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Rapper Salomo hat die Veranstaltung gegründet.

© Doris Spiekermann-Klaas

Hip-Hop in Kreuzberg: Schlachtfest im Schlesi

Einmal im Monat wird es nachts richtig brutal in Kreuzberg. Dann gehen junge Männer beim „Rap am Mittwoch“ aufeinander los – mit Worten.

Von Julia Prosinger

Der Türsteher kontrolliert die Ausweise strenger als in anderen Berliner Clubs. Heute ab 18 – wie bei Horrorfilmen. Wer sich vor seinem Besuch Videos der Veranstaltung ansieht, wird gewarnt: „Das folgende Programm enthält Szenen, die einige verstörend finden könnten.“ Das ist Kreuzbergs brutalste Nacht. Nirgends sonst werden so viele Mütter gefickt.

Hunderte Zuschauer schlängeln sich an diesem Rap-am-Mittwoch-Mittwoch um das Schlesische Tor, einige pinkeln gleich dran. Zwei Besoffene prahlen damit, dass sie gerade fast das dritte Mal rausgeflogen wären. Und von drinnen brüllt es heiser bis nach draußen: „Dein Vater ist schwul, deine Mutter macht die Beine breit.“

Weshalb tun die Zuschauer sich das an? Schwer, die Bühne zu sehen, hinter so vielen Kapuzen. Hören lässt es sich zu gut. „Ich ficke deine Mutter, danach hat sie eine gespaltene Persönlichkeit.“ Buhrufe. Jedoch nicht, weil die Frauen in den vorderen Reihen und die vielen Männer dahinter, jung und alt, Proll neben Hipster, den Spruch unangemessen fänden. Sondern weil er langweilig war. Standard.

Rap am Mittwoch, das bedeutet Kampfsport. Mixed Martial Arts. Es gilt, den Gegner in verschiedenen Disziplinen verbal zu vernichten. Mit vorbereiteten Texten zu einem überraschenden Beat oder ganz spontan, Freestyle, Freistil. Auch völlig ohne Musik, a cappella, in der ursprünglichsten Form des Rap. Und es geht darum, persönlich zu werden, verletzend, entwertend. Türken machen Witze über Schwarze, Schwarze über Weiße, die – weiterhin wenigen – Frauen über Männer. Man darf einen Juden nach Auschwitz schicken und mit der gesamten Familie seines Kontrahenten ins Bett gehen. Hier ist erlaubt, was auf der Straße verboten ist.

In den USA haben solche Schlachten, Battles, eine lange Tradition. In Berlin wird Rap am Mittwoch diese Woche fünf Jahre alt. Auf der Bühne drängen sich die ehemaligen Champions: Sie tragen Namen wie Drob Dynamic, Atzenkalle und Karate Andi. Sie begrüßen sich mit Homie und Digga, nennen einander legendär, phänomenal oder King. Einige von ihnen bilden ein Gremium, das die Entscheidungen des Publikums anfechten kann.

Vor sie tritt jetzt Mirko Seier, 20, Künstlername Mikz, Hotel-Azubi, 1,65 Meter klein, musikalisch aufgewachsen mit Sidos Hymne für das Märkische Viertel „Mein Block“ und den Rapkursen des Sozialarbeiters seines Jugendzentrums. Ein paar Mal war er schon hier, nach oben vor 700 Kampfsportfanatiker hat er sich lange nicht getraut. Er weiß, dass es gleich um sein Äußeres gehen wird. „Deine Augenbrauen sind ja noch fetter als meine, aber nicht so fett wie deine Schwesters Beine“, hieß es neulich bei einer Runde spontaner Beleidigungen. Oder: „Ich seh aus wie Osama – du wie Bob Marleys Schamhaar.“ Oder auch, nach einigen Sekunden sichtbaren Grübelns, der wohl schlimmste Diss aller Zeiten: „Du bist so hässlich wie... Claus Kleber!“ Beim Freestyle regiert das Unterbewusstsein.

