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Staus sind auch in Berlin auf der Tagesordnung.

© picture alliance / dpa

Interview mit dem Autopapst Andreas Keßler: „Berlin ist eine autofeindliche Stadt"

Andreas Keßler ist der Autopapst von Radioeins. Im Interview schwärmt er von einem Jaguar XJ-12 Bj. ’79, gesteht eine Alkoholfahrt und schimpft über den Berliner Verkehr - und einige Radfahrer.

Zu viele Autos sind autofeindlich, nicht eine Stadt an sich. Gäbe es in Berlin nur 400.000 Autos, wäre die Stadt ein Autoparadies, ohne sich in irgendeiner Form geändert zu haben. Gäbe es in der Stadt 4.000.000 Autos, hätte sie den Verkehrsinfarkt.

schreibt NutzerIn Raubritter

Andreas Keßler, 56, ist der „Autopapst“. Der Maschinenbauingenieur moderiert mit Patricia Pantel „Die Sonntagsfahrer“ (12 bis 14 Uhr, Radio Eins). Die Probleme ratloser Autobesitzer lassen ihn zu Hochform auflaufen. Keßlers Fuhrpark steht in der Uckermark, er lebt mit seiner Familie in Berlin.

Herr Keßler, ein kleiner Test: Welche Autos fahren wir beide?
Herr Mühling hat gar kein Auto, der fährt viel Fahrrad. Und Frau Kogelboom fährt so ’ne kleine Citybeule, aber nur selten.

Haben Sie uns beschatten lassen?
Ich bin Auto-Profiler! Je jünger ein Mensch ist, desto unwahrscheinlicher, dass er ein Auto hat. Sobald Kinder da sind, braucht man jedoch eins. Die Tante-Emma-Läden sind ausgestorben, man muss weiter weg einkaufen und Großpackungen schleppen. Wer will das schon?

In Ihrer Radiosendung erkennen Sie Automodelle am Türknallen und Anlassgeräusch.
Man hört kaum etwas durchs Telefon. Bei den neueren Modellen ist es besonders hart, die sind alle leise. Nur in den seltensten Fällen, wenn einer einen Trecker anreißt, führt das zum Erfolg. Nee, der Trick ist ein anderer: Meine Ko-Moderatorin Patricia Pantel fragt die Anrufer erst im Off: „Wo sitzen Sie denn gerade?“ Wenn einer aus Cottbus anruft, vom platten Land also, dann höre ich die Stimme – Kneipendunst und Zigarettenrauch. Na, was wird das für’n Typ sein? Ist es ein Diesel oder Benziner, Sechszylinder oder Vierzylinder? Oder eine Frau, im Hintergrund bellt ein Hund, sie sagt: „Ich stehe gerade im Carport“ – dann entsteht vor meinem inneren Auge ein Bild.

Woran liegt es, dass die Jungen keine Autos mehr haben?
Tendenziell leben Jüngere mit gewissem Anspruch in Ballungsräumen. 1,5 Millionen Autos sind in Berlin zugelassen, wo sollen die alle stehen? Der Normalmensch sagt: Oh, kostet Steuern und Versicherung. Oh, kein Parkplatz. Oh, diese ewige Sucherei. Oh, der geht dauernd kaputt. Uh, und dann muss ich dauernd tanken! Und springt trotzdem nicht an. Einfach nur lästig. Witzigerweise ist das ein Standpunkt, den mein Vater schon in den 60er-Jahren vertreten hat.

Junge Leute haben heute kein Auto mehr, sondern…
… Zugriff zur Mobilität, genau. Das ist das neue Statussymbol. Die Kunst ist, verschiedene Mobilitätskonzepte intelligent miteinander zu vernetzen. Da sind ja auch unsere Politiker so toll, bravo. Die kriegen in dieser Hinsicht gar nix auf die Reihe!

Wir machen Sie zum Chef der Berliner Verkehrsplanung, mit ordentlich Mitteln. Ihre Version?
Ich führe erst mal eine City-Maut ein.

Der Autopapst verbannt den Individualverkehr aus der Stadt?
Nein. Man kauft sich eine Jahreskarte, die auch Umweltkarte ist. Jeder kann mit dem Auto in die Mautzone fahren, die jetzt noch Umweltzone heißt, oder eben die Öffentlichen benutzen und sich den Ärger mit dem Parkplatz sparen. Die City-Maut fließt komplett in die Aufhübschung von Bussen und Bahnen, da muss etwas passieren. Noch mal: Autofahren macht in der Stadt keinen Spaß mehr.

