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Tagesspiegel-Kolumnistin Katja Demirci.

© Mike Wolff

Katja Reimann macht sich locker: Bad Vibrations

Er schafft es immer wieder. Pünktlich zu meiner Yogastunde, dann, wenn ich konzentriert in der Krähe schwebe, in Shavasana dümpele, ruft mein kleiner Bruder an.

Er weiß, dass ich zu diesem einen Zeitpunkt, an diesem Tag in der Woche, nicht erreichbar bin. Wenn ich ihn wieder mal darauf hinweise, kichert er. Mein Bruder hat, Hari Om, den Ernst der Lage noch nicht verstanden. Das zeigte sich erst neulich wieder. Deep Relax Yoga, der Name sagt alles, und dann: Brrrt, brrrt, brrrt. Mein Handy brummte. Einmal lang, einmal kurz, die Morsezeichen der Bruderkontaktaufnahme. Anruf gefolgt von SMS: Sie haben neue Sprachnachrichten.

Als wir alle Asanas durchgeturnt hatten, richtete sich die Frau links neben mir auf. „Hat hier jemand“, fragte sie und starrte doch alleine mir ins Gesicht, „sein Handy auf Vibrationsalarm?“ Na klar, ich. Natürlich hätte ich alles länglich erklären können. Warum ich das Ding nicht mehr ausschalte: Weil ich es dann – Pin vergessen – nicht mehr einschalten kann! Jedenfalls so lange nicht, bis ich zu Hause den Brief mit Pin Nummer 2 oder Puk oder was ich immer brauchen würde, um den ersten vergessenen Pin zu umgehen, gefunden hätte.

Warum ich es überhaupt mit in den Unterrichtsraum nehme: weil davor gewarnt wird, Wertsachen in der Umkleide zu lassen. Aber an und für sich hat sie natürlich recht. Ein Handy – noch dazu halbwegs eingeschaltet – hat im Yogaraum rein gar nichts verloren. Weswegen ich mich natürlich sofort bereit erklärte, es auszuschalten. Nur hatte ich das, siehe oben, ewig nicht gemacht.

Betreten nestelte ich im Halbdunkel mit einer Hand in der Tasche am Handy. Ich verfluchte meinen Bruder, verdrückte mich einmal und rief unwissentlich eine Bekannte an, die kurz darauf halblaut aus meiner Tasche blökte. Ich schreckte aus der Schlussentspannung hoch und griff erneut in die Tasche. Wie, verflucht, ging das blöde Ding noch mal auszuschalten? Ich drückte einen anderen Knopf – und betätigte die Sprachsteuerung, die sich mit einem blechernen „Blibb“ einschaltete. Die Beschwerdeführerin neben mir atmete ruhig, doch wie lange noch?

Leise legte ich mich wieder auf den Rücken. An Entspannung war allerdings nicht mehr zu denken. Statt Energie in meine Zehen und Finger zu lenken, steuerte ich sie in Richtung meiner Tasche rechts neben mir. Bitte, bitte rühr dich nicht, flüsterte ich stumm meinem Handy zu. Das hatte ich nämlich, so viel war auch im Dunkeln zu erkennen gewesen, keinesfalls ausgestellt. Aber noch mal rumfummeln? Nee.

Ich hielt die Luft an. Kurz war alles ruhig. Dann öffnete sich quietschend die Tür des Nebenraumes. Laut plaudernd verließen die Yogaschüler der Parallelklasse ihren Übungsraum in Richtung Umkleide. Einige unterhielten sich just vor der Tür unsere Raumes. „Kalt geworden, oder? – Ja, und wie!“ Die Stühle im Vorraum schrappten über den Boden, als die frierenden Mädchen sich an den Tisch setzten, um beim Tee weiterzuquatschen. Endlich stellte sich bei mir Entspannung ein: Ich musste lachen. Selbstverständlich leise.

Als ich nach der Stunde mein Zeug weggeräumt und mich umgezogen hatte, die kritische Nachbarin nirgends mehr zu sehen war, zog ich mein Telefon aus der Tasche. Ich drückte und wischte und war ganz begeistert, als der Bildschirm schwarz wurde. Aus. So ging das also. Fürs nächste Mal. Zu Hause dauerte die Suche nach dem Puk-Zettel nur 15 Minuten. Als ich das Handy wieder eingeschaltet hatte, klickte ich auf „verpasste Anrufe“. Nur so viel: Mein Bruder war es nicht.

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