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Die erste Webseite des Forschers Tim Berners-Lee ist unter http://info.cern.ch/hypertext/WWW/TheProject.html erreichbar.

© Julian Stratenschulte/dpa

Jarett Kobek über das Internet: Alles Schlechte zum Geburtstag

Am 30. April 1993 ging die erste Website online. Das World Wide Web war geboren. Jarett Kobek, Autor von "Ich hasse dieses Internet", über seine Spuren im Netz.

E-MAIL

An meine erste E-Mail erinnere ich mich überhaupt nicht mehr. Das liegt daran, dass ich mit Computern aufgewachsen bin. Mein Vater, ein türkischer Einwanderer, hat es irgendwie geschafft, vor allen anderen Menschen einen Computer zu besitzen. Schon 1982 hatten wir zu Hause einen Commodore 64, den 8-Bit-Heimcomputer, der auch „Brotkasten“ genannt wurde. Da war ich gerade vier Jahre alt und der Commodore 64 brandneu. Ich besaß früh ein Modem und nutzte das Bulletin Board System, kurz BBS, zur Kommunikation. In das BBS konnte man sich einwählen und mit anderen Nutzern in einer Art Chat kommunizieren.

Meine Universität in Rhode Island hatte in den 90er Jahren sogar einen offenen Internetzugang. Komplett ungesichertes, frei zugängliches Internet! Klar, denn: Wer war damals schon im Netz? In den Chats tummelte sich ein Haufen 14-Jähriger, inklusive mir, die versuchten, über Politik und Atheismus zu diskutieren. Wirklich schlimm. Doch plötzlich wurde die Welt auf das Internet aufmerksam. Es wurden Informationen darüber ausgetauscht, wie man überhaupt hineinkommt, bald gab es „Gopher“, eine Art primitives World Wide Web, und kurz darauf haben Leute begonnen, sich Webbrowser anzuschaffen.

Der Übergang zur E-Mail war dann nichts Neues mehr für mich. Mittlerweile schreibe ich täglich Mails und habe jetzt mal nachgezählt: Innerhalb von acht Monaten, seit Erscheinen meines Buches 2016, habe ich ganze 7000 E-Mails versendet.

Während die meisten Menschen in den USA sich immer wieder neue Systeme und Computer zulegten, ist mein Vater übrigens bis 1996 bei seinem Commodore 64 geblieben. Er war wahrscheinlich einer der letzten User des Landes. Mittlerweile hat er gar keinen Computer mehr, dafür aber ein Smartphone, das er jedoch hasst.

TWITTER

Auf Twitter war ich nie richtig. Angemeldet habe ich mich 2009, und schon ein Jahr später habe ich meinen bis dato letzten von insgesamt sieben Tweets versendet. Dass ich den Kurznachrichtendienst nicht nutze, heißt aber nicht, dass ich ihm nicht ständig ausgesetzt bin.

Als ich in San Francisco gelebt habe, drehten sich alle Unterhaltungen von Freunden und Bekannten um Twitter: „Hast du dieses, hast du jenes auf Twitter gesehen?“ Unerträglich! Zum Erscheinen meines Buches haben wir einen Roboter-Account eingerichtet, der jedes Mal automatisch retweetet, sobald jemand „I hate the Internet“ twittert. Dieser Account ist ein gutes Messinstrument, an dem man ablesen kann, was Menschen dazu bewegt, ihren Hass auf das Internet auszudrücken. Das können die verschiedensten Dinge sein: von echten Katastrophen wie Attentaten bis hin zur Wut darüber, dass ein Regisseur den neuesten Star-Wars-Film versaut hat. Eine ganz bizarre Dichotomie. Ich finde, Twitter ist das beste Beispiel für ungewollte Konsequenzen bei der Entwicklung von internetbasierter Technologie. Niemand, der zu Beginn an Twitter arbeitete, ahnte, dass es irgendwann einmal zu einer Plattform verkommen würde, auf der die schlimmsten Aspekte unserer Gesellschaft Platz finden. Twitter ist ein sehr mächtiges Werkzeug – aber was machen wir daraus? Wie sich herausstellt, ist Twitters eigentliche Macht, Kryptofaschisten dazu zu verhelfen, Präsident zu werden. Willkommen in der Zukunft!

