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Das Bild zeigt eine Berlinerin im Jahr 1924 mit ihrer Französischen Bulldogge im Cabriolet.

© ullstein

Hunde in Berlin: Bitte anleinen, sonst besteht Totschlaggefahr

Friedrich der Große nutzte seine Tiere als Wärmflasche, genervte Bürger wollten alle Vierbeiner totschießen, Maulkörbe wurden gefordert: Die Geschichte einer Stadt ist auch immer die Geschichte ihrer Hunde.

Sie kamen meist am frühen Morgen, hielten Knüppel in der Hand und hatten kein Erbarmen. Entdeckten sie einen frei laufenden Hund, so jagten sie ihn und schlugen zu – egal, ob dessen Besitzer in der Nähe war oder das Tier sich alleine herumtrieb. Wenn die Gehilfen des Scharfrichters in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch die Gassen auf der Fischerinsel, durchs Nikolaiviertel oder die Friedrichstadt patrouillierten, setzten sie die „Hunde-Anordnungen“ der Berliner Ratsherren durch, wonach „kein Hund auf der Straße frei sein darf“. Empörte Bürger klagten in einer Flugschrift: „Mit barbarischer Grausamkeit walten die Schergen ihres Amtes und schlagen die Hunde tot.“

Die Berliner Obrigkeit war genervt von der rasch wachsenden Zahl von Hunden in der Stadt: Einerseits streunten herrenlose Tiere in Scharen herum, andererseits galt es im aufstrebenden Bürgertum zunehmend als schick, sich einen Hund zu halten. Den Berliner Verleger und Schriftsteller Friedrich Nicolai ärgerte Letzteres. „Es ist eine alberne und schädliche Gewohnheit vornehmer und reicher Leute, mit großen Kötern aus purer Nachahmungssucht spazieren zu gehen“, erregte er sich 1781 in einem Brief an Freunde. In London ergebe das noch Sinn wegen der vielen Straßenräubereien. „Doch warum in Berlin?“

Der Hund, das umstrittenste Wesen Berlins. Und das schon seit mehr als 250 Jahren. Leinenpflicht, Hundeverordnungen, Korberlass, alles schon mal da gewesen.

Friedlich ging es nur bis etwa Mitte des 18. Jahrhunderts zu, als die Tiere noch überwiegend von Adligen gehalten wurden und unter dem Schutz ihrer Herren standen. Seit dem späten Mittelalter gehörten Treibjagden zu den edelsten Aufgaben des Hundes – beispielsweise am heutigen Hundekehlesee in Grunewald, damals „Hundequele“ genannt. So bezeichnete man die Sammelstelle der Meute. Im 16. Jahrhundert zog Kurfürst Joachim II. von Brandenburg – der Bauherr des Jagdschlosses Grunewald – zur Sauhatz, später waren es die preußischen Könige. Auch in den Salons des Adels waren Hunde beliebt, dort aber eher in geschrumpfter Form und zum Vergnügen der Damen. In den Gemächern des Schlosses Monbijou, auf dem Terrain des gleichnamigen heutigen Parks in Mitte, herzte die Mutter Friedrichs des Großen, Sophie Dorothea, seit 1712 gern Möpse. Die rundlichen, fidelen Tiere entsprachen dem Lebensgefühl des Rokoko.

Es gab in Adelskreisen einen wahren Hündchenkult. Man ließ sie porträtieren, saß selbst – mit ihnen auf dem Schoß – Modell, ließ sie ausstopfen oder in Porzellan verewigen. Die „Hundgen“ erhielten „blümorante“ Halsbänder aus Samt mit Borten und massiven, silbernen Initialen ihrer Besitzer. Das lockte allerdings Diebe an. Als Sophie-Dorothea 1737 ein Mops davonlief, konnte ein Suchtrupp das Tier zwar wiederfinden, allerdings fehlten am Halsband die wertvollen Buchstaben. 

Zu den vernarrtesten Hundeliebhabern zählte Friedrich der Große. Von ihm wird erzählt, er habe seine Windhunde noch bis zum letzten Atemzug 1786 als Wärmflasche mit ins Bett genommen. Das Vorbild des Königs zog Kreise, die kynologische Leidenschaft erfasste in der friderizianischen Epoche auch wohlsituierte Bürger – und damit begann das Gezänk: um ruhestörendes Bellen, um bissige Tiere, um die Gefahr von Tollwut oder die „ungebremste Vermehrungslust“ entlaufener Hunde, wie der Rat um 1850 klagte. Anfangs überlegte man, die Tiere „einfach tot schießen“ zu lassen. Aber das erschien zu gefährlich angesichts enger Gassen und zweifelhafter Treffsicherheit. Also einigte man sich auf die Leinenpflicht und aufs Totschlagen unangeleinter Hunde.

