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Foto: Martina van Kann

© Martina van Kann

Hundeexpertin Kate Kitchenham: „Keiner liest Menschen so gut wie der Hund“

Darf das Tier mit ins Bett? Was, wenn es sich in einem toten Igel wälzt? Kate Kitchenham weiß es, und auch, was Hunde für ein Problem mit Postboten haben.

Von
  • Andreas Austilat
  • Julia Prosinger

Kate Kitchenham, 41, hat Kulturanthropologie und Zoologie in Hamburg studiert und erforschte die Beziehung von Menschen zu Hunden in der Stadt. Sonntags macht sie im ZDF den „Haustiercheck“, im Herbst erscheint ihr achtes Hundebuch. Sie lebt mit Mann, zwei Kindern und zwei Hunden in Lüneburg

Frau Kitchenham, wurden Sie schon mal gebissen?

Ja, als ich im Tierheim gejobbt habe. Ein Hund wollte aus dem Veterinäramtswagen springen, war aber noch angebunden. Er drohte sich zu strangulieren, ich habe eingegriffen, und er hat zugebissen. Ich habe ihm das nicht übel genommen.

Sie sind mit Hunden aufgewachsen.

Meine Eltern haben Labradore aus England gezüchtet. Die waren hier noch unbekannt. Meine Mutter bekam manchmal Panik, weil sie mich nicht finden konnte. Ich lag dann schlafend zwischen den Welpen im Korb. Für mich waren Tiere gar nicht so etwas anderes als Menschen.

Helfen Sie uns, den Hund besser zu verstehen. Wenn ich Jogger bin und ein Hund mich jagen will ...

... dann ist er schlecht erzogen. Ich empfehle, stehen zu bleiben, langweilig zu sein, so verliert er das Interesse. Dem Halter rufe ich zu: Können Sie Ihren Hund bitte holen? Das ist keine Bagatelle, wenn du jemand bist, der richtig Angst hat. Kann sein, dass dieses Tier das merkt, toll findet, dich zwickt. Jeder Hund kann lernen, nicht hinterherzurennen, wenn etwas an ihm vorbeirennt oder -fliegt. Impulskontrolle gehört in die Welpenstunde.

Die Deutsche Post bietet sogar Seminare an für Postboten, die von Hundeattacken betroffen sind.

Die sind ein dankbares Opfer. Hunde sind gezüchtet worden, um an unser Seite einen Job zu erledigen. Meistens werden sie jedoch gehalten, um auf dem Sofa zu sitzen und zu kuscheln. Sie langweilen sich also zu Tode und suchen sich irgendeine Aufgabe. Zum Beispiel den Garten bewachen. Dann merken sie, dass der Postbote jeden Tag kommt und Angst vor ihrem Theater hat. Das ist ein tolles Gefühl für einen auf Sinnsuche: Er erzielt einen deutlichen Effekt! Postboten-Erschrecken wird so zu einer selbstbelohnenden Aktion.

Tiere sind doch nicht zur Schadenfreude fähig!

Es hat mit Botenstoffen zu tun, die ausgeschüttet werden. Das Gewinnerhormon Dopamin macht süchtig, bei Menschen wie Hunden. Das ist, wie beim „Mensch-ärgere-dich-nicht“ zu gewinnen.

Kann ich dem Hund etwas vorspielen?

Er merkt sofort, wie man sich fühlt, ob man glücklich oder gestresst ist. Trotzdem hilft Körperbewusstsein: Wie wirke ich auf mein Gegenüber? Man lernt im Umgang mit dem Hund, sich selber richtig einzuschätzen. Das können viele gar nicht. Es gibt kein anderes Lebewesen, das so wie der Hund in der Lage ist, den Menschen zu lesen.

Sie übertreiben.