"Das Gewürge mit dem Fahrrad in der S-Bahn - die Pest"

Andreas Keßler.
Andreas Keßler.

© Doris Spiekermann-Klaas

Warum sind Sie dann aus Steglitz mit dem Auto zur Tagesspiegel-Redaktion gekommen?
Na, um diese Zeit geht’s ja. Um zehn ist der Berufsverkehr gerade abgeflacht. Ich fahre die 103 hoch, bis zum Südkreuz, dann den Schlenker Kolonnenstraße. Mein alter Weg zum Hebbel-Theater.

Wo Sie mal Bühnentechniker waren. Was ist so schlimm am Fahrrad?
Gar nichts, bloß ist Berlin riesig. Mehr als fünf Kilometer am Tag zu fahren, wäre mir zu anstrengend. Ich habe Kollegen bei Radio Eins, die strampeln mit dem Rad von Prenzlauer Berg nach Babelsberg zur Arbeit. An denen ist kein Mikrogramm Fett. Und in den Ferien geht’s dann von Berlin nach Palermo – mit dem Fahrrad!

Sie wollten sagen: Für den flächendeckenden Fahrradverkehr ist Berlin ein bisschen zu groß.
Viel zu groß! Und die Schnittstellen funktionieren nicht. Das Gewürge mit dem Fahrrad in der S-Bahn – die Pest. Es ist gut, wenn man größere Streckenabschnitte mit einem anderen Verkehrsmittel überwindet und die Feinverteilung selber fährt. Es müsste Fahrradwagen geben! Die Bahn kriegt das ja nicht mal bei den ICEs gebacken. Nur in der neuesten Version gibt es zwei, drei Stellplätze.

Herr Keßler, niemand muss an einem Tag mehrmals die ganze Stadt durchqueren.
Ja, ja, ich weiß. Und in der Gegend, wo ich lebe, gibt’s nur römisches Kopfsteinpflaster. Da will man gar nicht Fahrradfahren.

Sie haben zu schmale Reifen.
Vielleicht. Ach, grundsätzlich ist es gut, über Fahrradautobahnen nachzudenken. Doch was macht man, wenn die zu Ende sind? Beispiel Oberbaumbrücke. Wenn man da in die Stralauer rechts abbiegen will, kommen aus Richtung Kreuzberg Wolken von Fahrradfahrern. Das sind schon fast chinesische Verhältnisse. Man kann dort de facto nur geradeaus fahren. Diese Einzelpunkte tauchen nie in den Diskussionen auf. Da geht es immer um die erschütternden Abbiegeunfälle. Wobei mir das nicht in den Kopf will: Ich fahre als Fahrradfahrer mit Kenntnis der Verkehrsregeln, weiß also, wie Autofahrer so ticken. Doch viele Fahrradfahrer kennen die Regeln nicht, fahren stur geradeaus. Sehe ich einen Sattelschlepper, halte ich an. Muss ich zwar wieder anfahren, ist aber besser, als wenn mich der rechte Hinterreifen des Aufliegers plattmacht.

Sind Sie so ein Wendehals, der sein Feindbild dem jeweiligen Verkehrsmittel anpasst?
Tendenziell ja. Wenn man es rational betrachtet, ist das natürlich Quatsch.

Rational ist ein gutes Stichwort im Berliner Verkehr.
Berlin ist eine autofeindliche Stadt. Die Verkehrslenkung und Baustellenkoordination, eine Katastrophe. Man kann die Autos nicht wegdiskutieren. Hier nicht, in ganz Deutschland nicht. Die Autoindustrie verantwortet 18 Prozent der deutschen Exporte. Insgesamt gibt es 42 Millionen Autos, mit Nutzfahrzeugen über 50 Millionen. 40 Milliarden Euro allein aus Energiesteuern, die früher Mineralölsteuern hießen, fließen jedes Jahr in die Kassen. Jetzt könnte man sagen, wir schalten alle Ampeln auf Rot und bauen die Leipziger Straße wieder zu einem staubigen Feldweg zurück. Dann wird allerdings auch das Wirtschaftsleben gebremst. Wenn man also Autofahren darf, sollte man es so wenig belastend gestalten wie möglich.

Für wen?
Für alle. Mobilität ist ein Grundbedürfnis, schon seit der Steinzeit. Irgendwann haben sie gemerkt, dass die Blaubeeren vor der Höhle abgeerntet waren, da mussten sie ein bisschen weiter weggehen. Und als auch die weg waren, sind sie eine Woche unterwegs gewesen zu den nächsten Blaubeeren.