Die Erfindung der Hundesteuer

Das Bild zeigt eine Berlinerin im Jahr 1924 mit ihrer Französischen Bulldogge im Cabriolet.
Das Bild zeigt eine Berlinerin im Jahr 1924 mit ihrer Französischen Bulldogge im Cabriolet.

© ullstein

Etwa seit Mitte des 18. Jahrhunderts gab es auch erstmals eine Kennzeichnungspflicht. Wer einen Hund hielt, musste ihm alljährlich eine neue Blechmarke ans Halsband binden, mit Jahreszahl und Name des Besitzers. Doch auch diese Auflage konnte die Hundebegeisterung nicht bremsen. Nach den Möpsen kamen ab 1780 die Spitze und Pudel in Mode. Und im Berliner Amtsblatt standen immer öfter Vermisstenanzeigen. Da wurde beispielsweise Ausreißer „Ami“ gesucht. „Mein Spitz ist gut zu erkennen, ihm fehlt ein Auge“, schrieb die Besitzerin. „Wer das Tier findet, soll es in der Rosenthaler Straße 72a abgeben, gleich rechts im Posamentierladen.“ Eine gute „Recompense“ wurde versprochen.

Doch auch die Hundegegner meldeten sich seit dem frühen 19. Jahrhundert wieder lautstark zu Wort. Am 11. Juli 1828 schimpfte ein Kommentator im „Berliner Courier“, es grenze „ans Unglaubliche, welche Masse Hunde herumlaufen und die Leute anfallen“. Es sei „wahrhaft an der Zeit, etwas zur Verminderung der Tiere zu tun“. Also suchte die Obrigkeit nach einem weiteren Druckmittel – und erfand die Hundesteuer. Erstmals wurde die neue Abgabe am 20. April 1830 im biedermeierlichen Berlin erhoben. Seither musste auf der Blechmarke auch die Steuernummer stehen. Die geforderte Summe von jährlich drei Talern sollte vor allem die ärmeren Hundehalter finanziell bedrängen. Etliche sahen tatsächlich keine andere Wahl, als ihre Lieblinge zu ersäufen. Adalbert von Chamisso hat dies in einer Ballade aufgegriffen: „Komm her, Du Köter, und sieh mich nicht an. Noch ein Fußstoß, so ist es gethan!“

Von der neuen Steuer profitierten die Hausbesitzer. Denn die Einnahmen wurden damals zweckgebunden eingesetzt: zur Befestigung der Bürgersteige. Die Zahl der registrierten Hunde stieg dennoch weiter: Während 1830 etwa 6000 in Berlin lebten, waren es 1850 schon 10 000, weshalb die Behörden um 1860 erneut einschritten. Sie erließen eine „generelle Maulkorbpflicht auf öffentlichen Straßen“. Diese Anordnung durchzusetzen, war aber den Amtspersonen nahezu unmöglich. „Ihre Beschäftigung ist mit wörtlichen und selbst thätlichen Angriffen verbunden“, berichteten Zeitgenossen. Jeder Hundehalter finde im Publikum einen „stets bereiten Beistand“. Feuilletonist Robert Springer machte sich in seinem 1868 erschienen Buch „Berlin wird Weltstadt“ über den „genialen Berliner Maulkorb“ lustig. Besonders für Möpse sei dieser wegen ihrer platten Schnauze gänzlich unpassend.

Jenseits all dieser Aufregung leistete aber eine gewaltige Schar Hunde gehorsam Dienste. Große Exemplare waren die Zugtiere vieler Handwerker und Händler, sie schleppten Fleischer- und Scherenschleiferwagen, rollende Marktstände oder die Karren der Milchmädchen durch die Stadt. Sie konnten das Doppelte ihres Körpergewichtes in Bewegung setzen, bewachten Hab und Gut. Hundekarren gehörten zum Straßenbild wie Droschken und Pferdeomnibusse.

Es war die Zeit der Industrialisierung, Berlin wuchs zur Metropole heran, und der Hund bekam eine neue Rolle. War er bisher eher in Bürgerhäusern daheim oder als Arbeitstier unterwegs, avancierte er nun auch zum Freizeitbegleiter der kleinen Leute, war überall dabei in den Mietskasernen und Hinterhöfen. Keiner hat das so humorvoll festgehalten wie Heinrich Zille. Berlin ohne Hunde? Da hätten ihm die Spaßmacher gefehlt. Kinder setzen ihrer Promenadenmischung beim Hoffest Kaspermützen auf, ein Terrier flitzt vorm Kinderwagen „ins Jrüne“. „Vater bestellt die Weißen, Oma gibt dem Hündchen“, schildert auch Hans Ostwald in seiner „Kultur- und Sittengeschichte Berlins“ Szenen in den Biergärten um 1900.