Übrigens, bei aller Kritik: Das „Ich“ in meinem Buchtitel „Ich hasse dieses Internet“ bin nicht ich. Es ist eher ein 15-Jähriger, der sich auf Twitter rumtreibt und schnoddrig sagt: „Ach, ich hasse das Internet.“

SNAPCHAT

Ich verstehe Snapchat nicht. Der Instant-Messaging-Dienst, mit dem man Fotos und Videos verschickt, die sich nach kurzer Zeit selbst löschen, ist mir ein Rätsel. Trotzdem finde ich toll, wenn Leute diese verschiedenen Snapchat-Filter benutzen, die man auf ein Bild oder Video legen kann. Besonders gut finde ich den, mit dem sich die User in einen Hund verwandeln.

Über den „I hate the internet“-Twitter-Roboter habe ich Profile von Menschen gesehen, die sehr wütende Urteile über einen gesellschaftlichen Missstand fällen, während sie sich auf ihrem Profilbild als Hund darstellen. Das steht für mich für das gesamte Internet, genau zum jetzigen Zeitpunkt: Jemand ist über einen unfassbaren Horror wütend und präsentiert sich dabei als Cartoon-Hund. Das spricht doch Bände.

"Ich schaue Katzencontent auf YouTube"

Der Schriftsteller Jarett Kobek wurde mit dem Roman „Ich hasse dieses Internet“ 2016 in den USA und Deutschland über Nacht bekannt.
Der Schriftsteller Jarett Kobek wurde mit dem Roman „Ich hasse dieses Internet“ 2016 in den USA und Deutschland über Nacht bekannt.

© imago/Sven Simon

YOUTUBE

In meinem Freundeskreis bin ich, was das Leben im Netz betrifft, der totale Außenseiter. Wenn man allerdings wie ich halb türkisch, halb irisch aufwächst, lässt einen das kalt. Sich ein wenig deplatziert zu fühlen, ist ganz normal. Einen YouTube-Account habe ich somit auch nicht mehr. Videos schauen geht auch ohne Anmeldung. An der Plattform mag ich, dass sie zu einem Archiv für die gesamte Geschichte visuell aufgenommener Kultur geworden ist.

Verstörend ist allerdings, dass dieses wertvolle Gut von einem einzigen Unternehmen kontrolliert wird – Google ist nicht gerade die kuscheligste Firma der Welt, und sie ist in der Lage, jeden Aspekt deines Videomaterials zu kontrollieren.

Außerdem sind viele Kommentare unter den Videos leider abscheulich. Unmöglich, da einen besonders schlimmen auszuwählen. Aber ich muss zugeben, ich schaue gern Katzencontent auf YouTube. Ich bin auch nur ein Mensch! Es könnte sogar sein, dass ich irgendwann einmal ein Video über meine beiden Katzen gedreht und auf YouTube hochgeladen habe …

NETFLIX

Einmal durfte ich den Netflix-Account einer großzügigen Freundin mitnutzen. Das Tolle: Basierend auf dem, was man guckt, empfiehlt dir der Streamingdienst Filme und Serien, die dazu passen.

Meine Freundin hat vor allem Entspannendes wie die Serie „Gossip Girls“ geschaut. Nachdem ich ihr Netflix-Konto mitgenutzt hatte, wurden ihr dann ausschließlich Filme mit Serienkillern in der Hauptrolle vorgeschlagen. Ich bekam einen wütenden Anruf von ihr: Meine Interessen hatte ihre Liste an Empfehlungen ausgelöscht. Ich hätte mir auch einfach ein eigenes Profil anlegen können, doch davon wusste ich nichts.

