zum Hauptinhalt
James Robinson

© Mike Wolff

Interview: „Afrika hat mich einen anderen Blick gelehrt“

Als James Robinson 14 war, streikten die Kumpel, und in England ging das Licht aus. Heute erklärt er die Wirtschaft: warum Botswana Erfolg hat und China scheitern wird.

Von

James Robinson, 53, studierte an der London School of Economics Wirtschaft und Politologie. Er lehrte in Melbourne und Bogotá, ist heute Professor in Harvard. Robinson ist Ko-Autor des Buches „Warum Nationen scheitern“. Der Brite ist verheiratet mit einer Kolumbianerin.

Mr. Robinson, wir gratulieren, Sie haben die Weltformel gefunden. Sie behaupten, erklären zu können, warum manche Nationen Erfolg haben und andere nicht. Beginnen wir mit einem alten Klischee: Es liegt am Wetter.

Wie kommen Sie darauf?

Jetzt, in Zeiten der Euro-Krise, heißt es oft wieder, im wärmeren Süden werde weniger hart gearbeitet.

Sie haben recht, das ist wirklich eine alte Theorie, und sie basiert auf einem Missverständnis. Nehmen Sie das Beispiel des südlichen Afrikas, wenn Sie sich dort auf dem Land befinden, kann es passieren, dass Sie Leute herumsitzen sehen. Außerhalb der Pflanz- und Erntezeit gibt es dort nicht viel zu tun. Da kann man auf den Gedanken kommen: Gott, sind die faul! Unsinn, in afrikanischen Städten arbeiten die Menschen außerordentlich hart.

Sie kommen viel rum. Um nur einige Stationen Ihrer weltumspannenden Forschung zu nennen: England, Melbourne, die USA, Bogota, Sierra Leone. Wo fanden Sie es für sich als Wirtschaftswissenschaftler am erhellendsten?

Ich bin kein reiner Wirtschaftswissenschaftler mehr. Weil ich glaube, dass die Ökonomie einen zu engen Blick auf die Welt hat, um wirtschaftliche Entwicklungen verstehen zu können. Wenn Sie über die gesellschaftlichen Probleme in ärmeren Ländern nachdenken, braucht es etwas mehr. Deshalb habe ich mich der Politologie zugewandt.

In welchem Land kam Ihnen diese Erkenntnis?

Das erste afrikanische Land, in dem ich wissenschaftlich gearbeitet habe, war Botswana. Wenn Sie durch die Hauptstadt Gaborone gehen, fällt Ihnen auf, es gibt eine funktionierende Infrastruktur. Ganz anders als in Sierra Leone. Das hat mich gelehrt, Politik mit anderen Augen zu betrachten. In Europa, da denken Sie in Links-Rechts-Gegensätzen. Es gibt niemanden in Sierra Leone, den Sie als rechts oder links beschreiben können. Politik hat dort mit der Zugehörigkeit zu einer Ethnie zu tun, mit Identität. In Afrika ist jeder in ein soziales Netzwerk mit all seinen Verpflichtungen eingebunden.

Das erklärt noch nicht, warum Botswana erfolgreicher ist als Sierra Leone.

In Botswana konnte sich im 18. Jahrhundert eine Ethnie durchsetzen, die Suana, und sie waren nicht dem gleichen Einfluss durch die Kolonialmächte ausgesetzt. In Sierra Leone gab es nie ein Königreich oder so etwas, da gab es verschiedene Völker mit verschiedenen Sprachen, die sich vorher sogar bekriegt hatten. Und dann hieß es von den Europäern, ihr seid jetzt Sierra Leonier, nun macht mal. Unter diesen Bedingungen ist es sehr schwer, funktionierende Institutionen aufzubauen.

Wann eine Nation ökonomischen Erfolg hat

Ihre Weltformel lautet: „Inklusive Institutionen“ sind entscheidend für den ökonomischen Erfolg einer Nation – eine Theorie, für die Ihnen gleich mehrere Nobelpreisträger für Wirtschaft Beifall spendeten. Was sind denn „inklusive Institutionen“?

Nehmen Sie die industrielle Revolution in Großbritannien: Die Menschen, die ihren Beitrag dazu leisteten, sei es nun mit der Dampfmaschine, der Eisenbahn oder dem mechanischen Webstuhl, kamen aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Ideen, Talent, Energie sind weit gestreut in einer Bevölkerung. Wenn Sie also eine kreative Gesellschaft wollen, müssen Sie alles dafür tun, einen Rahmen zu schaffen, der die Talente eines jeden fördert.

