scheidewand zwischen den Herzkammern flicken. Das Material ist nicht giftig und hält so gut, als hätten die Chirurgen genäht.

Das ist ein erster Schritt. Bevor der Kleber herzkranken Säuglingen helfen kann, muss er sorgfältig geprüft werden. Karp und seine Mitstreiter haben dafür ein Start-up gegründet und wollen ihn in zwei bis drei Jahren auf den Markt bringen. Es wäre ein großer Fortschritt. Denn Nähen und Klammern ist zeitaufwendig. Und beides verletzt das Gewebe eines Organs, das mit aller Kraft pumpt.

Jana Schlütter arbeitet für das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel.

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