Überhaupt nicht, das ist in vielen Studien untersucht worden. Er kennt uns so gut, weil er seit Jahrtausenden mit uns zusammenlebt. Wenn er sich im Steinzeitlager doof benommen hat, wurde er gegessen. Nur die, die schnell lernten, sich anpassten, praktisch waren, durften weiterleben. Hunde registrieren und analysieren genau, was ich mache, was ich von meiner Perspektive aus sehen kann und was nicht. Mein Hund Erna weiß, wann sie sich am besten unbemerkt in einem toten Igel wälzen kann. Was wir heute unterm Tisch liegen haben, sind Tiere mit dem Potenzial für kommunikative Höchstleistung. Sie wird nur meistens vonseiten des Menschen nicht ausgeschöpft.

Und an der Spitze steht Lassie.

Filme wie „Lassie“ führen zu einer übersteigerten Erwartungshaltung. Wenn du als Kind so etwas guckst und dann erlebst, dass dein Hund bei Geschrei höchstens angelaufen kommt, aber nichts macht, wenn du dir den Finger eingeklemmt hast, ist das enttäuschend.

Manche Hunde haben ihre Familie gerettet.

In den meisten Fällen warnen sie aus Unsicherheit. Wenn die Gardine lichterloh brennt, schlägt der Hund an, weil ihn das beunruhigt. Hunde sind totale Spießer. Die lieben ihre normalen Abläufe und mögen nicht, wenn sich was ändert.

"Der Hund, der am Tisch bettelt, versucht uns zu manipulieren"

Es gibt beinahe sieben Millionen Hunde in Deutschland, nur zwei Millionen Babys. Was sagt uns das?

Der Hund rückt bestimmt immer häufiger in die Rolle des Kindersatzes. Ein Kind ist ein langwieriges Projekt, und überhaupt, wie teuer wird das alles? Der Hund ist die einfache Alternative. Er zieht nicht aus, sondern bleibt – wenn ich für ihn spannend genug bin – sein Leben lang anhänglich. Die meisten Hunde leben allerdings immer noch in Familien mit Kindern.

Warum wollten Sie Ihren ersten Hund?

Ich habe zwei Kinder, einen Mann, viele Freunde, ich vermisse nichts. Durch meine Prägung von Kindesbeinen an brauche ich aber einen Hund zum Glücklichsein. Das musste mein Mann erst mal akzeptieren. Er hatte mit Hunden nichts zu tun, seine Mutter hat Angst vor ihnen.

Wie haben Sie ihn umgestimmt?

Ganz am Anfang hat er mich gefragt: Wenn du dich entscheiden müsstest zwischen mir und Rupert, wen würdest du nehmen? Ich habe ihn ausgelacht und gesagt, ich würde den Hund nehmen, weil der von mir abhängig ist. Du bist ein erwachsener Mann. Er hat die Kröte geschluckt.

Hunde können sehr gut traurig gucken. Sind sie auch berechnend?

Der Hund, der am Tisch bettelt, versucht uns emotional zu manipulieren. Hunde nutzen dafür häufig Vortäuschungssignale: Sie spielen uns etwas vor – zum Beispiel, dass sie kuscheln wollen. Sie locken uns vom Sofa hoch und dann zum Futternapf oder bringen uns die Leine.

Sie sagten vorhin, das größte Problem der Hunde sei die Langeweile.

Viele Leute halten Jagdhunde – aus gutem Grund, sie sind tolle Familienhunde. Der Magyar Vizsla zum Beispiel ist total beliebt im Moment, das sind so rote, schlanke Arbeitsmaschinen. In Hundeschulen gibt es für solche Tiere Beschäftigung. Jeden Tag dieselbe Runde um den Block zu gehen, das reicht nicht. Die wollen Abenteuer erleben, und ein-, zweimal die Woche brauchen sie ein Training, in dem sie was leisten, ihr Gehirn benutzen dürfen. Wie beim jungen Menschen. Wenn der keine Auslastung und Schulausbildung bekommt, zieht er um die Häuser und macht Ärger.

Die meisten Hunde müssen sich damit begnügen, Kommandos zu lernen wie „Sitz“ und „Platz“. Was doch kein Ersatz für eine Eichhörnchenjagd ist.