Wo Sido und B-Tight angefangen haben

Unten im U-Bahnhof Schlesisches Tor findet der Rap-Battle statt.
Unten im U-Bahnhof Schlesisches Tor findet der Rap-Battle statt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Heute ist Mikz das Opfer. „Du bist so klein, du darfst nicht mal auf die Achterbahn.“ Mikz lächelt mild. „Deine Beine sind so lang wie mein Schwanz.“ Mikz nickt wissend. Jetzt muss er spontan kontern, am besten mit einer echten Punchline den Gegner zu Boden strecken. Der schmächtige Mikz greift zu einer alten Waffe: Selbstironie. „Ich bin der Einzige, der neben den ganzen Leuten Hanteln hebt, und der Einzige, der neben Xatar (bekannter Rapper aus der Szene) ’nen Mantel trägt.“ Doppelreim, Jubelschreie. Eine Frau wirft einen Tanga auf die Bühne. Mikz atmet erleichtert auf.

„Seid eine kultivierte Gemeinde, bitte“, ruft der Moderator des Abends, Ben Salomo, 37, nie ohne Kappe, dem Publikum zu, das Mikz’ Gegner ausbuht. „Gebt allen Rappern Respekt.“ Und dann soll jeder seinen Mittelfinger heben, für die, die behaupten, Hip-Hop sei tot.

Dass er hier sehr lebendig ist, liegt eben auch an Salomo. Er hat sich Rap am Mittwoch ausgedacht. Von Hip-Hop im Schöneberger Hinterhof großgezogen, landete der Junge, der schon in der Schule die längsten Gedichte aufsagen konnte, Ende der 90er im Royal Bunker. Dort, in der Mittenwalder Straße, kämpften heutige Berliner Rapgrößen wie Sido, B-Tight und Taktloss gegeneinander. Oft nicht nur verbal. Keiner grüßte sich, alle stierten finster vor sich hin. Elite der Unterschicht.

Salomo mochte das nicht. Hip-Hop, das ist für ihn eine Kultur des Friedens, die Fusion der Künste des Menschen: Breakdance, Graffiti und Rap sind nichts anderes als Tanz, Malerei, Poesie und Gesang. Alles Mittel also, die dem Menschen zur Verfügung stehen, um sich auszudrücken. Deshalb entmüllte Salomo sich einen eigenen Kellerraum in der Ufa-Fabrik, erinnerte sich an die Kindersendung „Spaß am Dienstag“ und erfand „Rap am Mittwoch". Anfangs ohne Mikrofon oder Beat, ohne Security an der Tür, ohne Sponsoren auf den Flyern. Dafür bald mit Sido und dessen Kumpels, die Beats auf der Playstation bastelten. Es gab Cola und Nüsse, und irgendwann kamen sogar Mädchen und tanzten.

Schnell wurden es mehr Zuschauer als Rapper, die gelungene Wortwitze feierten und peinliche Disses verziehen. Die verstanden, dass die „Mutter“ im Battle-Rap Fiktion ist, eine bestimmte Art von Kinnhaken sozusagen. Fans, denen es nicht nur um die Worte ging. Sondern um den ganzen Auftritt, den verächtlichen Blick, die Parodie, weshalb die Reime der Teilnehmer gedruckt viel schwächer wirken. Manche verkleiden sich, entwerfen gelungene Psychogramme ihres Gegners oder steigen wie im Wahn auf die Köpfe des Publikums. Was zählt, sagt Salomo, ist nicht die Wahrheit. Was zählt, ist die Show. Ob man dem Rapper abkauft, aus welcher Welt er erzählt. Verbales Wrestling eben.

Warten auf den ersten schwulen Battle-Rapper

Wenn Männer sich anschreien, gleiten ihnen schon mal die Gesichtszüge aus.
Wenn Männer sich anschreien, gleiten ihnen schon mal die Gesichtszüge aus.

