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GuteNACHRICHT: Mit Gefühl, bitte!

Plumps musste überall mit, ohne ihn tat mein Patenkind Julia keinen Schritt. Bereits als Baby drehte sie einen seiner mit Watte ausgestopften Knöpfe vor dem Einschlafen.

Später wurde der kleine Stoffclown von ihr umhergeschleppt, gestreichelt und geküsst. Den Versuch ihrer Mutter, die abgewetzte Puppe durch ein neues Exemplar zu ersetzen, entlarvte Julia sofort: „Das ist nicht Plumps“, erklärte sie. Die Knöpfe fühlten sich anders an.

Das Wort Fingerspitzengefühl kommt nicht von ungefähr. Kaum ein Stück Haut ist so empfindsam. Wer etwas Zerbrechliches in den Händen hält, darf weder zu grob zupacken noch zu sachte sein – sonst fällt es herunter. Schon ein Handschuh stört die Feinmotorik. Es kommt eben nicht nur darauf an, was das Hirn der Hand befiehlt. Unser Kopf braucht zusätzlich die Rückmeldung unzähliger Rezeptoren in Fingern und Handflächen.

Dieses Zusammenspiel konnte bisher keine Handprothese nachahmen. Selbst wenn sie sich durch Muskelspannung im Arm steuern lässt (also greifen kann), ist es ein schwacher Ersatz. „Sie funktioniert wie eine Motorradbremse“, sagt Dennis Sørensen über seine Prothese. Der 36-jährige Däne verlor vor zehn Jahren seine linke Hand und den Unterarm, als eine Silvesterrakete zu schnell losging. Was immer er mit der Ersatzhand tut, Sørensen muss hinschauen, um die Kontrolle zu behalten.

Vor einem Jahr bekam er eine Vorahnung davon, dass es auch anders geht. Ein Team um Silvestro Micera von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne ließ ihn eine bionische Hand testen. Jetzt stellen die Forscher sie in „Science Translational Medicine“ vor.

Die Finger der Roboterhand sind von künstlichen Sehnen durchzogen. Sensoren in Daumen, Zeigefinger und kleinem Finger registrieren, wenn sich ihre Spannung verändert, weil der Mensch nach etwas greift. Sie setzen die Daten sofort in einen elektrischen Impuls um. Damit dieses Signal das Gehirn erreichen kann, war eine Operation nötig: Neurochirurgen der Gemelli-Klinik in Rom verbanden zwei Drähte aus der künstlichen Hand über vier Elektroden mit zwei Nerven in Sørensens Oberarm.

Es funktionierte. Obwohl Sørensen die Nervenbahnen jahrelang nicht genutzt hatte, konnte sein Gehirn die Information umsetzen. „Es war wie Zauberei“, sagte er. „Plötzlich konnte ich wieder etwas fühlen.“ Die Forscher machten unzählige Tests mit ihm. Sie verbanden ihm die Augen, setzten ihm Kopfhörer auf und gaben ihm Mandarinen, Telefonhörer, Plastikbecher, Mullbinden und Holzwürfel. Er konnte unterscheiden, ob die Objekte rund oder eckig waren, ob sie sich weich, mittel oder hart anfühlten. Fast immer griff er mit dem richtigen Druck zu. Ganz intuitiv, ohne viel Training.

Bis die Prothese auf den Markt kommt, vergehen sicher fünf Jahre. Sie muss an weiteren Menschen getestet werden. Die Forscher wollen sie natürlicher aussehen lassen, die Sensorik verfeinern und die Verkabelung verkleinern. Sørensen musste den Prototyp nach vier Wochen abgeben, so sehen es die Sicherheitsvorschriften vor. Er vermisst die Prothese – auch wenn sie lange nicht an das „normale“ Fingerspitzengefühl heranreicht.

Unsere Autorin arbeitet im Wissenschaftsressort des Tagesspiegels.

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