Foto: Martina van Kann
Hundeexpertin Kate Kitchenham mit ihrem Husky-Schäferhund-Mix Erna

© Martina van Kann

Nein. Aber Sie sind ja auch verheiratet und haben vielleicht in Ihrem Leben trotzdem noch andere schöne Frauen getroffen. Sie haben im Zuge Ihrer Erziehung gelernt, sich zusammenzureißen.

Beim Hund reicht es, ihm ein paar Kunststücke beizubringen?

„Sitz“ und „Platz“ sind Grunderziehung. Ich meine Frustrationstoleranz. Zuerst fällt es dem Hund schwer, das Eichhörnchen nicht zu jagen. Am Ende ist es normal, so, wie ich in der S-Bahn die Leute erst aussteigen lasse. Das lernen wir als Kinder, das ist bei Hunden genauso. Sie können das umso besser, wenn wir das Training starten, bevor sie ihren ersten „Hetz-Erfolg“ hatten, und ihnen im Gegenzug etwas bieten, wo sie Gas geben, jemanden suchen dürfen, über Hürden laufen und Spaß haben. Hunde, die viel können, sind ausgeglichen, die haben es nicht nötig, andere anzupöbeln.

Sie beraten im Fernsehen Leute, die sich einen Hund anschaffen wollen. Nehmen wir den Fall einer Familie, beide Eltern berufstätig, zwei Kinder zwischen neun und elf. Welchen Hund empfehlen Sie?

Ich würde zu einem erwachsenen Tier raten und ihnen sagen, dass sie sich für die Eingewöhnung mindestens einen Urlaub Zeit nehmen müssen. Sie sollen als Familie zusammenwachsen, damit der Hund lernt, allein zu bleiben. Er muss sich verlassen können: Die kommen immer wieder. Dann würde ich mit denen die Aufgabenverteilung besprechen. Kinder können nicht mit dem Hund spazieren gehen. Stellen Sie sich vor, der wird von einem anderen Hund angegriffen, ein neunjähriges Kind wäre völlig überfordert.

"Genickbruch geht schnell bei so kleinen Hunden"

Was würden Sie bei solch einer Attacke machen?

Das muss man situationsbedingt entscheiden, im Notfall die Hunde an den Ruten auseinanderziehen. Ich hatte das gerade. Ein Riesenschnauzermischling ist auf Knox zu, meinen kleinen Terrier-Pudel-Mix. Knox war für den nur Beute, der hat sofort angefangen, ihn zu schütteln. Genickbruch geht schnell bei so kleinen Hunden. Ich habe nicht nachgedacht, mich brüllend auf den anderen geschmissen. Der war zum Glück beeindruckt und hat nicht nach mir geschnappt. Bitte nicht nachmachen, das war in dem Moment richtig, gilt aber nicht immer! Der Besitzer hatte keine Ahnung, der sagte: mein Hund ist so dominant. Damit hat das nichts zu tun, Dominanz ist keine Eigenschaft, sondern ein Beziehungsmerkmal.

Aus Ihrer Berufserfahrung: Wie viele Hunde sind falsch erzogen?

Ich will nicht allen Haltern wehtun. Aber wir brauchen einen Hundeführerschein in überarbeiteter Form. Bestimmt 50 Prozent sind schlecht erzogen, werden als Hund nicht ernst genommen. Viele Menschen gönnen ihrem Hund auch keine Hundefreunde.

Wir Menschen reichen ihm nicht?

Hunde wissen sehr genau, dass sie keine Menschen sind. Und sie ziehen uns als Bindungspartner einem Hund vor. Trotzdem brauchen sie die Kommunikation, das Spiel mit Artgenossen. Nur im direkten Umgang lernen sie alle sozialen Fähigkeiten und auch viel über sich selbst: wie groß sie sind, wie schnell, besser im Jagen oder im Wegrennen. Wie kann ich als großer Hund mit einem kleinen Hund, der mir sympathisch ist, spielen?

Und wenn sie unser Schienbein rammeln, halten sie uns dann für einen adäquaten Sexualpartner?