Wenn wir Sie richtig verstehen, sind „inklusive Institutionen“ also solche, die Teilhabe ermöglichen in Wirtschaft und Politik. Und daran fehlt es in Ländern wie Sierra Leone?

In vielen Gesellschaften gibt es massive Barrieren, die Menschen daran hindern, ihre Möglichkeiten wahrzunehmen. Im ländlichen Sierra Leone hat niemand Eigentumsrechte an Grund und Boden. Wie kommen Sie also unter solchen Bedingungen an Land? Sie müssen sich an ein Stammesoberhaupt wenden, das Ihnen Zugang gewährt. Wenn Sie dann aber investieren und säen, kann es passieren, dass der es Ihnen wieder wegnimmt, um es jemand anderem zu geben. Nur, wenn Sie zur selben Familie gehören, können Sie einigermaßen sicher sein, dass das Land in Ihrem Besitz bleibt. Alles hängt an sehr persönlichen Beziehungen.

Das Gegenteil nennen Sie „extraktiv“.

In Südafrika waren 93 Prozent der Bevölkerung, nämlich alle Schwarzen, vom aktiven Wirtschaftsleben ausgeschlossen. Sie konnten lediglich ihre Arbeitskraft anbieten. Diese Form des Wirtschaftens ist extraktiv, sie beutet Ressourcen aus, investiert aber nicht in deren Erhalt oder Ausbau.

Müssen traditionelle Systeme wie in Sierra Leone zerstört werden, damit Erfolgversprechendes entsteht? Das klingt, als ob Gewalt die Lösung wäre.

Ich glaube nicht. Japan hat sich modernisiert, ohne all seine traditionellen Werte aufzugeben. Es gibt verschiedene Arten, inklusiv oder extraktiv zu sein. Wenn Sie sich die wirtschaftlichen Institutionen in Nordkorea, Ägypten und Kolumbien anschauen, dann sind die sehr verschieden – aber alle sind extraktiv. Umgekehrt unterscheiden sich auch inklusive Institutionen stark. Wenn ein Amerikaner auf den deutschen Arbeitsmarkt schaut, würde er vielleicht sagen: Oh, der ist ja fürchterlich…

… überreguliert.

Die Bereitschaft, soziale Ungleichheit zu tolerieren, ist nicht überall gleich.

Auch mit der politischen Teilhabe ist das so eine Sache. Im Großbritannien der industriellen Revolution durften nur reiche Männer wählen.

Nach unseren heutigen Maßstäben ist das nicht demokratisch, damals war es ein Fortschritt.

Was würden Sie den Führern eines gescheiterten Staats raten, sagen wir der Demokratischen Republik Kongo?

Das Wichtigste ist zunächst einmal ein effektiver, zentralisierter Staat. In unterentwickelten Ländern kann der Staat die Gesetze oft nicht flächendeckend durchsetzen, kann weder Ordnung noch Infrastruktur schaffen. Selbst in jenen Gebieten des Kongo, wo kein Bürgerkrieg tobt, herrscht Chaos. Der andere Punkt ist die Verteilung von politischer Macht in einer Gesellschaft. Wer immer in Kinshasa das Sagen hatte, hat das Land ausgeplündert, anstatt in Entwicklung zu investieren.

Sie haben mit 14 angefangen, sich für Wirtschaftswissenschaften zu interessieren. Klingt seltsam für einen Jugendlichen.

Das Interesse an Afrika habe ich von meinem Vater geerbt, der die meiste Zeit seines beruflichen Lebens dort verbrachte. Er arbeitete als Ingenieur in der Kolonialverwaltung. Anfang der 70er kamen wir zurück nach England. Zu Zeiten der Ölkrise und extremer sozialer Spannungen. Ständig wurde irgendwo gestreikt, vor allem im Bergbau.

Es war die Zeit der großen Auseinandersetzung zwischen Margaret Thatcher und Arthur Scargill, dem Gewerkschaftsführer der Kohle-Kumpel.