Die Hundefreunde bekommen eine Lobby

Das Bild zeigt eine Berlinerin im Jahr 1924 mit ihrer Französischen Bulldogge im Cabriolet.
Das Bild zeigt eine Berlinerin im Jahr 1924 mit ihrer Französischen Bulldogge im Cabriolet.

© ullstein

So viel Gefühlswärme in breiten Bevölkerungsschichten für den Hund brachte den Tierschutz voran. Berlins erstes großes Tierasyl eröffnete 1892 an der Jannowitzbrücke, betrieben vom „Tierschutzverein zu Berlin“. 1899 startete im Tivoli zu Tempelhof eines der ersten Hunderennen, im selben Jahr lud die „Gesellschaft für Hundefreunde“ zur Ausstellung nach Pankow ein. Bilanz: 10 000 Besucher, 600 vorgeführte Tiere.

Halter hatten nun eine Lobby. Zu Beginn der Weimarer Republik gab es einen spektakulären Auflauf vor dem Tierasyl in Mitte. Hunderte Berliner protestierten gegen eine drastische Erhöhung der Hundesteuer, blockierten die Straßen. „Es war ein ungeheurer Lärm aus Menschen- und Hundekehlen“, heißt es in einem Zeitungsbericht.

Mitte der 1930er Jahre wurden die ersten Auslaufgebiete ausgeschildert, das größte entstand am Grunewaldsee. Auch als Kundschaft wurden Halter zunehmend interessant. Im Souterrain des KaDeWe standen kleine Hütten bereit, sorgsam mit Decken und Kissen ausgepolstert, Sitterservice inklusive. Dort konnte man den Hund gratis anbinden, um dann ohne Gezerre shoppen zu gehen.

Welches Zusammengehörigkeitsgefühl viele Berliner mit ihren Hunden verband, zeigte sich auch später in den Tagen der Luftbrücke. Lebensmittel waren knapp, Hundefutter sowieso. Dennoch schnellte die Zahl der Hunde 1948/49 um ein Viertel auf rund 60 000 hoch. Der Korrespondent der „Stuttgarter Zeitung“ erklärte das damals so: „Mancher kauft sich jetzt einen Seelentrost für die langen Abende in der stromlos-dunklen Bude. Der Seelentrost hat vier Beine und macht wau-wau.“

Ein Jahr später, im Dezember 1950, besetzten Aktivisten das Tierheim in Lankwitz. Alle Hunde dort sollten eingeschläfert werden, weil zwei mit Tollwut infiziert waren. Das schien den Besetzern übertrieben. Sie schlossen sich ein und Polizei und Amtsveterinäre aus. Die Beamten kletterten über zwei Zäune, versuchten durch Hintertüren einzudringen. Vergeblich. Der Aufstand endete mit einem Kompromiss: Die Asylhunde mussten drei Monate lang tierärztlich beobachtet werden.

Aufregung herrschte auch jedes Mal, wenn ein Hund nach dem Mauerbau auf rätselhaften Wegen von West nach Ost über die Zonengrenze gelangte – wie 1977 die Windhündin Baruschka. Sie war Richtung DDR einem Hasen nachgejagt. Zwei Tage später wurde Baruschka in Falkensee aufgegriffen. Ihr Frauchen erhielt sie zurück, glücklich abgebildet in allen West-Berliner Tageszeitungen.

In den 70er und 80er Jahren eskalierte aber auch die Fehde um den Hund erneut – vor allem wegen der vielen Tretminen. Die Hunde-Opposition startete Kampagnen, 1973 wurde in Charlottenburg die erste Hundetoilette eröffnet, 1983 stellte der Senat eine Plakat-Aktion vor: „Guter Wille kann Häufchen versetzen.“ Alles vergebens. Erst die orangenen Abfallbehälter der BSR sowie die Tütchenspender und der öffentliche Druck auf die Hundehalter haben das Problem inzwischen langsam entschärft. Wie kommentierte ein Reporter des Tagesspiegels schon Anfang der 60er Jahre? „Mehr Verständnis auf beiden Seiten wird besser sein als ein Aufmarsch von Ordnungshütern gegen das umstrittenste Wesen Berlins.“

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