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Jens Mühling.

© Mike Wolff

Kolumne: Jens Mühling lernt Türkisch: „Şaka“ heißt „Witz“

Allah ist groß, Allah ist mächtig, Allah hat ’nen Pimmel von drei Meter sechzig. Das haben wir früher immer auf dem Schulhof gesungen, wenn uns die Jesus-Witze ausgingen.

Jesus-Witze, Sie wissen schon: Jesus ging in die Wüste, und es folgte ihm eine lange Dürre. Oder: Jesus brach das Brot (Würglaut) und verteilte es unter den Armen

Jetzt aber Schluss mit den geschmacklosen Witzen. Es ist wirklich kein Moment zum Lachen.

Oder gerade doch?

Seit dem Blutbad von Paris steht draußen vor dem Tagesspiegel-Gebäude ein Einsatzwagen der Polizei. Wenn ich es richtig verstehe, sollen die Polizisten uns Journalisten vor humorlosen Lesern beschützen. Morgens, wenn ich zur Arbeit komme, sehe ich die Uniformierten im Bus gelegentlich im Tagesspiegel blättern. Bestimmt würden die sich ziemlich veräppelt vorkommen, wenn in der Zeitung jetzt plötzlich keine Witze mehr gedruckt werden. Hasenfüßige Pressefuzzis, würden sie denken, wozu stehen wir eigentlich hier?

„Ist unser Job“, antwortete einer der Polizisten knapp, als ich mich für seine Bereitschaft bedankte, täglich hinter laufenden Scheibenwischern in den Dauerregen zu starren. „Ihr macht euren Job, wir machen unseren.“

Im kurdischen Kiosk an der Yorckstraße liegt die aktuelle Ausgabe der „Titanic“ auf dem Tresen. Noch ist da eine Merkel-Karikatur auf dem Cover, aber es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn in der nächsten Ausgabe nicht ein gewisser Prophet eine Titelrolle bekäme. Als ich den Kioskverkäufer fragte, ob er das Heft dann vom Tresen nehmen würde, lachte er sich tot. „Spinnst du?“, fragte er. „Das ist ein Kiosk hier, keine Moschee.“

Es gibt eine großartige Fernsehszene, in der ein australischer Journalist versucht, dem Dalai Lama einen Buddhisten-Witz zu erzählen. Der Witz geht so: Kommt der Dalai Lama in eine Pizzeria und sagt: Can you make me one with everything? Auf Deutsch: „Kannst du mir eine mit allem machen?“, oder, in der zweiten, der Wortspielbedeutung: „Kannst du mich mit allem eins machen?“

Der Dalai Lama versteht natürlich nur Bahnhof. Er lacht trotzdem, weil er es ziemlich komisch findet, dass da ein Journalist seine kostbare Interviewzeit verschwendet, um dem Dalai Lama einen Dalai-Lama-Witz zu erzählen, den der nicht mal versteht.

Auf der Webseite der „Titanic“ stolperte ich über eine Anzeige für ein islamisches Flirtportal namens „muslima.com“, mit Fotos von verschleierten Frauen, die kess durch ihre Augenschlitze zwinkern. Krass, dachte ich, diese „Titanic“-Fritzen schrecken echt vor nichts zurück. Dann begriff ich, dass es sich wirklich um eine Anzeige handelte, geschaltet nach dem Zufallsprinzip. Gott hatte sich einen kleinen Scherz erlaubt. Oder Allah – keine Ahnung, wer von den beiden sich um Witze kümmert.

Einer, der sich beruflich um nichts anderes kümmert, ist Tim Wolff, der Chefredakteur der „Titanic“, der nach dem Pariser Massaker ein paar ziemlich kluge Worte auf der Webseite des Satireblatts schrieb: „Komik ist zu allererst ein Mittel, dem Ernst des Lebens, der die meisten von uns bedrückt, selbst wenn nicht gerade Raketenwerfer in Redaktionsräumen abgefeuert werden, etwas entgegenzusetzen, im besten Falle seiner Herr zu werden. Seit gestern gilt mehr denn je: Es lebe der Witz. Der kluge. Der platte. Jeder, der genügend Menschen findet, die über ihn lachen.“

Wolffs ermordete Kollegen in Paris waren Komiker. Wenn Komiker ermordet werden, müssen andere weiterlachen – für sie, mit ihnen, über sie. Sonst gewinnen die Mörder.

Fressen zwei Kannibalen einen Clown. Sagt der eine: Schmeckt komisch, oder?

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