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Seelenparadies.

© Konrad Fischer

Herrenhut: Grüner Salon

Wer hat die schönsten Gartenlauben im ganzen Land? Es ist das kleine Herrenhut in der sächsischen Lausitz. Ein sommerlicher Ausflug.

Es gibt Menschen, die meinen, in Herrnhut müsste das ganze Jahr über Weihnachten sein. Die kommen ins Fremdenverkehrsamt gestürzt, wollen wissen, wo der berühmte Stern hergestellt wird, dessen Zacken sie seit ihrer Kindheit alle Jahre wieder zusammenstecken (was für eine Fummelei!), und der im Advent ihre Wohnzimmer und Kirchen erleuchtet, dann rauschen sie wieder raus, um die Schauwerkstatt der Manufaktur zu besuchen. Mitten im Juli, August.

Schön dumm.

Nichts gegen den Stern, der das Städtchen in der Oberlausitz und die freikirchliche Brüdergemeine (ja, ohne d) in aller Welt berühmt gemacht hat und vielen Menschen Arbeit gibt. Aber im Hochsommer hat Herrnhut noch ganz andere Attraktionen zu bieten: die schönsten Gartenhäuser im ganzen Land. Und die meisten. Kein anderer Ort in Sachsen hat so viele, 30 insgesamt, die ältesten 250 Jahre alt.

In einem von ihnen sitzen wir an diesem Sommernachmittag beim Kaffee, auf kleinen Stühlchen um den runden Tisch herum. Tür und Fenster sind weit geöffnet, Efeu und Pfaffenhütchen stecken ihre Zweige rein, ein kühlendes Lüftchen fächelt uns der Windzug zu. Der Blick schweift über Felder, Hecken und Lindenallee hoch zum Altan, dem hölzernen Aussichtsturm.

Wir sitzen der Erde enthoben, ein paar Stufen hoch. Früher kletterte man über eine Hühnerleiter in diesen grünen Salon, die hat Hartmut Fischer durch eine richtige Treppe ersetzt. Das schwedenrote Häuschen anno 1903 war sein Ruhestandsprojekt. Als der Förster in Rente ging, nahm er sich die verlotterte Laube vor, die frühere Bewohner als Schuppen missbraucht hatten. Zwei Sommer lang hat er mit seiner Frau gewerkelt daran, den ganzen Bau praktisch auseinandergenommen, geschliffen und gestrichen haben die beiden. Und auch geweint, wie Renate Fischer gesteht: beim Aufhängen der Gewichte für die Schiebefenster.

Ein fertiges Gartenhäuschen im Baumarkt zu kaufen wäre bequemer gewesen. Wenn man die ganze Arbeitszeit berechnet, auch entschieden billiger. Aber so sehen die Lauben dann auch aus. Zu den Fischers dagegen kommen jetzt Brautpaare, um sich auf der Treppe fotografieren zu lassen, oder fragen, ob sie ihre Hochzeitskaffeetafel hier decken dürfen. Sie durften. Die kleine Festgesellschaft brachte alles selber mit, vom Kuchen bis zum Meissener Porzellan. Sie saßen zwar etwas gequetscht in dem sieben Quadratmeter großen Raum, aber egal: Das Ambiente war ihnen wichtiger.

Vorne die Ostsee und hinten die Friedrichstraße, das, spottete Tucholsky, hätte der Berliner wohl gern. In Herrnhut leben die Fischers fast so: Wenn sie aus der Haustür auf die Straße tritt, so Frau Fischer, hat sie dort Sparkasse und Friseur, Bäcker und Schlachter. Wenn sie nach hinten raus bis zum Ende des langgestreckten Gartens mit seinen Beeren und Blumen läuft, dann guckt sie vom Häuschen aus übers Weizenmeer.

Es war einmal eine Zeit, da stand hier nicht eine einzige Hütte, geschweige denn eine ganze Stadt. Am 17. Juni 1722 wurde der erste Stamm zum Bau der neuen Siedlung gefällt, seitdem feiert die Brüdergemeine an diesem Tag ihre Gründung. (Was in der DDR nicht gern gesehen war – ausgerechnet der 17. Juni! –, aber geduldet wurde.) Die evangelischen Freikirchler hatten im Zuge der Gegenreform aus Böhmen und Mähren fliehen müssen. Die Ostlausitz lag nahe, bis nach Tschechien sind es von Herrnhut nur 20, 25 Kilometer (bis nach Polen auch nur 15). Hier fanden sie ein ruhiges Plätzchen: unter des Herren Hut.

Einen irdischen Beschützer hatten sie zum Glück auch, den Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Der wohnte in der Nähe im Schloss und gab ihnen das Land, wurde einer der ihren und baute sich selber mitten im Ort das Herrschaftshaus. Von Herrnhut aus zogen einige weiter, um anderswo Orte zu gründen – Böhmisch-Rixdorf in Neukölln zum Beispiel – und in der weiten Welt zu missionieren.

Die meisten Mitglieder der Gemeine waren Handwerker, keine Bauern. Also legten sie hinter den Häusern große Gärten an, um sich selber mit Obst und Gemüse zu versorgen. Und sie besaßen offensichtlich nicht nur bauliches Geschick, sondern auch ein ausgeprägtes ästhetisches Empfinden: Sie hatten es gerne schön. So entwickelten sie sogar ihren eigen Baustil, den Herrnhuter Barock. Die großen Gemeinschaftsgebäude in dem Städtchen hinter Görlitz haben die für die Epoche typischen schwungvollen Formen und ausgewogenen Proportionen, aber kommen ohne die üblichen Schnörkel, den üppigen Putz aus.