© Doris Spiekermann-Klaas

Nachdem auch die Ufa-Fabrik zu klein für die vielen neuen Fans geworden war, machte Salomo zunächst selbst Musik, betrieb ein eigenes Label, mixte Drinks in Sushibars. Dann schließlich: Taxischein. Verzweiflung. Nächste Idee: 2010 gründete Salomo, in einer Zeit, in der die Feuilletons Hip-Hop totschrieben, den ersten beständigen Battle-Rap-Wettstreit Deutschlands.

„Du rappst, als hättest du ’nen Schwanz im Mund“, freestylt einer nun im Schlesischen Tor daher. Salomo sagt, er warte nur auf einen schwulen Rapper, der homophobe Texte kreativ erwidere. „Dein Vater ist mit mir durchgebrannt“, wäre doch eine gute Antwort. Wobei die Betroffenen mit den ihnen zugedachten Beleidigungen meist gut leben könnten. Ein Rapper wünschte sich gar, dass die Teilnehmer seine Behinderung thematisieren: „Ich habe das Recht, gedisst zu werden wie jeder andere.“

„Trotz der ganzen Mütter und Verwandten war das eine schöne erste Runde“, lobt Salomo. Er begreift sich auch als Lehrer. Wie er sich selbst als junger Rapper einen gewünscht hätte. „Each one teach one“, ein altes Prinzip des Hip-Hop. Oft muss er Anfängern zeigen, wie man das Mikrofon richtig hält. Nicht mit der Faust die Kapsel verschließen, nur weil es cool aussieht. Je nach Stimmfrequenz hört sich der Auftritt sonst sehr dünn an.

Gerade diskutiert Salomo mit einem Neuling, der sich vor Scham dem DJ zuwendet statt dem Publikum. „Da waren todesviele Unsicherheiten in deiner Delivery“, sagt er. „Sorry“, stottert der Rapper, „ich war sauaufgeregt, Alta“. „Kein Argument“, sagt Salomo. Ein bisschen Therapeut, ein bisschen Berufsschule. „Du musst selbstbewusster werden.“ Er solle in jeder freien Minute üben, ausgeschlafen herkommen und seine Bauchmuskeln trainieren. Rappen sei motorisch, es gehe um Körperbeherrschung. Salomo ist überzeugt, dass sich Reimketten wie Akkorde lernen lassen. „Ein Pianist kann, ohne die Harmonien zu kennen, schließlich auch nicht anständig improvisieren.“ Dann setzt Salomo zu einer Grundsatzrede an, weil ein Rapper einen anderen mit einer labbrigen Waffel beworfen hat. Körperliche Gewalt ist verboten. Egal wie weich sie ausfällt.

Am Ende des Abends heben die meisten Zuschauer ihre Hände für den kleinen Mikz in die verrauchte Luft. Vielleicht weil die Reime seines Gegners zu glatt klangen, vorgeschrieben. Mikz ist Champion. Er nimmt 200 Euro Preisgeld und ein Handy mit nach Hause. Der Erfolg motiviert ihn so sehr („das war wie Fallschirmspringen“), dass er innerhalb von sechs Wochen elf Songs schreibt, mit Hilfe der Rap-am-Mittwoch-Legenden ein Studio findet, ein kleines Album aufnimmt und erste Videos dreht.

Salomo will noch viel mehr. Battlerap soll eine anerkannte Sportart werden, jenseits der Musik. Er will Ligen gründen, damit die Kämpfer davon leben können. Eine Championsleague hat er schon eingerichtet, hier haben die Teilnehmer acht Wochen Zeit, sich gezielt aufeinander vorzubereiten. „Ihr müsst viel trinken, damit ihr nicht dehydriert“, rät er seinem Publikum zum Abschied.

Rap am Mittwoch feiert diese Woche sein fünfjähriges Bestehen: 6. Mai, Bi Nuu, im U-Bahnhof Schlesisches Tor, Einlass ab 20 Uhr, Eintritt zehn Euro

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