Das ist beim Junghund meist eine Übersprungshandlung, die immer häufiger wird, wenn man sie nicht sofort verbietet. Das machen selbst kastrierte Hunde – als ob man einem Kind nicht abgewöhnt, in der Nase zu popeln.

Ihre beiden Kinder können Sie mit Worten überzeugen, aber einen Hund doch nicht?

Man kann ihn sozial motivieren. Ich streichele ihn, lobe ihn, tobe mit ihm über den Rasen. Gebe ihm das Gefühl, er ist ein toller Hund, wenn er eine Aufgabe gut gelöst hat. Was passiert in dem Moment? Es kommt zum Ausstoß von Dopamin und Oxytocin, bei mir übrigens auch, beim Spielen und Kuscheln. Dopamin sorgt dafür, dass sich etwas neu Gelerntes schnell verfestigt, Oxytocin ist das Bindungs- und Glückshormon.

Der amerikanische Hundetrainer Cesar Millan sagt, man müsse genau gucken, wer zuerst durch die Tür geht: Mensch oder Hund.

Absoluter Quatsch! Wer so etwas sagt, beweist, dass er keine gute wissenschaftliche Ausbildung hat. Alle aktuellen Beobachtungen an Wölfen und frei lebenden Hunden zeigen: Es ist egal, wer vorwegläuft. Wie bei uns Menschen. Wenn du nach Hause kommst, küsst du doch auch nicht erst deine Frau und dann deine Kinder, um über die Reihenfolge jedem zu sagen, wo seine Position ist. Du begrüßt den, der dir als Erster gegenübersteht. Genauso machen das alle Kaniden auch. Eine feste Führungsposition erreicht man bei Hunden durch klares, freundliches Auftreten, nicht durch irgendwelche von Menschen ausgedachten Methoden.

Darf der Hund überallhin mit, auch ins Bett?

Ja, wenn das für den Menschen okay und die Beziehung zwischen dir und dem Hund geklärt ist. Es sei denn, es bestehen schon Verhaltensprobleme. Ein Hund muss sich immer vom Sofa oder vom Bett runterschicken lassen.

Warum haben Hunde die peinliche Angewohnheit, gebrauchte Wäschestücke im Haus zu verteilen?

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Hundeexpertin Kate Kitchenham mit ihrem Husky-Schäferhund-Mix Erna

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Weil die mit unseren Geruchsmolekülen imprägniert sind. In dem Moment, wo wir das Haus verlassen, ist alles noch ganz frisch. Wenn wir öfters gleich lang weg sind, weiß der Hund wahrscheinlich anhand des Zerfalls der Moleküle, wann wir etwa nach Hause kommen. Man hat das überprüft, indem man immer wieder frisch imprägnierte Kleidungsstücke im Haus verteilt hat, worauf der Hund die zeitliche Orientierung komplett verlor. Hunde haben eine extrem feine Nase, die wissen ganz genau, das ist ein Mann, das ist eine Frau, da sind Östrogene unterwegs. Sie merken auch sofort, wenn eine Frau schwanger ist.

Frau Kitchenham, der Hund hat es geschafft, einen Platz auf dem Sofa zu ergattern – während Kälber in Ställen vegetieren, bis sie mit dem Elektroschocker zur Schlachtbank getrieben werden. Ist das fair?

Natürlich nicht. Viele Hundehalter sehen sich als Tierfreunde, nur konzentrieren sie sich damit meist auf den einen, ihren Hund. Vielleicht noch auf Artgenossen in Not, die sie sogar aus dem Ausland retten. Allein den kleinen Schritt zu gehen und zu sagen, ich kaufe zumindest das teure Fleisch vom Bauern, der seine Tiere artgerecht hält – schon das kommt vielen Tierhaltern nicht in den Sinn. Sie gehen weiter zum Discounter. Eine psychologisch interessante Doppelmoral, von der sich wohl keiner so richtig frei machen kann. Die meisten kaufen billige T-Shirts, obwohl sie von den Arbeitsbedingungen in Bangladesch wissen, oder steigen ins Flugzeug und fliegen trotz des Klimawandels in den Urlaub.

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