Werden Sie eigentlich sauer, wenn Sie doch mal währen der Rushhour im Verkehr stehen?
Ich mache das so gut wie nie. Fragen Sie meine Tochter oder meine Frau.

Die sind nicht hier.
Ich werde schon aggressiv. Mein Fahrstil ändert sich.

Sie stoßen in jede Lücke?
Dann drücke ich eben. Mir scheißegal, ob der da abbiegen will. Jetzt wartet der mal. Ja, so einer bin ich dann. Aber es ist wirklich, wirklich selten. Zu meiner Entlastung: Ich habe null Punkte in Flensburg.

Das war sicher nicht immer so.
Hm, es ist besser geworden. Als ich noch einen R4 fuhr, war das anders. Mein Führerschein lag ja auch mal bei den Akten, ein Jahr lang: Ich bin ein ehemaliger Alkoholsünder. 1982 bin ich im Zustand übermäßiger Erfrischung Auto gefahren.

Unfall oder Kontrolle?
Beides. Zu meinem eigenen Erstaunen hatte ich 0,81 Promille. Ich dachte, es sei viel mehr.

Sie hatten also so drei Bier und einen Korn intus?
Es war Winter, und da war eine Stelle, wo Glatteis war. Da rutschte ich mit dem Auto drauf aus. Ob das in nüchternem Zustand auch passiert wäre, weiß ich nicht. Jedenfalls rutschte ich aus und beschädigte ein anderes Auto.

Ein parkendes?
Ja, und dann beging ich Fahrerflucht. Wäre wahrscheinlich sogar damit durchgekommen, bin aber doch mit meinem schwer beschädigten eigenen Auto … also, ich wollte es in die Garage stellen. Gerade in diesem Moment sieht eine Polizeistreife meinen dampfenden Kühler und – ha, haben wir ihn. Ich durchlief eine Katharsis, habe mich sozusagen selbst einer MPU unterzogen.

Sie meinen die Medizinisch-Psychologische Untersuchung, besser bekannt als „Idiotentest“.
Genau. Seither bin ich ein unbeschriebenes Blatt.

Was Keßler über illegale Autorennen sagt

Andreas Keßler.
Andreas Keßler.

© Doris Spiekermann-Klaas

Und wenn Frau Käßmann unter Alkoholeinfluss über eine rote Ampel fährt, denken Sie…
…dass das menschlich ist. Trotzdem: Heute wissen wir genau, wie Alkohol wirkt und wie die Regeln sind. Daran muss man sich halten, Punkt.

Sind Sie in Ihrer Jugend Rennen gefahren?
Sie meinen, so wie heute die illegalen Rennen über den Ku’damm? Nein. Das hätten die Autos gar nicht hergegeben. Mein erstes Auto war ein Käfer, mein zweites ein uralter Opel Rekord Kombi. Mein drittes ein Opel Rekord Coupé, mein viertes der R4, dann kam ein VW-Bus, die anderen 500 Autos weiß ich nicht mehr. Einmal wurde ich über die Havelchaussee verfolgt. Ich stand an der Ampel, der Typ haute mir aufs Dach. Ich dachte, dem fahr’ ich jetzt weg, mit meinen 34 PS.

Wer hat gewonnen?
Ich, weil der andere auf der Avus zum Tanken rechts abbiegen musste.

Sie können also nachvollziehen, was in den Rasern vom Tauentzien vorgeht?
Erst mal: Keine Ahnung, ob die, die im Auto sitzen, auch die Eigentümer dieser dicken Kutschen sind. Die machen auf dicke Hose und pfeffern da lang, vielleicht unter Einfluss berauschender Mittel. Zweitens: Alles, was auf öffentlichen Straßen Wettbewerbscharakter hat, ist für mich ein No-Go.

Können Sie denn nun nachfühlen, warum diese jungen Männer für den Geschwindigkeitsrausch über Leichen gehen?

Es ist in diesen Autos wie in einem Videospiel. Man sitzt darin völlig entkoppelt von der Außenwelt, hört fast nichts, kriegt die Informationen nur über Displays. Auch die Bedienung ist ähnlich wie bei einer Spielkonsole. Dazu kommt das alterstypische Balz- und Imponiergehabe.