Noch ein bisschen früher, es war die Zeit, in der Margaret Thatcher die Kohle-Kumpel hassen lernte, weil die 1973 dafür sorgten, dass die konservative Regierung stürzte. Ich erinnere mich noch gut an die Streiks, es gab Stromrationierungen, bei uns zu Hause brannten dauernd Kerzen.

Sie wollten verstehen, warum es kein Licht gab.

Damals war klar, dass Politik etwas mit Wirtschaft zu tun hat. Also interessierte ich mich erst für Wirtschaft, und dann wechselte ich zur Politik.

Ein entscheidender Moment der Weltgeschichte

Ihr Blick auf die Welt wirkt sehr englisch. In Ihrem Buch erwähnen Sie kein Ereignis so oft wie die Glorreiche Revolution von 1688, die mit dem Bill of Rights die Grundlage für den Parlamentarismus legte. Für Sie der wichtigste Moment der Weltgeschichte?

Ein sehr wichtiger Moment, aber ich glaube nicht, dass er etwas spezifisch Britisches ist. Hätte das Ganze 1688 auch in Vietnam oder Sierra Leone passieren können? Nein! Anderswo in Westeuropa aber schon. Seit dem späten Mittelalter entwickelten sich die Institutionen dort in eine bestimmte Richtung: weg vom Feudalismus, hin zu mehr Handel und zu Beschränkungen der politischen Macht.

Vor Ihnen haben schon viele versucht, wirtschaftlichen Erfolg zu erklären. Der Soziologe Max Weber glaubte, es läge am Protestantismus.

Viele halten den Islam für ein Hindernis bei der wirtschaftlichen Entwicklung, weil er Zinsen verbietet. Aber der Nahe Osten war wirtschaftlich erfolgreich – bis sich das Osmanische Reich ausbreitete, mit den gleichen Konsequenzen, wie sie das spanische Kolonialreich für Lateinamerika hatte. Was taten die Osmanen im Libanon? Nichts! Sie investierten nicht in die Infrastruktur, sondern überließen es einheimischen Eliten, für sie Steuern einzutreiben, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Wie die das taten, war ihnen egal. Auf diese Weise entwickelten sie keinen modernen, effektiven Staat. Genauso haben es die Spanier in Lateinamerika gehalten oder die Briten in Indien.

Das Osmanische Reich endete 1918. Danach waren es die europäischen Kolonialmächte, die den Mittleren Osten unter ihre Kontrolle brachten.

Vielleicht ist es sehr schwierig, in einem Land mit solchen Traditionen „inklusive Institutionen“ zu schaffen. Jedenfalls können Sie nach dem Untergang des Osmanischen Reiches im Nahen Osten ähnliche Entwicklungen beobachten wie in Lateinamerika nach dem Untergang des spanischen Kolonialreiches. Sie haben Einparteienstaaten, Militärdiktaturen. Ich sehe keine Notwendigkeit, dies irgendwie mit Religion erklären zu müssen.

In den USA, dem wirtschaftlichen Zentrum der Welt, leben die Ureinwohner heute in winzigen Reservaten. Hat der Erfolg des Westens nicht vor allem mit der Ausbeutung anderer Völker zu tun?

Es stimmt, dass die indigene Bevölkerung der große Verlierer ist. Aber der Erfolg Amerikas gründet nicht in der wirtschaftlichen Ausbeutung dieser Menschen. Ja, sie wurden enteignet, und 90 Prozent von ihnen starben an importierten Krankheiten. Das ist Teil der Entstehungsgeschichte der USA, aber kein notwendiger Teil.

Der Biologe Jared Diamond blickt auf 10 000 Jahre Menschheitsgeschichte zurück. Er glaubt, dass die geografisch-klimatischen Bedingungen in Europa förderlich waren für die Entwicklung.

Ich schätze seine Theorie, aber sie kann die gegenwärtigen ökonomischen Unterschiede zwischen Staaten nicht erklären, zum Beispiel zwischen Süd- und Nordkorea. Beide Länder haben dieselben geografischen Voraussetzungen und dieselbe Kultur. Aber das Entscheidende ist: Sie haben unterschiedliche Institutionen.

Deutschland wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert autoritär geführt. Trotzdem gelang es, das demokratischere Großbritannien bis 1914 ökonomisch zu überholen. Widerspricht das nicht Ihrer Theorie?