So wie in der Kirche: Kein Schmuck an der weißen Wand, außer einem weißen Kreuz, nicht mal einen festen Altar gibt es hier. Die Menschen sind hier das Wichtigste. Beim Gottesdienst sitzen sie nicht versprengt im Raum, einer hier, einer dort, sondern dicht nebeneinander auf langen Holzbänken, die so weiß sind wie die Särge, in denen die Toten auf dem Gottesacker begraben werden: Weiß als Farbe der Freude, Reinheit und Erlösung.

Gemeine, das Wort ist hier Programm. Die Gemeinschaft steht im Mittelpunkt, früher haben viele sogar zusammengewohnt. Heute spielt die Diakonie eine zentrale Rolle, kümmert sich um Alte, geistig Behinderte, Sterbende, nicht nur aus dem eigenen Ort: In einem alten Gebäude (natürlich mit Gartenhaus) betreiben sie das einzige Hospiz Ostsachsens.

Groß und hell ist der Kirchensaal, den Kultur- und Fremdenverkehrsamtsleiter Konrad Fischer als „gute Stube“ Herrnhuts bezeichnet. Diese Woche hat das Jugendorchester hier ein Konzert gegeben.

Aus demselben Geist und architektonischen Stil sind auch die Gartenhäuschen entstanden, die meisten im 18., 19. Jahrhundert, als es den Herrnhutern wirtschaftlich schon recht gut ging. Viele Lauben sind aus weiß gestrichenem Holz, einige vier-, andere achteckig. Manche sind Pavillons ohne Fenster und Türen, haben Gitter anstelle von Wänden, an denen der Efeu hochranken kann; andere sind von hinten geschützt und nach vorne offen, so wie die Laube, die für die neuen Bushaltestellen von Herrnhut Pate stand.

Aber das ist ihnen allen gemeinsam: Heiter, harmonisch und zierlich wirken sie. Sind sie doch nicht zum Angeben, sondern zum Genießen da. Seelenparadies, so heißt der offene Pavillon im Comenius-Garten in Rixdorf. Der Name passt auch zu vielen Herrnhuter Lauben. Ein Ort der Muße soll das Gartenhäuschen sein. Die Fischers widmen sich dem Handarbeiten, Lesen und Kartenspielen in ihrem Sommer-Wohnzimmer. Selbst an kühlen Herbstnachmittagen können sie hier quasi draußen sein, Besuch empfangen.

Konrad Fischer, ihr Sohn und früher selber Förster, führt weiter zu Fuß durch den Ort, in den Dürninger Direktorengarten, in dem gleich drei Häuschen stehen: das offene Bushaltestellenmodell, eine Teeküche mit Klo und ein Pavillon. Die Firma Dürninger machte gute Geschäfte, nutzte die Missionarskontakte in die Welt und führte die ersten Havannas ein.

Zeit für einen Apfelsaft im Gartenhäuschen. Das Heimatmuseum, in dem auch Konrad Fischers Büro untergebracht ist, hat ein besonders schönes Exemplar, mit einem chinesischen Dächlein. Dort sitzen wir auf Biedermeier-Stühlen, genießen den Blick. Der raus in die hügelige Landschaft ist zwar etwas verbaut, aber die Sichtachse durch den – heute etwas kargen – „Barockgarten“ ist noch immer zu erkennen. Als Belvedere waren die Häuschen gedacht, die oft auf einem Sockel oder Hügel stehen. Im Sommer zieht der Posaunenchor durch die Gärten.

Von hier ist es nicht weit zum „Morgen“ und zum „Abend“, deren Decken als Himmel bemalt wurden. Die Sonne geht noch immer auf, der Mond ist verlöscht. Das schöne, aber renovierungsbedürftige Zwillingslaubenpaar im Schwesternhausgarten wartet wie einige der Häuschen noch darauf, wieder zum Lecken erweckt zu werden, so, wie die Fischers es gemacht haben.

Noch einen Haken hat die ganze Geschichte: Herrnhut hat diesen Schatz, nur kann die Stadt nicht offensiv damit werben. Denn bis auf den Museumspavillon sind alle in privater oder Gemeine-Hand. Aber es gibt ein sehr hübsches Buch von Enno Kayser, „Gartenhäuser in Herrnhut: Kleinode im Grünen“ (11,90 Euro), das man in Berlin zum Beispiel im Bücherbogen am Savignyplatz findet. Der kleine, reich bebilderte Band enthält einen Lauben-Rundgang durch den Ort. Vielleicht inspiriert er ja auch den einen oder anderen Berliner, sich was Schöneres als ein Billigfertighaus in den Garten zu setzen.

Und was, wenn eines fernen Tages doch der Winter kommt und mit ihm die Sterne? Wenn sie Fenster und Türen ihres Häuschens schließen, erzählen die Fischers, wird es zum Gewächshaus, so warm. Wenn sie dann noch die Kerzen anzünden und Besucher einladen, dann ist es so mollig, dass sie hier sogar Silvester feiern können. Mit freiem Blick aufs Feuerwerk.

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