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HINTERGRUND: Warum und wo ich Kerrs Plauderbriefe suche

1971 las ich den eben erschienenen Roman von Alfred Kerrs Tochter Judith „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“. Ich dachte an meinen eigenen Vater und an meine Schwester – damals wie Judith Kerr zwölf Jahre alt –- die 1939 als Flüchtlinge nach England kamen.

1971 las ich den eben erschienenen Roman von Alfred Kerrs Tochter Judith „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“. Ich dachte an meinen eigenen Vater und an meine Schwester – damals wie Judith Kerr zwölf Jahre alt –- die 1939 als Flüchtlinge nach England kamen. Ich, das Nachkriegskind, wuchs in einer Welt von Flüchtlingen auf. Kerr war dort vielen ein Begriff. Ich begann mich also mit seinem Werk zu beschäftigen. 1997 fand ich einige Nummern der „Königsberger Allgemeinen Zeitung“ mit Berichten‚ „Plauderbriefe“ genannt und gezeichnet von A.K., im Archiv der Akademie der Künste in Berlin, sowie sogar in der British Library in London. Es waren keine Duplikate seiner Briefe nach Breslau, Alfred Kerr hat vielmehr – parallel zu den Berichten für die „Breslauer Zeitung“– dort ebenfalls sonntags Berichte aus Berlin geschrieben, erstmals am 6. Juni 1897. Ich habe inzwischen zwei Bände der Werkausgabe Alfred Kerrs herausgegeben („Sucher und Selige“ 2009 und „Das war meine Zeit“ 2013) und arbeite an einer Kerr-Biographie. Die Suche war also komplettierende Arbeit. Und sie war mühselig: Beim Internationalen Zeitungsmuseum in Aachen, den Zeitungsarchiven in Bremen, Dortmund, der Friedrich Ebert-Stiftung, in Göttingen, im Zeitungsarchiv der Berliner Staatsbibliothek, nirgendwo gibt es einen kompletten Bestand dieser Zeitung. Im heutigen Kaliningrad (Königsberg) sagte man mir, alles sei nach Moskau gebracht worden, aber weder in Moskau noch in St. Petersburg war man auskunftsbereit. Die Suche geht jetzt seit 16 Jahren, unterstützt durch die „Stiftung Preußische Seehandlung“. Fündig geworden bin ich bisher vor allem in Polen. Und ich hoffe,dass sich Privatbesitzer einiger Ausgaben der „Königsberger“ melden. (Bitte nachsehen nach „Plauderbrief“ und dem Zeichen A.K.).

Bisher sind etwa 500 dieser Kerrschen Texte ermittelt. Sie wurden oft in mühsamer Abschrift vor Ort gesichert. Der Gesamtbestand dürfte etwa 1000 betragen. Es sind also noch einige zu erwarten. Nicht nur, um das Kerr’sche Journalistische Werk zu komplettieren, sondern weil es eine lebensnahe Geschichte Berlins enthält, eine einzigartige Dokumentation von 1897 bis 1922, voller Geist, Humor, oft Wehmut.

Alfred Kerrs Briefe aus Berlin enden – soweit bisher festzustellen war – am 24. September 1922, ohne einen Hinweis, dass er die Tätigkeit beenden wird.

Von dem Exilanten Alfred Kerr kommt hier posthum eine Art Geschenk zurück an Berlin: Ein Epochenbericht, wie er so im ganzen deutschen Journalismus der neueren Zeit nicht zu finden ist. Kerrs Berichte über das Leben in diesen Jahren werden sicher vier bis fünf höchst interessante, aufschluss- und erkenntnisreiche Bände füllen. – Die Publikation dieses Werks wäre ein Zeichen später Ehrung und Dankbarkeit. Deborah Vietor-Engländer

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