FACEBOOK

Ich wollte meinen Facebook-Account eigentlich immer eliminieren. Dann habe ich 2013 ein Praktikum in Dänemark gemacht und Menschen kennengelernt, die ausschließlich über den Facebook-Messenger kommunizieren. Um mit ihnen in Kontakt zu bleiben, habe ich entschieden, mein Profil zu behalten.

Erstmalig angemeldet hatte ich mich im Jahr 2010, irgendwie aus Trauer. Bernard, ein Dermapathologe, für den ich in New York gearbeitet hatte, war gestorben. Bernard ist ein Freak gewesen, eine wundervolle Person, einer meiner Mentoren. Er hatte seinen eigenen Fachbuchverlag – er war der Steve Jobs auf seinem Gebiet. Außerdem hat er hässliche Fotos von Hautkrebs schöner gemacht. Dafür brauchte er jemanden, der weiß, wie das Bildbearbeitungsprogramm Photoshop geht. So hatten wir uns kennengelernt.

Nachdem Bernard also gestorben war, begann für mich eine Phase tiefer Trauer. Aus irgendeinem Grund meldete ich mich in dieser Trauerphase bei Facebook an. Ich weiß bis heute nicht, wieso, denn Facebook hatte nichts mit Bernard zu tun. Dort war niemand, der ihn kannte.

Heute nutze ich Facebook täglich, als eine Art Notizblock für Bilder. Keine Aufnahmen von mir oder aus meinem Leben, sondern irgendwelche Fotos, die ich aufbewahren möchte. Obwohl in meiner Freundesliste hunderte sogenannte Freunde sind, sehe ich nur noch Beiträge von vielleicht 20 Menschen in meiner Timeline. Ich habe nämlich eine Regel: Wann immer jemand etwas postet, das mich nervt, deabonniere ich ihn, sodass ich seine Posts nicht mehr sehe.

Wenn man vergleicht, wie Facebook mal anfing und zu was es sich heute entwickelt hat! Wäre damals schon klar gewesen, was es mal werden würde, hätte sich niemand angemeldet. Alle hätten schon damals gewusst: Deine Freunde werden permanent brutale Videos teilen.

DIE NÜTZLICHSTE APP

Ganz klar: Uber. Die Taxi-App hat Los Angeles verändert wie nichts zuvor. Von 2006 bis 2010 habe ich in L. A. gelebt – vier Jahre ohne Auto. Damals gab es noch kein Uber, was hieß, dass jeder noch so kleinste Schritt der Fortbewegung in dieser höllenähnlichen Metropole unfassbar schwierig war.

Ich bin damals viel gelaufen, habe öffentliche Verkehrsmittel genutzt. Das formt den Charakter; ein bisschen so, als würde deine Seele mit einem Amboss bearbeitet werden. Zu der Zeit drehte sich mein ganzes Leben darum, herauszufinden, wie ich von einem Ort zum anderen komme und die vier bis fünf Stunden fülle, die ich dafür benötige. Schwierig. Ich zog nach San Francisco und blieb dort weitere vier Jahre.

2014 kam ich wieder zurück. Jetzt gab es Uber. Meine Erfahrung mit der Stadt war komplett anders: Fortbewegung war plötzlich nicht nur möglich, sondern sehr einfach! Ich lade die App, sende meinen Standort und kurze Zeit später kommt mein Fahrer und bringt mich zum Ziel. Bargeld muss ich nicht dabeihaben, der Betrag wird abgebucht. Die Bewegungsfreiheit, die man damit zu wirklich lächerlich niedrigen Preisen geboten bekommt, ist revolutionär.

Natürlich ist das eine sehr subjektive Revolution, die auf dem Rücken eines mies bezahlten Arbeiters stattfindet – aber ich komme mit dem schlechten Gewissen ziemlich gut zurecht. Denn im Gegensatz zu anderen Apps hat Uber einen realen und ganz praktischen Mehrwert in dieser Welt.

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