Nach der Revolution von 1848 gab es in Deutschland durchaus Forschritte hin zu mehr politischer Teilhabe – zum Beispiel im Wahlrecht. Was das Land damals erlebte, würde ich als state building unter extraktiven Institutionen beschreiben. Ähnlich lief es in Japan, wo vor der Meiji-Restauration Ende des 19. Jahrhunderts kein Zentralstaat existierte, es kein nationales Steuersystem gab. Ökonomisch wurde Deutschland damals auf jeden Fall inklusiver. Das Bildungsniveau verbesserte sich, es gab viele Anreize für Innovationen. Aber eben eingebettet in ein politisches System, das eher extraktiv war. Und diese Kombination ist grundsätzlich instabil. Das gilt auch für das heutige China.

Wie erklären Sie sich, dass die chinesische Wirtschaft wächst und wächst – obwohl das Land nach wie vor eine Diktatur ist?

Noch in den 70er Jahren war China technologisch sehr rückständig und eines der ärmsten Länder der Welt. Es hat viel nachzuholen. Das Wachstum ist darauf zurückzuführen, dass die ökonomischen Strukturen offener geworden sind. Früher war es in China nicht erlaubt, eine größere Firma zu gründen und mehr als ein paar Leute zu beschäftigen. Heute kann der Einzelne entscheiden, was er tun will. Es ist nicht so, dass die kommunistische Partei einen genialen Plan gehabt hätte. Der Erfolg ist im Gegenteil gerade darauf zurückzuführen, dass sie sich zurückgezogen und es aufgegeben hat, das Leben der Menschen zu kontrollieren, solange die nicht an den Machtstrukturen rütteln.

Manche sagen, die KP sorge für die Kontinuität, ohne die das Wachstum gar nicht möglich wäre.

Die Chinesen haben etwas Eindrucksvolles geschafft, das die Sowjetunion nie hinbekommen hat: Sie haben den Führungswechsel institutionalisiert. Jeder an der Spitze bekommt zehn Jahre Zeit. Das scheint zu funktionieren. Aber es wird ins Wanken geraten. Schauen Sie sich Tunesien an. Nach der Unabhängigkeit des Landes gab es da Präsident Bourguiba, der den Staat aufbaute, eine nationale Identität schuf und wie verrückt in Bildung investierte. In den 50er und 60er Jahren hatten Leute aus armen Verhältnissen viele Möglichkeiten, sich nach oben zu arbeiten. Doch das Land war eben eine Diktatur. 1987 übernahm Ben Ali die Kontrolle. Er hatte all die Macht seines Vorgängers, aber kein Interesse an dessen Ideen.

Sie loben die „kreative Zerstörung“, die es in den modernen Gesellschaften des Westens gebe. Eine erstaunliche Auffassung, ein paar Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise.

Man kann die technologische Dynamik der USA nicht von der des Finanzsektors trennen. Der Finanzmarkt gilt als großer Glücksspielautomat, aber er ist auch sehr gut darin, Investitionen bereitzustellen für Firmen. Kann man das eine ohne das andere haben? In vielen regulierten Finanzmärkten hat man weder das eine noch das andere. Fragen Sie einen Geschäftsmann in Sierra Leone, der kann keinen Kredit von einer Bank bekommen, weil die Banken nur der Regierung Geld leihen.

Staatsschulden, Überregulierung und eine schrumpfende Zivilgesellschaft: Der Historiker Niall Ferguson sieht den Westen im Niedergang. Warum sind Sie so viel optimistischer?

Weil der Westen immer wieder die Fähigkeit bewiesen hat, auf Herausforderungen zu reagieren und sich neu zu erfinden. Ich führe meine Untersuchungen ja oft in Ländern wie Kolumbien, Haiti oder der Demokratischen Republik Kongo durch. Und wenn Sie solche Länder mit dem vergleichen, was in Europa passiert, dann muss man einfach sagen, dass die Dinge bei uns so viel besser funktionieren – trotz Euro-Krise. Ein Land wie Irland steht immer noch viel besser da als vor 30 Jahren.

Ihr Glaube an das Wachstum als Indikator für Fortschritt ist ungebrochen. Damit einher geht aber auch die fortschreitende Zerstörung der Umwelt.

Stimmt. Doch ich glaube auch an Innovation. Und in welchem System können am ehesten wünschenswerte Lösungen für die Umwelt gefunden werden? Ich denke, dass dazu eher Staaten wie Deutschland als solche wie Kongo in der Lage sind.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false