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Überall Samt. Die großen Zimmer bieten ein Kingsize-Bett in blutigem Rot, auch die Tapeten sind aus Samt.

© promo/provocateur-hotel.com

Hotelkolumne: In fremden Federn: Träume aus Samt, Lack und Leder

Das Provocateur, im Frühjahr eröffnet, hat einen Namen zu verteidigen. Von Orgien und Pornos wurde berichtet. Ganz so wild ist es dann doch nicht.

Von Julia Prosinger

Von Orgien in Lack und Leder auf den Zimmern und einem Knopf neben dem Bett, der Pornos an die Wand wirft, wurde erzählt. Von wilden Partys vor rundum verspiegelten Wänden in der Bar, wo die Drinks „Vorspiel“ oder „Intercourse“ heißen, wurde berichtet. Man solle sich besser in einem der oberen Stockwerke einquartieren, so lautete der Rat, da wummern die Bässe leiser. Da fährt auch der vergitterte Aufzug von 1912 länger knarzend hinauf.

Von Samt ging die Mär, überall Samt. Schwere Vorhänge gegen neugierige Blicke, Samt in nachtigem Blau auf den Sofas, auf denen man versetzt Rücken an Rücken thront, auf dass die Köpfe sich im Gespräch immer näherkommen ... – Samt in blutigem Rot als Rückenlehne am Bett, Tapeten aus Samt, nackte Füße auf Samt. Eine unvergessliche Nacht würde das werden!

Das „Provocateur“, im Frühjahr eröffnet, hat schließlich einen Namen zu verteidigen. Dafür hätte es sich auf der Brandenburgischen Straße in Wilmersdorf gar nicht so samtversessen anstrengen müssen.

Gegenüber bieten Krankengymnasten ihre Dienste an. Linksherum verkauft Hartmann orthopädische Schuhe, alle paar Meter parkt ein Wagen der häuslichen Pflege von der Diakonie, die Station befindet sich eine Straße weiter. Im Xantener Eck, wo urig als Kompliment gilt, essen Ehepaare schweigend Eisbein und alle paar Minuten schlurft eine Wilmersdorfer Witwe durchs Bild.

Von „Intercourse“ ist nichts zu sehen, zum Frühstück gibt es Chiasamen

Es ist dann nicht ganz so wild, das Übernachten im Provocateur. Im Hinterhof blühen harmlos die Hortensien. Der Portier erklärt ausführlich Fernbedienung, Klimaanlage und W-Lan. Der Knopf links neben dem Bett lässt ein paar schöne Frauen zu Chansons in Dessous und schwarz-weiß durch die Hotelflure spazieren, von „Intercourse“ ist nichts zu sehen und zum Frühstück gibt es Chiasamen.

Hinter der Hausnummer 17, ein paar Baustellen weiter, gelingt der Sprung in die 20er Jahre dann völlig samtlos. Die großen Fenster sind abgedeckt, damit dahinter nichts schmilzt. Bauhauskünstler Johannes Itten hat das wunderschöne Schokoladengeschäft von Erich Hamann 1928 entworfen, die zart karierten Konfektschachteln tragen noch immer blaue Schleifen, die bittere „Borke“ zerbröselt traditionell im Mund, an den Marzipankartoffeln steht „neue Ernte“, und sie sind groß wie echte. Dürfen es noch ein paar ummantelte Ingwer-Stäbchen sein, fragt eine Nachfahrin des Chocolatiers. Aber ja. Weil die zarteste Versuchung immer noch Schokolade ist.

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