Hatten Sie das früher auch?
Wir sind in Dänemark am Strand rumgekachelt. Da konnte man nur sich selber wehtun. Im Straßenverkehr hätte ich das nicht gemacht.

Haben Sie Ihre Fahrprüfung auf Anhieb bestanden?
Ja.

Weil Sie schon vor der Fahrschule am Steuer saßen?
Gleich hier ums Eck, neben der heutigen Topographie des Terrors, gab’s damals das Autodrom. Da saß Straps-Harry, dem später „Dreamboy’s Lachbühne“ an der Bundesallee gehörte, und ließ Leute für Geld mit seinen alten Käfern über die Schuttberge fahren. Ich kam nie über den ersten Gang hinaus, weil ich nicht schalten konnte. Uuuuuuuhm, so um die Kurve rum.

Ihre erste Fahrt mit Führerschein?
Mit dem Golf 1 von Opa, dunkelblau metallic, viertürig, Automatik, 70 PS. Von Friedenau nach Wilmersdorf und wieder zurück. Weiter habe ich mich nicht getraut. Später bin ich mit dem Opel Rekord Kombi nach Spanien gefahren, 26 Stunden am Stück, Graben. Learning the hard way: Mit ’ner dicken Kutsche losgefahren und mit ’ner Autobatterie wiedergekommen. Alle lachten, erleichtert zum Teil, dass der Junge heil angekommen ist. Dann hatte ich sechs Wochen kein Auto – furchtbar.

Das war kurz vor Ihrer Karriere als internationaler Autodealer?
Im Maschinenbaustudium habe ich mit ein paar Kumpels Mercedes und Porsche in die USA geschafft. Hier gekauft und eingeschifft, drüben weiterverkauft. Damals stand der Dollar bei 3,40 Mark, ein Riesengeschäft. Nach der Wende, ging es in die andere Richtung, da haben wir Golfs aus mexikanischer Produktion nach Deutschland geholt. Wir hatten einen Händler in Südflorida, bei dem standen die Dinger bis zum Horizont.

Die schönste Straße, auf der Sie je gefahren sind?
Ungeschlagen ist der Pacific Coast Highway in Kalifornien. Platz zwei: eine Kommunalstraße in Brandenburg, südlich von Luckenwalde. Führt durch den Wald und ist immer leer, egal wann.

Da geben Sie dann gerne mal Gas?
In den Kurven, damit ich das Auto spüre. Dann zerplatzen die Insekten nicht auf der Windschutzscheibe, sondern auf den Seitenscheiben.

Sie Tierquäler!
Ach was, ich sorge nur dafür, dass keine bösartigen Viren durch Mücken übertragen werden. Ein paar Kurven gibt es da, durch die könnte man wirklich im kontrollierten Drift fahren. Das sollte man nur da machen, wo es Fangzäune gibt.

Sonst endet man wie in dem Rainald-Grebe-Song: „In Brandenburg, in Brandenburg, ist wieder jemand gegen einen Baum gegurkt.“
Ist leider wirklich so. Obwohl dort inzwischen fast überall nur noch 70 auf den Landstraßen erlaubt ist. Ich staune dann, wenn mal wieder so einer vorbeigeflogen kommt. Gut, die Leute kennen ihre Straßen, aber zaubern können die auch nicht. Bodenwelle, Sattelschlepper, gute Nacht.

Stichwort Tempolimit – wie lange wird es auf den Autobahnen noch unbeschränktes Rasen geben?
Die paar Kilometer, wo noch kein Tempolimit gilt, sollte man nicht leichtfertig abschaffen, weil sie ein wichtiges Verkaufsargument für die deutsche Exportwirtschaft sind. Die deutschen Konzerne preisen ihre Modelle im Ausland als „Autobahn-tested“ an – unsere Wagen sind so gut, weil sie für Straßen ohne Tempolimit konzipiert sind.

Ihr allerschönstes und allerschlimmstes Auto?
Jaguar XJ-12, Baujahr ’79. Mazda 1000. Schlimmer als jede Ost-Karre.

Wie unterscheide ich einen guten von einem schlechten Schrauber, wenn ich keine Ahnung habe?
Bauchgefühl. Können Frauen. Der gute Schrauber sagt: „Was haben wir? Wir probieren jetzt dies und jenes, und wenn das nicht klappt, rufen wir an.“

Wie ein guter Arzt.
Ja. Der schlechte Schrauber sagt: „Okay, Püppi, lass das Ding hier.“ Püppi zahlt eine Höllensumme und stellt fest: Kacke, klappert immer noch.

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